Von Sebastian Engelbrecht
In dieser Woche waren gleich vier hochrangige, amerikanische Regierungsvertreter in Jerusalem, um den Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland zu stoppen. Doch sie reisten unverrichteter Dinge wieder ab, denn der israelische Ministerpräsident Netanjahu möchte ein "natürliches Wachstum" der Siedlungen zulassen: Nicht zuletzt, weil die Siedler eine starke Lobby haben.
"Hebron - schon immer und für immer unser!" - Lieder wie diese singend, trotzig und siegesgewiss, besetzen israelische Siedler einen Flecken Erde im palästinensischen Westjordanland. Fußstampfend wollen sie Tatsachen schaffen. Ihre nationalreligiöse Ideologie verleiht ihnen Kraft - seit über vier Jahrzehnten. Der gegenwärtige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den Kern dieser Ideologie kürzlich so formuliert:
"Die Beziehung zwischen dem jüdischen Volk und dem Land Israel existiert seit über 3500 Jahren. Judäa und Samaria sind die Orte, in denen sich bereits unsere Vorfahren Abraham, Isaak und Jakob aufhielten, sowie David, Salomo und Jeremia. Sie stellen kein fremdes Land dar, sondern das Land unserer Vorfahren."
Netanjahu spricht nicht vom "Westjordanland". Die bergige Landschaft von Jenin im Norden bis Hebron im Süden heißt für ihn "Judäa und Samaria". Im Sechs-Tage-Krieg von 1967 besetzte Israel nicht nur dieses Kernland des alten, biblischen Israel, sondern auch das arabische Ost-Jerusalem, den Gaza-Streifen, die syrischen Golanhöhen und die ägyptische Sinai-Halbinsel.
Der Traum der israelischen Rechten vom Groß-Israel war innerhalb einer Woche Wirklichkeit geworden. Aus dem Staat Israel war "Eretz Jisrael", das biblische Land Israel, geworden.
Für die sozialdemokratische Regierung Israels hatten die Siedlungen vor allem sicherheitspolitische Bedeutung. Die besetzten Gebiete waren als "Wehrsiedlungen" gedacht und sollten die militärische Sicherheit Israels erhöhen. Aber die Nationalisten und die Nationalreligiösen begriffen die Besatzung als dauerhafte Eroberung. Der Chefideologe dieser Bewegung, Rabbiner Zwi Jehuda Kook, sah die besetzten Gebiete als unverzichtbaren Bestandteil von "Eretz Jisrael". Die Verheißungen Gottes hatten sich für ihn erfüllt.
Die Nationalreligiösen errichteten ihre Siedlungen nicht nur in Hebron und bei Nablus, das zu biblischen Zeiten Sichem hieß, sondern auch fernab biblischer Stätten: auf dem Golan, in Gaza und auf dem Sinai. Bei der Einweihung der Siedlung Jamit auf dem Sinai im Jahr 1976 sagte der damalige Ministerpräsident Jitzhak Rabin:
"All denen, die mitgemacht haben, hier arbeiten und arbeiten werden, wünsche ich für die Gründung und für das Wachstum der Siedlung Yamit alles Gute und viel Erfolg. Vielen Dank."
Rabin trat 1977 von seinem Amt zurück, Menachem Begin vom rechtsgerichteten Likud wurde sein Nachfolger als Ministerpräsident. Dieser Wechsel war der Beginn einer neuen Epoche in der israelischen Geschichte. Der Staat und die radikale Siedlerbewegung "Gusch Emunim", der "Block der Getreuen", wurden zu Partnern. Auch Begin wollte die "Urheimat der jüdischen Väter" zurückerobern. Dennoch enttäuschte die Regierung die fundamentalistischen Siedler, weil sie dem Camp-David-Abkommen von 1979 zugestimmt hatte: Um des Friedens mit Ägypten willen zog sich Israel aus dem Sinai zurück.
Nach dem Oslo-Abkommen von 1993 begann der Rückzug der israelischen Armee aus dem Westjordanland. Rabin bot Siedlern, die sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen, Geld an:
"Zwei Siedlungen, deren Namen ich nicht nennen möchte. Jede Siedlung besteht aus 30 Familien. Jedem Einzelnen soll für ihre Sicherheit eine Viertelmillion Dollar gegeben werden."
Rabin wurde 1995 ermordet - von dem nationalreligiös aufgehetzten Siedlerfreund Yigal Amir. Mit ihm starben die Hoffnungen auf einen baldigen Friedensschluss mit den Palästinensern. Aber auch als Rabin im Amt des Premiers war, wurden die Siedlungen weiter ausgebaut - mit staatlicher Hilfe. Kein israelischer Ministerpräsident wagte es, den Siedlungsbau einzufrieren oder wenigstens die staatlichen Zuschüsse zu stoppen.
Der erzwungene Rückzug von 8000 Siedlern aus dem Gaza-Streifen im Jahr 2005 bedeutete für die Siedlerbewegung keinen Einschnitt. Ihre Zahl wächst dafür im Westjordanland von Jahr zu Jahr. Nach offiziellen israelischen Angaben leben 300.000 Siedler in Ost-Jerusalem und im Westjordanland - in 144 Siedlungen.
Diese konnten sich seit 2001 auch deshalb so ungehindert entwickeln, weil der amerikanische Präsident George W. Bush dies zuließ. Sein Nachfolger Barack Obama fordert von Israel nun mit ungewohnter Klarheit einen absoluten Baustopp - vom sogenannten "illegalen Außenposten" bis hin zu israelischen Bauprojekten in Ost-Jerusalem. Israels Premier Netanjahu dagegen fordert, in den Siedlungen müsse weiterhin ein "natürliches Wachstum" erlaubt sein.
"Den Bürgern muss ein normales Leben ermöglicht werden. Die Mütter und Väter müssen in der Lage sein können, ihre Kinder so zu erziehen wie jede andere Familie auf der Welt. Die Siedler sind nicht die Feinde unseres Volkes und auch nicht des Friedens. Sie sind unsere Brüder und Schwestern."
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