Samstag, 8. November 2008

Barack Obama - Messias oder Ikarus?

Die internationale Wirtschaftspresse von Kanada bis China und Australien ist mehrheitlich begeistert über die Wahl von Barack Obama zum neuen US-Präsidenten. Skeptische Stimmen kommen von russischen Blättern, die vor zu großer Euphorie warnen: Nicht Obama, sondern mächtige Lobbyisten kontrollierten Washington. Fundstück: "Yes, we can Freunde sein".

Aus Sicht der Washington Post erbt Obama "Probleme von historischem Ausmaß". Seit Franklin D. Roosevelt zu Zeiten der Great Depression 1933 als neuer Präsident antrat, habe kein Präsident ähnlich große Herausforderungen meistern müssen wie jetzt Obama. Im eigenen Land müsse er die Wirtschaft wiederbeleben, im Ausland sein Versprechen, den Irak-Krieg zu beenden, erfüllen sowie Al Quaida und die Taliban in Afghanistan bekämpfen. Dabei werde Obama sehen, inwiefern sein Sieg auf die Ablehnung von Präsident Bush und der Republikaner oder aber die Umarmung einer demokratischen Regierung zurückzuführen sei. Neben der Interpretation seines Mandats müsse Obama jetzt beweisen, dass er seine Wahlkampfversprechen hinsichtlich Steuern, Gesundheitssystem, Energiepolitik und Bildung in ein Set von gesetzgebenden Prioritäten für die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit umwandeln könne.

Das konservative Wall Street Journal moniert, dass Obamas erste Rede nach der Wahl voll von Phrasen und Passagen gewesen sei, die suggerierten, dass die USA vor dem Kollaps stünden. In Wirklichkeit sei jede Nation ein "Work in Progress", mit gravierenden Problemen - das größte sei das Zusammenbrechen des städtischen öffentlichen Schulssystems. Gleichwohl sei es beleidigend, wenn Obama impliziere, dass die Vereinigten Staaten mit ihren Menschen und Institutionen, die seit 40 Jahren daran arbeiteten, den Lebensstandard im Land zu erhöhen, sich nicht mit den "Träumen der Staatengründer" messen könnten. "Obamas Messianismus könnte ihm zum Verhängnis werden. Daher wäre es sinnvoll, wenn er seine Flughöhe bis zur Antrittsrede senken würde. (…) Die Vorstellung der Staatengründer vom ,Wandel' waren tatsächlich bescheidener als die von Obama - dies muss er abwägen, bevor er seine Anhänger auf eine Reise zur Sonne mitnimmt", want die Wirtschaftszeitung vom der Schicksal Ikarus'.

Globe and Mail aus Kanada sieht ebenfalls große Herausforderungen für Obama, glaubt jedoch, dass der schwarze Präsident anders als seine jüngsten Vorgänger eine "mächtige Waffe" besitze: Während frühere Präsidentschaftswahlen die kulturellen Risse offenbart hätten, die Amerika plagten, sei die Obama-Wahl ein "Akt der Vereinigung" gewesen. Obama habe nicht nur die trostlosen Städte des vom industriellen Abschwung geplagten Mittleren Westens erobert, sondern auch das "Cockpit der Segregation", Virginia, sowie die landwirtschaftlichen Gebiete in Iowa; Obama habe passioniert die Afroamerikaner mit der "widerwilligen" weißen Arbeiterklasse vereint. Jetzt komme es darauf an, diese kulturelle Koalition zusammenzuhalten. "Die Amerikaner haben uns erneut bewiesen, dass sie ein faszinierendes, frustrierendes und kompliziertes Volk sind. Sie haben einen schwarzen Mann mit wenig Erfahrung in der Chefetage ausgewählt, um sie in gefährlichen und komplexen Zeiten zu führen", schließt das kanadische Blatt.

La Libre aus Belgien meint, dass die Hauptaufgabe von Obama darin bestehe, das katastrophale Erbe von George W. Bush zu verwalten. Dessen Kampf gegen den Terrorismus sei alles andere als ein Erfolg gewesen: In Afghanistan sei es den USA nicht gelungen, den Frieden zu stärken, im Gegenteil: Die Taliban hätten wieder eine Stärke erlangt, die den jungen Staat bedrohe. Der Irak, wo Bush die Arbeit nicht beendet habe, die sein Vater abgelehnt habe, erlebe die "mörderischsten Jahre" seiner jüngeren Geschichte. Im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus habe Bush die fundamentalen Prinzipien der amerikanischen Verfassung unterminiert, indem er die Freiheit beschränkt und Folter gutgeheißen habe. "Kurzum: Es ist ein krankes Amerika, das der neue US-Präsident erbt."

"Nur Satan wäre schlechter gewesen als das Bush-Regime", kommentiert die russische Prawda die US-Präsidentschaftswahl. Gleichwohl sei das amerikanische Volk mit der Wahl für Obama wieder in den "Schoß der internationalen Gemeinschaft" zurückgekehrt. "Willkommen zurück, Freunde!" Obama habe zwar eine Mission und einen Traum, die Welt verändern werde er jedoch nicht, vielleicht sogar noch nicht einmal die USA, zumindest nicht in der näheren Zukunft. "Mächtige Lobbyisten kontrollieren die Strippen, die wiederum die Marionetten in Washington kontrollieren - daher muss nicht Washington, sondern müssen die unsichtbaren Barone, die die Politik diktieren, verändert werden." Der neue Präsident werde schnell lernen, dass der Rest der Welt nicht an einem Raketen-Abwehrschild in Osteuropa interessiert sei, keine US-Truppen im Irak sehen möchte und auch nicht einen Wandel der Welt durch die USA befürworte. Fazit: "Lasst uns gemeinsam Brücken bauen, unsere Kulturen gegenseitig respektieren und Freunde sein."

Auch die russische Tageszeitung RBKdaily warnt vor zu großer Euphorie über den Sieg Barack Obamas. Die Geschichte zeige, dass Präsidenten, die in Krisenzeiten als Hoffnungsträger gewählt werden, schnell an Popularität einbüßten. Als Beispiel führt das Blatt Präsident Carter an, der 1976 gewählt und bereits nach einer Amtszeit abgewählt wurde. "Obama muss eine Reihe unpopulärer Maßnahmen ergreifen, um die US-Wirtschaft zu retten", schreibt die Zeitung. Die Krise werde die Obama-Administration die nächsten Jahre beschäftigen und bedeute ein Ende der expansiven Außenpolitik der USA. Moskau müsse die relative Schwäche Amerikas nutzen, um Zugeständnisse zu fordern, darunter ein Verzicht auf die Raketenabwehranlagen in Polen und Tschechien sowie ein Ende der Unterstützung der "Regime in Georgien und der Ukraine".

Der Business Spectator aus Australien geht davon aus, dass Obama, obwohl er der Kandidat der Linken gewesen sei, als "Zentrist" auftreten werde: "Er wird in die Industrie eingreifen - wie die Welt in die Billionen-Banken-Industrie eingegriffen hat. Er wird versuchen, Investment-Entscheidungen zu beeinflussen. Er wird nicht davor zurückschrecken, Geschäfte zu übernehmen, die sich unethisch verhalten haben. Er wird die Wall Street re-regulieren. Er wird den Reichen die Steuererleichterungen nehmen und sie der Mittelschicht geben. (…) Er wird das Handwerk stärken. Er wird gegenüber Freihandels-Abkommen misstrauisch sein - möglicherweise auf Kosten des Welthandels. Er wird außerdem der Welt die Hand reichen, nicht als arroganter Führer, sondern als Ebenbürtiger, als Partner."

"Wir wünschen ihm das Beste, wenn er versucht, Amerika so schnell wir möglich aus dem finanziellen Sumpf zu führen und die größte Wirtschaft der Welt mit neuen Ideen und Visionen zu stärken," schreibt China Daily aus Peking - ein starke US-Wirtschaft sei im Interesse von China und aller Länder, die mit ihr Handel betrieben. Außerdem sei zu hoffen, dass es neue Impulse für das "relativ freundliche und konstruktive" bilaterale Verhältnis von China und den USA gebe. Mit einem 1,3 Milliarden-Volk sei China ein Wachstumsmarkt, der mehr und mehr Güter aus den USA beziehen werde. Dadurch entstünden einerseits neue Jobs in den USA, andererseits würden minderwertigere und arbeitsintensivere Jobs von China in andere Schwellenländer verlagert, da China auf der "industriellen Leiter" aufsteige, wodurch ein Handels-Gleichgewicht zwischen den Wirtschafts-Schwergewichten entstehe, hofft das chinesische Blatt.

Medienjournalist Dirk Manthey kritisiert auf meedia.de die "zähe Wahlberichterstattung auf allen TV-Kanälen" in den USA. Einerseits habe es kein Sender geschafft, "gefühlt länger als 5 Minuten" ohne Werbe-Unterbrechung auszukommen - inklusive Prostata-Pillen, Versicherungen und Autowerbung aus Japan. Andererseits hätten die Moderatoren der großen Networks erstaunlich blaß gewirkt: "Brillierten vor vier Jahren noch die Anchor-Dinosaurier Peter Jennings (ABC), Dan Rather (CBS) und Tom Brokaw (NBC), so fehlt deren Nachfolger, allesamt in der 10 Mio. Dollar-Gehaltsklasse, einfach das Charisma und die Souveränität." (…) In der letzten Nacht wurden die Zuschauer aber mit langatmigem Gerede, unendlichen Zahlen und schwer verständlichen Charts erschlagen." Unabhängig von der Schlappe der Medien beobachtet Manthey in Chicago den "Konsumstreik" der Amerikaner: "Die Geschäfte und Restaurants sind gespenstisch leer. Leute sparen, wo immer es nur geht. Der Tourismus ist zusammengebrochen, die Hotels sind schlecht besucht."

Fundstück: "Yes, we can Freunde sein"

"Yes, we can Freunde sein", titelt die Bild-Zeitung und enthüllt die "Gute-Laune-Geheimnisse" von Obama - er sei u.a. cool, fit, ehrlich, habe ein Saubermann-Image und komme aus Hawai - wo man lerne, alles ein bisschen gelassener zu sehen. Bild-Edelfeder Franz-Josef Wagner vergleicht in seinem Brief an Obama die Wahl-Nacht am Fernseher damit, wie sich die Leute vor 3000 Jahren um ein Feuer scharten. "Vor 3000 Jahren musste man zu Fuß zum Feuer gehen. Die Leute waren barfuß. Sie aßen Datteln und pressten Palmblätter aus, um auf dem Weg zum Feuer nicht zu verdursten. Das ist heute nicht anders. Ich lebe im 6. Stock. Ich habe Internet. Mein Vermieter wirft mich raus, wenn ich die Miete nicht bezahlen kann." Wagners Fazit: "Lieber neu gewählter Präsident, das sind die Tatsachen. Helfen Sie uns, glücklich zu werden."

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