Samstag, 18. Oktober 2008

Rätsel über Haiders letzte Stunden

Warum raste der verstorbene Rechtspolitiker Jörg Haider bei Nacht und Nebel mit 1,8 Promille im Blut und mit 142 km/h durch besiedeltes Gebiet? Die Aussagen seines Nachfolgers als BZÖ-Parteichef, Stefan Petzner, bleiben ungereimt und lückenhaft.

WIEN - Seit Donnerstag defilierten Tausende Menschen an Haiders Sarg im Wappensaal des Klagenfurter Regionalparlaments vorbei. Zu den Trauerfeierlichkeiten am Rathausplatz werden 30 000 Menschen erwartet. Bis zu 1000 Polizisten stehen zum Schutz zahlreicher Staatsgäste aus dem In- und Ausland bereit. Anschließend wird die Leiche eingeäschert. Die Urne soll im Bärental, dem Haider'schen Familiensitz, beigesetzt werden.

Das Begräbnis ist eine sicherheitspolitische Herausforderung: Neben Bundespräsident, Bundeskanzler und den Landesregierungschefs wird auch der Sohn des libyschen Staatschefs Ghaddafi, Saif al Islam, erwartet, der mit Haider eng befreundet war. Angekündigt haben sich außerdem ranghohe Vertreter rechtsextremer europäischer Parteien. Besonderes Augenmerk richtet der Verfassungsschutz auf Abordnungen von Rechtsextremisten und Neonazis, die aus halb Europa im Anmarsch sein sollen. Dies dementierte ein Kärntner Polizeisprecher , es gebe dafür keine Hinweise.

Vor allem Haiders letzte Stunden vor dem Unfall geben noch viele Rätsel auf. Warum raste der 58-Jährige bei Nacht und Nebel mit 1,8 Promille im Blut und mit 142 Stundenkilometern durch besiedeltes Gebiet? Die Aussagen seines Nachfolgers als BZÖ-Parteichef, Stefan Petzner, bleiben ungereimt und lückenhaft. In einem Fernsehinterview meinte der 27-Jährige, er habe Haider zuletzt zwei Stunden vor dem Unfall gesehen, da habe er keinerlei Anzeichen einer Alkoholisierung bemerkt. „Ich hätte alles getan, um ihn am Fahren zu hindern.“

Laut Angaben der Klagenfurter Staatsanwaltschaft hatte Haider Freitag vergangener Woche vor Mitternacht noch zwei Lokale besucht: Im „Le Carbaret“ in Velden am Wörthersee hatte sich Petzner von ihm verabschiedet, zugleich hatte Haider seinen Chauffeur entlassen: „Hast frei, kannst heimgehen“, habe er laut Augenzeugen zu ihm gesagt. Danach habe er beim „Stadtkrämer“ in Klagenfurt an einer Geburtstagsfeier teilgenommen und sei anschließend zu seinem Familiensitz ins Bärental aufgebrochen, wo er nie angekommen ist.
Ganz Österreich rätselt

Ganz Österreich stellt sich die Frage, wie man sich in zwei Stunden 1,8 Promille antrinken kann. Die Kärntner haben sich schon ihren Reim darauf gemacht: Zu Mutmaßungen wie einem politischen Attentat und der Sabotage am Auto kommt jetzt hinzu, dass jemand Drogen in ein Glas Wein gemischt haben müsse. Die Gerichtsmedizin schließt Drogeneinfluss aus. Haider selbst fühlte sich anscheinend weiterhin in der Lage, das Auto zu steuern, da er im „Stadtkrämer“ auch das Angebot eines Gastes abgelehnt hatte, ihn nach Hause zu fahren.

Die Staatsanwaltschaft erklärte dazu lapidar, für sie gelten die Ermittlungen zum Unfallhergang als abgeschlossen. Haiders Familie jedoch will die Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der Amtsverschwiegenheit verklagen: „Es ist beispiellos, dass Ergebnisse des Obduktionsberichts zuerst an die Medien und erst dann an die Familie gelangen“, hieß es.

Offensichtlich sollte Haiders starke Alkoholisierung vertuscht werden. In Interviews deutet Haiders politischer Ziehsohn Petzner an, dass es zwischen ihm und der Familie einen Disput über die Veröffentlichung des gerichtsmedizinischen Befunds gegeben habe. Der erst vor vier Wochen geleaste VW-Phaeton, den Haider zu Schrott gefahren hatte, muss nun voll bezahlt werden. Das Land Kärnten will sich das Geld von der Familie Haider holen.

Armutszeugnis im Netz

Bei StudiVZ betreiben Jugendliche die Glorifizierung Jörg Haiders. Tausende trauern dort um den verstorbenen Rechtspolotiker und vergöttern ihn - manche scheinen regelrecht verzweifelt und betiteln ihn als „des Volkes größten Sohn“.

Jedes Mal, wenn ich mit deutschen Freunden über die öster- reichische Politik diskutierte, fiel der Name Jörg Haider. Wie aber beispielsweise der amtierende Bundeskanzler Österreichs heißt, konnte mir keiner sagen. Jörg Haider hat das Österreichbild im Ausland nachhaltig geprägt. Jetzt ist der Rechtspopulist vom „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) tot. Als ich am Morgen des 11. Oktober mein Handy einschaltete, wurde ich mit SMS überschüttet. Freunde aus Österreich informierten mich über den Unfall.

Da ich auch einen österreichischen Pass besitze, durfte ich bei der Nationalratswahl vor einigen Wochen erstmals von meinem Wahlrecht Gebrauch machen. Ich habe meine Stimme in einem Dorf abgegeben, in dem knapp jeder dritte Bewohner dem Rechtspopulismus verfallen ist. 28,9 Prozent haben rechts gewählt, Haiders „Bündnis Zukunft Österreich“ bekam in meinem Dorf 7,2 Prozent der Stimmen.

Haider soll bei der Nationalratswahl vor allem junge Wählerinnen und Wähler angesprochen haben. Um dies zu überprüfen, gab ich den Namen des Landeshauptmanns von Kärnten in der Gruppensuchfunktion des Online-Netzwerks StudiVZ ein, wo Tausende Studenten registriert sind. Die Gruppen, denen man dort beitreten kann, sagen angeblich mehr über die Nutzer aus, als deren eigene Profilbeschreibung im Netzwerk. Ich habe festgestellt: Tausende Jugendliche trauern um Jörg Haider und vergöttern ihn, manche scheinen regelrecht verzweifelt und betiteln ihn als „des Volkes größten Sohn“. Allein 300 Gruppen lassen sich aufrufen, wenn man „Jörg Haider“ eingibt. Nur fünf davon nehmen eine kritische Position ein, alle anderen betreiben seine Glorifizierung.

Doch wie konnte es dazu kommen, dass sich junge Menschen Haiders Todesanzeige als Profilbild auswählen? Der BZÖ-Chef hatte immer den Ruf des jugendlichen, sportlichen Politikers. Er suchte den Kontakt zur Bevölkerung und war jemand, an dem sich junge Menschen orientierten. Schade ist, dass sich die vielen jüngeren Haider-Fans nicht inhaltlich mit dem Politiker auseinandersetzten.

Meine Fassungslosigkeit erreicht ihren Höhepunkt, als ich in einer Gruppenbeschreibung „Heil Hitler - Huch Haider“ lese. Was sind das für Menschen, die Mitglied der Gruppe mit dem Titel „Jörg Haider - kein Name, sondern eine Lebenseinstellung“ sind? Oder in jener, die den Untertitel trägt: „Ein Reich. Ein Volk. Ein Landeshauptmann“? Eine Nutzerin bemerkt: „300 Jörg-Haider-Gedenkgruppen - ein Armutszeugnis fürs StudiVZ.“

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