Kapstadt - Neben den jüngsten Kämpfen im Osten des Landes findet sich ein weiteres Indiz dafür in der Ankündigung des angolanischen Außenministers Georges Chicoty, Soldaten seines Landes in den Kongo zu schicken. Allerdings wollte Chicoty nicht verraten, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Stärke dies genau geschehen werde. Seine Regierung behalte die Situation aber genau im Auge, um schnell reagieren zu können, sagte Chicoty der BBC. Zuvor schon hatte der Staatenbund des südlichen Afrika (SADC) nach einem Gipfel in Johannesburg angekündigt, sofort Militärexperten zur Sondierung der Lage in den Kongo zu entsenden und Kongos Armee zu unterstützen. Jenseits des bereits bestehenden UN-Einsatzes könnte eine Intervention der SADC zu einer gefährlichen Ausweitung der Krise führen.
Die Angolaner würden ihrerseits im Ostkongo die kongolesische Armee unterstützen, die dort seit langem vergeblich versucht, die Rebellenarmee des abtrünnigen Tutsi-Generals Laurent Nkunda an ihrem Vormarsch zu hindern. Nkunda wird vermutlich vom Nachbarstaat Ruanda mit Waffen und Logistik geholfen – ein Vorwurf, den die Regierung in Kigali zurückweist.
Sollte es tatsächlich zu einem nicht von den UN oder der SADC sanktionierten Eingreifen der Angolaner kommen, würde die lokale Krise in der ostkongolesischen Provinz Nordkivu fast sicher zum Regionalkonflikt werden, glaubt auch Jean Paul Dietrich, der Schweizer Sprecher der UN-Mission im Kongo (Monuc). Entsprechend skeptisch ist Dietrich gegenüber den Plänen der Angolaner.
Eine Eskalation wäre schon deshalb unvermeidlich, weil ein solcher Schritt im Gegenzug fast sicher Ruanda auf den Plan rufen würde. Dessen Tutsi-Regierung verfolgt nach dem dortigen Völkermord der Hutus an den Tutsi im Jahre 1994 eigene Sicherheitsinteressen in der Region und fühlt sich dabei vor allem von den damals in den Ostkongo geflüchteten Hutu-Extremisten bedroht. Die gehen systematisch gegen die Tutsi-Minderheit der Region vor, zu der auch General Nkunda gehört. Alle Forderungen Ruandas an den Kongo, endlich mit Nachdruck gegen die Hutu-Miliz vorzugehen, sind bislang sowohl von der Zentralregierung in Kinshasa als auch von der im Land stationierten UN-Truppe ignoriert worden.
Für den Westen ist der komplizierte Konflikt nur schwer vermittelbar, weil es sich um ein unüberschaubares Gestrüpp von Krisen und Konflikten handelt: Zu ihnen gehören die Bürgerkriege in Uganda, im Sudan und in Burundi, die Nachwehen des Völkermordes in Ruanda sowie die Erbfolgekriege im Kongo nach der Vertreibung des langjährigen und inzwischen verstorbenen Diktators Mobutu Sese Seko. Diese Komplexität hat dazu geführt, dass der seit langem schwelende Krieg bis vor kurzem wieder aus dem Blick der Weltöffentlichkeit verschwunden war – und nun vor allem deshalb zur Kenntnis genommen wird, weil die Lage zuletzt erneut eskaliert ist. Dabei handelt es sich im Kongo um den vermutlich größten Krieg im postkolonialen Afrika. Es ist ein Krieg, der bislang nach UN-Angaben rund fünf Millionen Menschen – zumeist indirekt – das Leben gekostet hat: Etwa zehn Prozent der Toten sind Schätzungen zufolge gewaltsam gestorben; die große Mehrheit ist Hunger und Krankheit als Folge der Kriegswirren zum Opfer gefallen.
Seinen Ausgang nahm der gegenwärtige Krieg im Jahre 1998. Damals erhob sich im Osten des Kongo die Tutsi-Minderheit, um den korrupten Staatschef Laurent Kabila zu stürzen, den wenig später ermordeten Vater des jetzigen Staatschefs Joseph Kabila. Kabila senior hatte kurz zuvor, nach der Vertreibung von Langzeitdiktator Mobutu, dort angeknüpft, wo dieser aufgehört hatte. In völliger Selbstüberschätzung der eigenen Stärke warf er die Ruander aus dem Land, die ihn kurz zuvor an die Macht gebracht hatten, und verbündete sich stattdessen mit deren Todfeinden, den Hutu-Extremisten, die nach dem von ihnen in Ruanda begangenen Völkermord an den Tutsi in den Ostkongo geflüchtet waren. Während die Rebellen versteckt Waffenhilfe aus dem benachbarten Ruanda und auch aus Uganda erhielten, eilten damals Angola, Namibia und Simbabwe dem bedrängten Kabila-Regime in Kinshasa zu Hilfe und bewahrten es vor dem Sturz durch die Tutsi. Seither tobt im zentralafrikanischen Becken ein Krieg, den keine Seite gewinnen kann. Es ist ein politischer Konflikt um die Neuordnung des Kongo.
Schon deshalb dürften auch Forderungen nach mehr Truppen, wie sie jetzt von UN-Sprecher Dietrich erhoben werden, allenfalls kurzfristig etwas an der verfahrenen Lage ändern. Gegenwärtig kommen im Ostkongo rund zehn Blauhelme auf 10 000 Zivilisten – eine Zahl die Dietrich für viel zu gering hält, obwohl die UN-Mission mit 17 000 Soldaten die größte der Welt ist. Sie bräuchte Dietrich zufolge mehr als 10 000 weitere Blauhelme, um die Zivilbevölkerung adäquat zu schützen. Doch selbst wenn der Sicherheitsrat zusätzliche Truppen bewilligte, würden diese frühestens ins drei bis sechs Monaten vor Ort eintreffen. Vieles deutet darauf hin, dass dem Kongo eine Neuauflage seiner blutigen Vergangenheit droht.
Von Wolfgang Drechsler Der Tagesspiegel
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