Donnerstag, 27. November 2008

"Freiheit stirbt mit Sicherheit!"

Widerstand gegen neues Versammlungsgesetz in BaWü
Autonomes Medienkollektiv Rhein-Neckar
Baden-Württemberg - Die Regierung Baden-Württembergs hat eine Reform des Versammlungsgesetzes beschlossen. Das neue Gesetz, welches am 1. Januar 2009 in Kraft treten soll, wird die schon jetzt bestehenden Einschnitte des Versammlungsrechtes weiter verschärfen. Das Versammlungsgesetz orientiert sich inhaltlich an dem bayrischen Vorbild.
Die Implementierung in Baden-Württemberg wundert indes nicht, steht doch das 60. NATO-Jubiläum im April nächsten Jahres an. Die Pläne der CDU geführten Regierung hatten und haben in Baden-Württemberg vielerorts breite Proteste zur Folge. So sind beispielsweise eine Reihe von Demostrationen angekündigt.

Auch in Niedersachsen soll nun ein neues Versammlungsgesetz, in Anlehnung an das bayrische Modell, in Kraft treten (1, 2, 3). Hiermit spielen Bayern und Baden-Württemberg erneut eine Vorreiterrolle für repressive Gesetzesentwürfe. Es ist zu erwarten, dass weitere unionsgeführte Länder folgen werden.

Feindaufklärung: Das Innenministerium zur geplanten Gesetzesänderung | Versammlungsgesetz des Bundes im Original
Informatives: Blog zum Versammlungsgesetz in BaWü | Interview in Radio Dreyeckland zur geplanten Reform

Das Gesetz:

Im Folgenden eine Auswahl der massivsten und umstrittensten Änderungen:

1. Organisation von Versammlungen:
  • Neben der Versammlungsleitung sollen nun auch Ordner_innen gezwungenwerden ihre Personalien bei den Behörden anzugeben.
  • Weiterhin soll das Kooperationsgebot (§ 4)"ausdrücklich geregelt und näher ausgestaltet"werden. Im Klartext zwingt dieses Gebot Versammlungsleitung undOrdner_innen zur Zusammenarbeit mit der Polizei. Eine Pflicht zurZusammenarbeit besteht indes für Behörden ausdrücklich nicht.
Beispiel: Ist die Polizei der Meinung, dass eine Situation zueskalieren droht, kann diese die Versammlungsleitung und Ordner_innenauffordern die Versammlung zu beruhigen oder aufzulösen. Auchwenn diese die Situation anders einschätzen sind sie durch dasGesetz zur Mithilfe gezwungen, andernfalls können sie zurVerantwortung gezogen werden.

2. Im Vorfeld von Versammlungen:
  • Das neue Gesetz räumt die Möglichkeit einVersammlungsleiter_innen und Ordner_innen "unter bestimmtenGründen abzulehnen". Ordner_innen, die nach Ansicht derBehörde "ungeeignet" erscheinen die Versammlungsleitung "zuunterstützen", können ohne weiteres abgelehnt werden.
Beispiel: Diese Änderung legitimiert gesetzlich dieWillkür von Behörden. Ist es im Interesse derOrdnungskräfte, dass eine Versammlung nicht oder untererschwerten Bedingungen stattfindet, können diese einfachjede_n Ordner_in ablehnen.

3. Anmelden von Versammlungen:
  • Im Gegensatz zur früheren Anmeldefrist von 48 Stundenmüssen Versammlungen jetzt schon 72 Stunden vorher angemeldetwerden. Weiterhin sollen mitgeführte Gegenstände wieFahnen, Trommeln usw. im Vorfeld angegeben werden.
Beispiel: Spontane oder kurzfristig geplante und beschlosseneVersammlungen sind dann kaum noch umzusetzen. Ferner unterliegenspezielle Aktionsformen massiven Einschränkungen.

4. Verlauf von Versammlungen:
  • Die Polizei kann in Versammlungen eingreifen, sofern Anzeichenfür "erhebliche Gefahren für Sicherheit und Ordnung"bestehen oder wenn der "Eindruck der Gewaltbereitschaft" erweckt wird.Darüber hinaus darf sie präventiv filmen,fotografieren, Personalien aufnehmen und Einzelpersonen festnehmen(§ 19), diese zuvor illegitime aber gängige Praxissoll nun durch das Gesetz legalisiert werden.
  • Außerdem tritt das so genannte Militanzverbot (§7) in Kraft. Wenn durch eine Versammlung der "Eindruck vonGewaltbereitschaft vermittelt werden könnte", kann die Polizeidiese kurzerhand beenden.
Beispiel: Die Frage, wann Gewaltbereitschaft vorhanden ist, ist eineFrage der subjektiven Wahrnehmung. Hier besteht die Gefahr, dassSituationen von der Polizei (bewusst) falsch eingeschätztwerden und es zu unberechtigten Störungen und Festnahmen kommt.

5. Verbot und Einschränkungen von Versammlungen:
  • Ein Grund warum eine Versammlung nach dem neuen Gesetz verbotenwerden kann ist das sogenannte Störungsverbot,nachdem eine andere Versammlung weder gestört, noch zu derenStörung aufgerufen werden darf.
  • Ein weiterer Auslöser für das Verbieten oder derEinschränkung einer Versammlung ist die Anordnung, dassgleichrangige Rechte Dritter (§ 17) nichtbeeinträchtigt werden dürfen.
Beispiel: Findet ein Naziaufmarsch statt, kann eine Gegendemonstrationals Störung angesehen und verboten werden. Durch die Anordnungdie Rechte Dritter zu gewährleisten könnenbeispielsweise Streiks verboten werden, da diese dem Wettbewerb desbestreikten Unternehmens schaden. Kundgebungen auf belebtenPlätzen fallen potenziell auch unter diese Regelung.

6. Das neue Versammlungsgesetz als Eingriff in die Privatssphäre:
  • Ab 2009 gilt schon eine Gruppe von zwei Personen als Versammlung.
Beispiel: Durch dieses Gesetz kann es passieren, dass man alsVersammlung aufgefasst wird, obwohl man nur mit einem/einer Freund_inunterwegs ist und wegen Aussagen oder Handlungen zur Rechenschaftgezogen wird, die keineswegs in einem aktivistischen Kontext stehen.

Fazit:
  • Die von dem Landtag beschlossene Reform des Versammlungsgesetzesbringt weitere massive Einschränkungen des Versammlungsrechtsmit sich, die vor allem darauf abzielen unliebsamen und ungehorsamenProtest zu verunmöglichen. Das ein solches Gesetz etwa einhalbes Jahr bevor die NATO-Konferenz in Baden-Baden und Strasbourgstattfindet verabschiedet wird ist kein Zufall. "Dieser neuste Angriffauf die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Protestes istTeil einer autoritären Entwicklung der vergangenen Jahre, diegesellschaftliche Konflikte zunehmend repressiv durch den Ausbau vonPolizei- und Überwachungsstaat zu unterdrückenversucht", so der AK Antifa Mannheim. Das kürzlich vom Bundbeschlossene BKA-Gesetz bekräftigt dies weiter.
  • Die vagen Ausführungen im Gesetz selbst begünstigenstark eine behördliche Willkür gegenüber undeine Kontrolle des Protestes. Soziale Konflikte und Widerstand werdenals ordnungspolitisches Problem wahrgenommen und entsprechendgehandhabt. Währenddessen wird staatlicherseitsbeständig an Möglichkeiten zur präventivenAufstandsbekämpfung gefeilt. Das neue Versammlungsgesetz zieltgenau in diese Richtung.


Plakat zur Demo in Stuttgart

Die Aktionen:

Bis jetzt fanden Aktionen in mehreren Städten in Baden-Württemberg statt.
So demonstrierten in Mannheim spontan 70 Menschen gegen das neue Gesetz, in Raststatt gab es Infostände und an verschiedenen Orten im Land sind Infoveranstaltungen geplant.

Weiterhin sind drei Demonstrationen angekündigt:
  1. Mannheim, Samstag 29.11. - 13 Uhr Hauptbahnhof.
  2. Stuttgart, Samstag 6.12. - 14 Uhr Lautenschlagerstraße.
  3. Freiburg, Samstag 13.12. - 14 Uhr Rathausplatz (unangemeldet)



Plakat zur Demo in Freiburg

Links:

Einen umfangreichen Pressespiegel stellt das Bündnis für Versammlungsfreiheit zur Verfügung.

Presse (Auswahl):
Pressemitteilungen, Communiqués:
Aufrufe:

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