Montag, 10. November 2008

Westsahara unter Druck

Es gibt Völker die Geiseln der internationalen Beziehungen sind. Man vertreibt sie aus ihrer Heimat, versperrt sie in den Flüchtlingslagern und lässt sie dort jahrzehntenlang schmoren. Zwei bekannteste solche Fälle sind in Asien zu finden. Es sind die Palästinensern und die Kurden. Es gibt aber auch ein dritter, von dem man in der Öffentlichkeit weit weniger redet. Das ist das Saharaische Volk aus dem Westsahara, in Afrika.

Erst vor kurzem hat der UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon das Problem des Westsahara erwähnt: in seinem Bericht von 23. Oktober 2007. Drei Tage später stand Westsahara an der Tagesordnung des UNO-Sicherheitsrates. Die Hoffnung war erweckt. Doch bald hat sie wieder geplatzt. Die UNO könnte nichts anderes machen, als einmal mehr auf die Parteien zu appellieren, endlich aus der Sackgasse herauszukommen und das Mandat der UNO-Friedenstruppen in Westsahara für weitere sechs Monaten zu verlängern. Dennoch war bei dieser Sitzung des UNO-Sicherheitsrats eine Geste gemacht. Einstimmig waren „ernsten und glaubenswürdigen Schritten Marokkos, die in Richtung der Lösung gemacht waren“, begrüßt. Sogar auch vom Vertreter Südafrikas Dumisani Kumalo, der während der Debatte den Resolutionsentwurf des Sicherheitsrates über die Westsaharafrage, wegen des Schweigens über die Menschenrechtslage und die Tendenz, „den Vorschlag einer Streitpartei über die andere zu stellen“, scharf kritisiert hatte.

Dumisani Kumalo hat eigentlich das geäußert, was sich seit langem in der Frage des Westsaharas gezeichnet hat. Marokko, das Westsahara als eigenes Territorium behandelt, bekam Unterstützung sowohl aus Frankreich als auch aus den USA. Offensichtlich haben die beiden Mächte die Politik der vollendeten Tatsache angenommen. Militärisch hat sich Marokko auf 85% des Territoriums des Westsaharas durchgesetzt. Marokko ist sogar gelungen, durch massive Umsiedlung von Marokkanern, die Bevölkerungsstruktur in Westsahara zu seinem Vorteil zu ändern. Die Regierung Westsaharas befindet sich seit 30 Jahren im Exil und ist, zusammen mit etwa 130.000 Flüchtlingen um die algerische Stadt Tindouf installiert. Militärisch hat sie keine Macht, um die Situation zu seiner Gunst umzudrehen. Sie ist von der algerischen Unterstützung völlig abhängig. Algerien, wiederum, ist nicht bereit, sich mit Marokko wegen Polisario in einen offenen bewaffneten Konflikt einzulassen. Das wäre sowohl innen- als auch außenpolitisch zu riskant. Ein so mächtiger Unterstützer, wie es einmal die Sowjetunion war gibt es nicht mehr. Nicht zuletzt deshalb respektiert der Saharawische Widerstandsbewegung Polisario seit dem 6. September 1991 den Waffenstillstand. Das Wort haben die Diplomatie, die Geduld und die Zeit.

Die Diplomatie schien bisher auf die Seite des Polisarios zu sein. Seit sich die Spanier aus ihrer früheren Kolonie zurückgezogen haben, bestand Polisario auf dem Selbstbestimmungsrecht und auf das Prinzip, Grenzen aus der Kolonialzeit nicht zu ändern, vor allem nicht mit Gewalt ebenfalls. Deshalb fand Polisario Unterstützung bei fast allen anderen afrikanischen Staaten. Als Westsaharische Demokratische Republik wurde sie in der Organisation der afrikanischen Union und in der Afrikanischen Union angenommen, zum größten Ärger von Marokko, der deshalb beide panafrikanischen Einrichtungen boykottierte.

Marokko stützte sich auf ein anderes Argument: das historische. Tatsächlich, vor vielen Jahrhunderten, dehnte sich Marokko vom Mittelmeer bis zum Senegal aus. Ende 16. Jahrhunderts eroberten marokkanische Truppen sogar Timbuktu, im heutigen Mali. Später aber kamen europäische Kolonialeroberer. Marokko wurde zerstückelt. Franzosen wandelten ihn in ein Protektorat. Spanier entrissen das heutige Westsahara, die Enklave Ifni und den Rif im Norden. Dort hielten sie bereits seit dem Ende 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts die Enklaven Ceuta und Melilla. Von den Gebieten in Sahara gründeten Franzosen eigene Kolonialgebiete. Mauretanien und Mali, dessen Territorien Marokko einmal beherrschte, wurden in die Unabhängigkeit entlassen. Ein großer Teil von Sahara wurde Algerien noch bevor die Abgrenzung zwischen den zwei Staaten richtig erfolgte, zugeteilt. Die Erinnerung auf das vorkoloniale Ruhm und Größe blieb aber erhalten. Jede politische Partei in Marokko bekennt sich dazu. Die islamistische PJD ebenfalls.

Im Fall Westsaharas, prallen zwei Prinzipien aufeinander: das Völkerrecht und das historische Recht. Vor den internationalen Instanzen wiegt das Völkerrecht üblicherweise mehr. Nun, im Falle der Westsahara gibt es ein Problem. In den siebzigen und achtzigen Jahren, war Polisario von Algerien aktiv unterstützt. Sogar algerische Soldaten, verkleidet als Polisariokämpfer, haben in Westsahara gegen Marokko gekämpft. Warum hat Algerien Polisario unterstützt? Aus bloßer Sympathie? Natürlich nicht. War Algerien, das in Konflikt mit Marokko stand und im sogenannten „Sandkrieg“ 1963 eine Niederlage erlitt, Revanchesüchtig? Das wäre vorstellbar, aber bei den Kriegen, und das beweißt die Geschichte, geht es um andere Ziele. Westsahara könnte ein Fenster zum Atlantischen Ozean sein. Dort gab es Phosphate, sehr reiche Fischbestände und Hoffnung auf Öl. Auch die Beförderung des Eisens aus dem Bergwerk Gara Djebilet wäre erleichtert. Dieses Bergwerk, das etwa 130 Kilometer südwestlich von Tindouf liegt ist nur 300 Kilometer vom Atlantischen Ozean entfernt. Für Algerien wäre die Möglichkeit, das Eisen aus diesen Bergwerken direkt zum Atlantischen Ozean zu bringen von unvorstellbarem Wert (und Gewinn), weil die Reserven des Eisens in Gara Djebilet die reichsten der Welt sind. Nun, da der Weg zum Atlantischen Ozean versperrt ist, bleibt Algerien nichts anderes übrig, als das Eisen weiter zum 1.600 Kilometer entfernten Mittelmeer zu transportieren was sich auf den Kosten entsprechend auswirkt. Früher konnte Algerien mit der Unterstützung von einigen befreundeten Staaten wie Ägypten von Gamal Abdel Nasser oder den Kubaner rechnen. Diese Staaten haben ihm, beim Sandkrieg sogar kleine militärische Kontingente geschickt. Alles mit dem Segen der Sowjetunion, der ein geopolitisches Interesse daran sah, Marokko, der Hauptalliierte des Westens, in die Zange zu nehmen und ihn zu schwächen. Marokko kam diesem Absicht zuvor. Am 6. November 1975 mobilisierte der damalige marokkanische König Hassan II etwa 350.000 Männer und organisierte – mit dem US Segen – den spektakulären „Grünen Marsch“ in die von den Spaniern verlassenen Westsahara. Kurz danach, am 27. Februar 1976 war die Arabische saharawische Republik ausgerufen und der Kampf der Polisario – was eigentlich die Abkürzung für das Volksfront für die Befreiung von Saguia el Hamra und Rio de Oro ist – fing an.

Am Anfang war Polisario erfolgreich. Bis 1980 kontrollierte die Bewegung 90% des Gebietes Westsaharas. Die Rudimente einer Staatsorganisation nach algerischem und sowjetischem Muster entstanden. Aber die andere Seite schlief nicht. Die US Hilfe an Marokko wurde verzehnfacht in der Zeit zwischen 1975 und 1976 und die US militärische Hilfe verdoppelt. Mit Hilfe der NATO wurde zwischen 1981 und 1987 ein ganzes System von sechs Sandmauer in gesamter Länge von 2.000 Kilometer in Westsahara errichtet. Unterstützt vor allem durch französischen militärischen Beratern, wagte sich der König Hassan II bereits im März 1981 zu behaupten, dass die Saharaaffäre geschlossen war.

Die Errichtung von Sandwällen ermöglichte Marokko bald 65% des Territoriums der Westsahara unter Kontrolle zu halten. Dafür aber musste Marokko zwei Drittel seiner Armee in Westsahara ständig zur halten. Die Kämpfe flauten ab. Aber der Sieg war noch nicht erreicht, vor allem nicht auf der diplomatischen Ebene. Wegen Westsahara blieb Marokko in Afrika isoliert. Marokkanische territoriale Ansprüche wurden als ein gefährlicher Präzedenzfall betrachtet. Deshalb anerkannten immer mehr afrikanische Staaten die Westsaharische Arabische Republik. 1985 verließ Marokko demonstrativ die Organisation der Afrikanischen Union.

Nun, schaltete sich die UNO in diesem Konflikt ein und übte Druck auf die Parteien, über einen Waffenstillstand zu verhandeln. UNO Friedenstruppen genannt UNMRWS wurden nach Westsahara geschickt. Sie sollten dort ein Referendum über die Selbstbestimmung organisieren. Polisario vertraute der UNO und nahm das Waffenstillstandsangebot an. Doch die Organisation des Referendums zog sich in die Länge. Zwei UNO Generalsekretäre, Perez de Cuellar und Bouthros Bouthros-Ghali waren mit Marokko verbunden. Perez de Cuellar sogar stellvertretender Vorsitzender einer großen marokkanischen Firma. Erst 1997 schien etwas sich in der Frage des Referendums zu bewegen. Der frühere US Außenminister James Baker hat den beiden Parteien aufgezwungen, ein Abkommen über die Richtlinien für die Durchführung des Referendums abzuschließen. Marokko unternahm aber alles, um die Identifizierung der Wähler zu erschweren. Hassan II starb 1999 und es gab Hoffnung, dass sein Nachfolger Mohammed VI mehr Verständnis für die Zusammenarbeit mit der UNO zeigen wird. Doch ab 2001 der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan unterstützte überraschend die marokkanische Haltung. Zwischen Marokko und den Polisario sollen Gespräche geführt werden, aber die Lösung, die suggeriert wurde war jene einer Autonomie im Rahmen des Königreiches Marokko! Der Versuch von James Baker zuerst eine fünfjährige Autonomie für Westsahara zu sichern und dann ein Referendum über den Status Westsaharas zu organisieren scheint ein gerechter Entgegenkommen für beide Seiten zu sein. Allerdings unterstützt sie den Standpunkt Marokkos. Hat übrigens, James Baker nicht gesagt: „Marokko hat den Krieg gewonnen, es hält das Gebiet“?

Das Urteil ist weniger völkerrechtlich, als realpolitisch. Allerdings hätten sich die USA lieber mit einem unabhängigen westsaharischen Staat abfinden können. Seit 2001 sucht man in Westsahara nach Öl. Norwegisches „TGS-Nopec“, niederländisches „Fugro“, der französische „Total“ und der US „Keer Mc Gee“ waren auf der Stelle. Nach 2004 ist in Westsahara nur die US Ölfirma „Keer McGee“ geblieben. Vielleicht ist das der Grund warum sich die USA, trotz ihrer Unterstützung an Marokko, weigern marokkanische Souveränität über Westsahara anzuerkennen. Jedenfalls war Mohammed Abdelaziz, der Präsident der Arabischen saharawischen und demokratischen Republik – wie Westsahara jetzt offiziell heißt – ein willkommener Gast beim Jahrestag der US Republikaner gewesen. Offensichtlich, lässt Washington sich eine Tür zur Westsaharakombination offen. Im Augenblick wäre im Marokko aber strategisch wichtiger. In den diplomatischen Kreisen munkelt man bereits, dass es Franzosen waren, die die USA dazu gebracht haben, in der Frage Westsaharas, Marokko zu unterstützen. Angeblich gibt es darüber sogar ein geheimes Abkommen.

Frankreich, natürlich hat seine Gründe Marokko in diese Frage zu unterstützen, vor allem jetzt als der französische Präsident Nicolas Sarkozy sich für die Errichtung einer Mittelmeerunion einsetzt, um nordafrikanische Staaten auf europäische und noch mehr französische politische, strategische und wirtschaftliche Interesse anzubinden. Marokko sollte dabei eine Schlüsselrolle spielen. Deshalb hat Frankreich mit Marokko Wirtschaftsabkommen im Wert von drei Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre abgeschlossen. „Für eine Handvoll Euros“ titelte bitter die algerische Zeitung „L’Expression“ vom 25. Oktober 2007.

Aber so ist in der Politik. Man verhandelt oder übt Druck. Der berühmt berüchtigter internationale Think-tank „International Crisis Group“ erklärt in seinem Bericht vom 11. Juni 2007, drängt ebenfalls auf die Lösung der Frage der Westsahara in der Form einer Autonomie im Rahmen Marokkos. Dabei weist „International Crisis Group“ auf das Beispiel der nordirländischen Widerstandsbewegung „Sinn Fein“ auf. Diese Widerstandsbewegung hat sein Ziel, vereintes Irland, keinesfalls aufgegeben, aber unter den gegebenen Umständen wirkt sie im Rahmen des britischen Staates. Internationale Organisationen üben auf die Westsaharier in den Flüchtlingslagern ebenfalls Druck. Der Saharawisch Roten Halbmond wirft der Welternährungsorganisation vor, dass ihre Hilfe an den Flüchtlingen sehr spärlich und unregelmäßig ankommt. Laut dem Saharawischen Roten Halbmond haben Kinder, Frauen und Alten seit Anfang Oktober ihr tägliches Brot bekommen. Es ist zu erwarten, dass die Flüchtlinge auch ihren Quota an Zucker nicht bekommen werden. In den Lagern, behauptet der Saharawische Rote Halbmond leiden 68% der Kinder an Anämie und 39% der Kinder an Unterernährung. Tatsächlich hat die Welternährungsorganisation am 17. Oktober 2007 bestätigt, dass der Zufuhr von Nahrungsmitteln in den Lagern der Flüchtlinge aus Westsahara im Oktober 2007 eine Folge des unerwarteten Vertragsabbruchs für den Einkauf von Nahrungsmitteln sei.

Die hohe Politik verfolgt seine Interessen unermüdlich. Im Namen der historischen Rechte oder des Völkerrechtes und eigentlich der Macht und Profitgier benachteiligt man die Menschenrechte. Flüchtlinge, dass weißt man schon seit langem, sind nur noch Mittel zum Zweck. Scheinheilig beobachtet die Weltöffentlichkeit ihr Schicksal, schüttert misstrauisch mit dem Kopf, unternimmt aber nichts um die Prioritäten der Politik und der Wirtschaft zu ändern. Ist Solidarität für die Förderung des Wohls nicht wichtiger als Herrschaftsgebiete und sogenannte historische Rechte? Hat die Minderung ihres Leides nicht Vorrang vor der Besitzeinahme von Rohstoffsquellen? Falls es so weiter gehen wird, wer weiß, welches Volk wird das Schicksal der Palästinenser, Kurden und Saharawier teilen: Jahrzehnten vielleicht ein ganzes Jahrhundert Geisel der internationalen Politik zu bleiben. Weint, o geliebte Völker. In ermangeln der Solidarität und der Humanisierung der Verhältnisse innerhalb der menschlicher Gesellschaft, in Ermangelung der politischen und geistigen Führung, bleibt euch nichts anderes als zu weinen und euer Schicksal zu erdulden.

Bericht von Vladislav Marjanovic - Journalist für Radio Afrika

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen