Freitag, 7. August 2009

Pakistan fürchtet Rache der Mehsud-Krieger

Von Hasnain Kazim, Islamabad

Er hatte Hunderte Menschen auf dem Gewissen: Baitullah Mehsud sei bei einem CIA-Angriff getötet worden, bestätigt nun auch ein Vertrauter des pakistanischen Taliban-Chefs. Doch eine neue Generation von Kommandeuren steht schon bereit - Geheimdienste befürchten nun eine Terrorwelle.

Es war die Nachricht des Tages in Pakistan. Fernsehsender brachten am Freitag sogar kurzzeitig als Eilmeldung, was schon am Donnerstagnachmittag aus amerikanischen Quellen durchgesickert war: Baitullah Mehsud, Chef von Tehrik-i-Taliban, sei bei einem US-Drohnenangriff auf das Haus seines Schwiegervaters vor zwei Tagen ums Leben gekommen. Als erstes hatte der amerikanische Sender ABC darüber berichtet. Zuvor war gemeldet worden, dass die zweite Ehefrau Mehsuds gestorben sei.

Am Donnerstagabend erklärte auch Pakistans Innenminister Rehman Malik, es sei "sehr wahrscheinlich", dass der Anführer der pakistanischen Taliban bei einem Raketenangriff getötet worden sei. "Wir haben einige Informationen, aber keine Beweise", sagte er. Auch ein Taliban-Sprecher bestätigte angeblich den Tod Mehsuds, wie mehrere Fernsehsender meldeten.

Baitullah Mehsud wurde sowohl von den Amerikanern als auch von der pakistanischen Regierung gesucht. Er wird für die Planung etlicher Selbstmordattentate in Pakistan verantwortlich gemacht, ebenso für die Ermordung von Benazir Bhutto, der Oppositionspolitikerin und ehemaligen Premierministerin, die nach Jahren im Exil im Oktober 2007 nach Pakistan zurückgekehrt war und nur zwei Monate später, am 27. Dezember, nach einer Wahlkundgebung in Rawalpindi einem Attentat zum Opfer fiel.

Taliban-Kommandeur bestätigt Tod Mehsuds

Seither war Mehsud, einst ein kleiner Taliban-Kommandeur in Kandahar, selbst in den hintersten Winkeln Pakistans ein bekannter Mann - und der meistgesuchte Terrorist des Landes. Sogar pakistanische Amerika-Kritiker, die behauptet hatten, Washington habe Mehsud mit der Ernennung zum "Feind Nummer eins" erst zu dem gemacht, was er war, verstummten. Die CIA hatte Anfang des Jahres ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt, da die Behörde in ihm einen wichtigen Verbindungsmann der pakistanischen Taliban nach Afghanistan und zu al-Qaida in Afghanistan sah. Der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, erklärte vor zwei Wochen noch, Baitullah Mehsud sei "einer der gefährlichsten und abscheulichsten Personen in der Region". Die USA hätten ihm bis vor kurzem zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Am Mittwoch feuerten US-Sicherheitskräfte, angeblich gesteuert von der CIA, zwei Hellfire-Raketen auf den Mann. Am Freitag bestätigte auch ein Kommandeur der Taliban-Gruppe Mehsuds Tod: Kafayat Ullah erklärte der Nachrichtenagentur AP, Mehsud und dessen Zweitfrau seien bei dem Raketenangriff in Süd-Waziristan getötet worden. Nähere Einzelheiten nannte Ullah nicht.

Doch ist Baitullah Mehsud wirklich tot? Hatte die pakistanische Regierung ihn nicht schon in der Vergangenheit zweimal für erledigt erklärt - nur um zu erfahren, dass er quicklebendig weiter seinen Terror von Süd-Waziristan aus orchestriert?

"Wie kann Baitullah Mehsud tot sein, wenn er am Mittwoch um ein Uhr morgens gar nicht im Haus seines Schwiegervaters war?", zitiert die Zeitung "The News" einen Mehsud nahestehenden Kommandeur. Er habe nach dem Drohnenangriff auf das Gebäude persönlich mit Mehsud gesprochen, er sei wohlauf. "Warum sollte ein Mann, der sowohl von den USA als auch von Pakistan gesucht wird, sich an einem Ort aufhalten, über dem permanent US-Spionageflugzeuge kreisen und der ständig von pakistanischen Sicherheitskräften unter Beschuss genommen wird?"

Andere Quellen erklärten, Mehsud habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs sehr wohl im Haus von Malik Ikramuddin Mehsud, dem Vater seiner Zweitfrau, aufgehalten, sei dabei aber lediglich verletzt worden. Seine Frau und seine Leibwächter - auch hier gibt es unterschiedliche Angaben über die Zahl - seien dagegen ums Leben gekommen.

Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Mehsud nicht mehr lebt. Als er in früheren Fällen zu Unrecht für tot erklärt worden war, hatte er sich nur wenige Stunden später zu Wort gemeldet und sich als unbesiegbar gefeiert. Dieses Mal ist eine Nachricht von ihm ausgeblieben. "Man kann davon ausgehen, dass er den Angriff nicht überlebt hat", sagt Arshi Saleem Hashmi, Terrorismus- und Sicherheitsexpertin am Institute of Regional Studies Islamabad. "Hundertprozentige Sicherheit wird man aber erst haben, wenn ein Nachfolger an der Spitze von Tehrik-i-Taliban benannt wird." Aus Regierungskreisen hieß es, man werde Experten an den Ort des Angriffs entsenden, um sich Klarheit zu verschaffen.

Nach Ansicht von Hashmi wie von Taliban-Kenner Yusufzai wäre der Tod von Mehsud ein großer Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus. "Er mag nur einer von vielen Radikalen in unserem Land sein, aber er verantwortet den Tod Hunderter Zivilisten, die bei Selbstmordanschlägen in Städten wie Karatschi, Lahore und Islamabad ihr Leben lassen mussten", sagt Hashmi. "Aber auch wenn die Taliban geschwächt wären - zerstört wären sie noch lange nicht."

"Es wachsen ständig neue Krieger nach"

Nach Angaben von Sicherheitsexperten und Geheimdienst steht eine neue Generation von Taliban-Kommandeuren bereit. "Das sind junge, ehrgeizige Leute, die beweisen wollen, was sie können", schildert einer das Dilemma. "Mehsud mag tot und der Anführer der Taliban im Swat-Tal im Norden Pakistans, Maulana Fazlullah, nach den Angriffen der Armee auf die Region schwer verletzt sein - es wachsen ständig neue Krieger nach", sagt der Mann, der namentlich nicht genannt werden will. Allerdings sei jemand wie Baitullah Mehsud, der extrem gut verdrahtet war, für die Taliban schwer zu ersetzen.

Auch die Zahl der Selbstmordattentäter nehme zu: Erst vergangene Woche befreiten Sicherheitskräfte 20 Kinder aus der Hand von Extremisten, die die Jungen, alle im Alter von zehn bis 15 Jahren, zu Selbstmordattentätern trainieren wollten. "Diese Kinder werden teils von verzweifelt armen Eltern abgegeben, teils werden sie von den Taliban entführt. Wie viele Kinder darauf warten, in den Tod geschickt zu werden, ist kaum zu beziffern."

In Süd-Waziristan agieren die Taliban weitgehend offen und pflegen Kontakte nach Afghanistan, insbesondere zum dortigen Taliban-Chef Mullah Omar. "Sollte Mehsud tot sein, wird es einen neuen Anführer nicht allzu schnell geben", sagt Sicherheitsanalystin Hashmi. "Denn die Taliban-Spitze in Afghanistan wird in dieser Entscheidung ein Wörtchen mitreden, und das kann entsprechend dauern."

Für die Regierung in Islamabad wäre der Tod Mehsuds ein Triumph, auch wenn die Attacke von einer US-Drohne ausging. Pakistan ist bemüht, gegenüber den USA seine Loyalität im Kampf gegen Terroristen zu beweisen. Washington übt großen Druck auf das Land aus, eine aktivere Rolle einzunehmen. Erst auf Drängen der USA griffen Armee und Luftwaffe die Taliban im Swat-Tal an, denen die Regierung in Islamabad zuvor die Einführung der Scharia erlaubt hatte.

Pakistan bewies seine Bündnistreue, indem es Anfang Mai Tausende Soldaten in das kleine Tal schickte und die Taliban innerhalb weniger Wochen vertrieb. Nach nicht überprüfbaren Angaben des Militärs wurden dabei mehr als 1700 Extremisten getötet. Von den mehr als zwei Millionen geflohenen Menschen ist ein Großteil wieder in die Heimat zurückgekehrt.

Mehsuds Tod wäre auch für die Amerikaner ein großer Erfolg: Bislang lehnt die Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung und offiziell auch die pakistanische Regierung US-Angriffe auf ihrem Territorium ab. Nach pakistanischen Angaben sind bislang nur wenige Extremisten, aber Hunderte Zivilisten durch US-Drohnenangriffe getötet worden. Washington rechtfertigt diese Angriffe mit dem Hinweis, dass die in Afghanistan kämpfenden Taliban das Gebirge entlang der Grenze als Rückzugsgebiet nutzen und dort neue Angriffe in Afghanistan vorbereiten.

Der Tod Mehsuds wäre das Ergebnis eines US-Drohnenangriffs, das erstmals beide Seiten als Erfolg feiern könnten.

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