Von Christian Teevs, Wiesbaden
Ein Landesverband zerstört sich selbst: Die vier Abweichler werfen Andrea Ypsilanti vor, ihre Partei wie eine Sekte zu führen, der Generalsekretär kontert – und veröffentlicht persönliche E-Mails einer Rebellin. Die hessischen Sozialdemokraten scheinen kaum noch politikfähig.
Wiesbaden – Die Vorwürfe sind knallhart - und sie richten sich direkt gegen Andrea Ypsilanti: "Personenkult", "Züge von Religion" und mangelnden "Respekt" - in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen" erheben Jürgen Walter und seine drei Mitstreiterinnen schwere Anschuldigungen gegen die hessische SPD-Parteichefin. Ihre Bedenken gegen Ypsilantis Linksbündnis seien nicht ernst genommen worden – nun würden sie von der Parteiführung als Verräter und Lügner beschimpft. Hintergrund ist die Weigerung von Walter, Carmen Everts, Silke Tesch und Dagmar Metzger, Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen.
Ypsilantis Lager weist die Vorwürfe entrüstet zurück, und auch hier wird schweres Geschütz aufgefahren. Generalsekretär Norbert Schmitt veröffentlichte auf der SPD-Homepage Auszüge aus E-Mails, die er von der Abweichlerin Everts erhielt. Überschrift: Zitate kurz vor der "Gewissensentscheidung" – das letzte Wort in Anführungszeichen gesetzt. So demonstriert Schmitt seine Überzeugung, die vier hätten keineswegs aus Gewissensgründen gehandelt.
In den E-Mails vom 29. Oktober schreibt Everts, dass sie "keiner öffentlichen Aufforderung" bedürfe und "nie einen Zweifel daran gelassen" habe, die rot-grüne Minderheitsregierung und Ypsilantis Wahl zur Ministerpräsidentin zu wollen.
SPD setzt den Weg der Selbstzerstörung fort
Es ist davon auszugehen, dass Everts kaum damit einverstanden war, ihre E-Mails im Internet zu veröffentlichen. Dass dies trotzdem geschah, zeigt, in welchem Zustand sich die Sozialdemokraten befinden. Der einst stolze Landesverband setzt seinen Weg zur Selbstzerstörung ungebremst fort.
Umso peinlicher wirken die zaghaften Versuche, Kontakt mit der CDU aufzunehmen und eventuell doch noch eine Große Koalition zu wagen - zweifellos aus Angst vor einer grandiosen Niederlage bei Neuwahlen.
Doch Roland Koch kann lässig abwinken: Er verweist darauf, dass die SPD im März beim Hanauer Parteitag eine Zusammenarbeit mit seiner CDU kategorisch ausgeschlossen habe. Diesen Beschluss können die Genossen tatsächlich nicht so einfach aus dem kollektiven Gedächtnis streichen.
Rudolf Dreßler, SPD-Altlinker, forderte beim Fernsehsender "Phoenix" als bislang Einziger, die hessische SPD müsse sich an die Spitze der Neuwahl-Bewegung stellen – um glaubwürdig zu bleiben. Dies ist allerdings ausgeblieben. Ypsilanti hat sich nach ihrem dürren Statement nach dem Zusammenbruch ihrer Ministerpräsidententräume nicht weiter öffentlich geäußert.
Ypsilantis politische Zukunft ist weiter offen
Am Donnerstag soll Ypsilanti Berichten der "Frankfurter Rundschau" zufolge mit Franz Müntefering in Berlin über die Lage reden. Parteisprecher wollten dies allerdings nicht bestätigen. Der SPD-Chef hat ohne Zweifel großes Interesse daran, nicht in den Abwärtssog der hessischen Genossen gerissen zu werden. Doch raushalten kann er sich auch nicht – hinter den Kulissen muss er versuchen, den Schaden für seine Parte zu begrenzen.
Welche Rolle Ypsilanti künftig spielt, ist völlig offen. Bislang gibt es keine offenen Rücktrittsforderungen. Im Gegenteil: Selbst ihre Gegner betonen, Ypsilanti müsse die Suppe, die sie sich eingebrockt habe, selbst auslöffeln. Das heißt: Sie solle bei Neuwahlen noch einmal als Spitzenkandidatin antreten – und sich erst nach einer wahrscheinlich schweren Niederlage zurückziehen.
Am Abend trifft sich in Frankfurt am Main der Landesvorstand. Dabei wird es vor allem darum gehen, so ließen Beteiligte verlauten, Wunden zu lecken und eine gemeinsame Position gegenüber den Abweichlern zu vereinbaren.
SPD-Satire: "Wir geben auf"
Mit den angestrebten Ausschlussverfahren hat der Landesvorstand allerdings nichts zu tun, dies ist allein Sache der mächtigen Bezirke. Walter und Co. haben bereits angekündigt, nicht von sich aus ihre Parteibücher zurückzugeben. Die Verfahren könnten sich also – wie im Falle Wolfgang Clements – monatelang hinziehen.
Derweil ergießt sich in diesen Tagen Hohn und Spott über den hessischen Genossen. In Wiesbaden wurde die SPD vom NDR-Satiremagazin "Extra Drei" hochgenommen. Die Redaktion hatte in der Fußgängerzone einen SPD-Infostand aufgebaut, samt roten Luftballons, Plakaten und Sonnenschirm.
Moderator Tobi Schlegl gab sich als junger Sozialdemokrat aus – und gaukelte den Wiesbadenern vor, seine Partei hätte "aufgegeben". Das Motto der Satire: "Roland Koch ist auch ein guter Mann – wir ziehen uns zurück". Die überwiegende Mehrheit der Passanten glaubte den falschen Genossen aufs Wort.
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