Sonntag, 12. Oktober 2008

McCains Wahlkampf gerät aus den Fugen

Marc Pitzke, New York

Das fehlte John McCain gerade noch: Ein Untersuchungsbericht wirft seiner Vize-Kandidatin Sarah Palin Machtmissbrauch vor. Sein Wahlkampf kommt schon so ins Schlingern: Die Mob-Mengen bei seinen Auftritten werden immer aggressiver. Jetzt bat er selbst um Ruhe - und wurde ausgebuht.

Sarah Palin, die republikanische US-Vizepräsidentschaftskandidatin, präsentiert sich gerne als Sauberfrau vom Lande, die mit Washingtons Kungeleien und Ethikverstößen nichts am Hut habe. Sie laufe "nicht mit der Washington-Herde", sagt die Gouverneurin Alaskas, sondern sei von Kleinstadtwerten geprägt: "Redlichkeit, Aufrichtigkeit, Würde."

Kandidat McCain: Die Attacken gegen Obama werden immer heftiger

Dieses Argument dürfte ihr seit diesem Wochenende etwas schwerer fallen. Denn am späten Freitagabend veröffentlichte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Alaska einen geharnischten Bericht, der Palins blitzblankes Outsider-Image zerstört und sie vielmehr als ultimative Insiderin entlarvt.

Der Bericht wirft ihr Amtsmissbrauch, Unehrlichkeit und unlautere Polit-Mauscheleien vor: Die Gouverneurin habe Druck auf Untergebene ausgeübt, um eine Privatvendetta zu führen - und so das Ethikgesetz verletzt.

"Gouverneurin Sarah Palin missbrauchte ihre Macht", lautet der zentrale, vernichtende Satz des 263-Seiten-Reports, der mit Spannung erwartet worden war. Zur Erleichterung der Republikaner wurde der zwar erst spätabends publikgemacht, zu Beginn eines langen Feiertagswochenendes. Trotzdem: Es war die jüngste Hiobsbotschaft in einem Wahlkampf, der neuerdings völlig aus dem Ruder läuft und jetzt sogar dazu geführt hat, dass McCain auf einer eigenen Veranstaltung ausgebuht wurde.

Hintergrund des Berichts ist ein lange gärender Skandal in Alaska, landesweit inzwischen als "Troopergate" bekannt. Darin geht es um Palins Ex-Schwager Michael Wooten, einen Landespolizisten ("trooper"), der mit Palins Schwester damals in bitterer Scheidung stand.

Die Kommission kam zu dem Schluss, dass Palin illegalerweise versucht habe, den mit ihrer Familie zerstrittenen Wooten aus persönlichen Gründen "aus dem Dienst zu entfernen". Palins Mann Todd habe Alaskas Sicherheitschef Walt Monegan direkt unter Druck gesetzt, "um Wooten zu feuern", und dazu - als Privatmann - widerrechtlich "das Büro der Gouverneurin", deren staatlichen Ressourcen und auch ihre Angestellte benutzt.

Monegan weigerte sich damals, Wooten zu entlassen - und wurde daraufhin selbst von Palin gefeuert. An Monegans Entlassung direkt - begründet mit "Meinungsverschiedenheiten über Haushaltsfragen" - fand die Kommission nichts zu beanstanden, auch wenn Palins "persönliche Agenda" mit eine Rolle gespielt habe. Doch der vorherige Druck auf Monegan durch Palins Ehemann Todd sei "unzulässig" gewesen und habe das Ethikgesetz verletzt.

Palin - die behauptet, Wooten sei gewalttätig gewesen und habe "die First Family bedroht" - hatte sich geweigert, vor dem Ausschuss auszusagen, trotz gerichtlicher Vorladung. Auch das rügt die Kommission in dem Bericht.

Das Lager des Republikaners John McCain stritt die Befunde erwartungsgemäß ab. McCain hatte nach der Benennung Palins zu seiner Vizekandidatin sofort eine Abordnung von Anwälten nach Alaska geschickt, um eine PR-Kampagne gegen die laufende Untersuchung zu führen und sie schon vorab anzufechten.

McCain-Sprecherin Meghan Stapleton verwies auf die einzige Stelle des Berichts, die zu Palins Gunsten interpretiert werden kann: Mit Monegans Entlassung selbst habe Palin "innerhalb ihrer angemessenen und legalen Autorität gehandelt".

Die Hauptvorwürfe aber - dass der Druck auf Monegan Machtmissbrauch gewesen sei - tat Stapleton als "parteilich" und "von Obama-Anhängern geführt" ab - obwohl der Ausschuss im Verhältnis 10:3 von Palin-Parteifreunden besetzt ist. Palin selbst sagte am Samstag, der Bericht beweise, bei der Affäre habe es "nichts Illegales oder Unethisches" gegeben.

Das Wahlkampfteam des Demokraten Barack Obama verzichtete auf eine konkrete Stellungnahme. Stattdessen verbreitete Obama-Sprecher Bill Burtin die AP-Eilmeldung zu dem Bericht abends per E-Mail an die Journalisten - ohne weiteren Kommentar.

Auch wenn der Bericht am Wochenende etwas unterging: "Troopergate" kommt für McCain zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Denn sein Wahlkampf ist in den letzten Tagen auch so schon völlig aus den Fugen geraten.

Das begann, als klar wurde, dass Obama in Umfragen zweistellig zulegte - landesweit sowie in vielen Schlüsselstaaten. Daraufhin verschärfte sich der Ton bei McCains und Palins Auftritten spürbar. Palin und später auch McCain brachten Obamas flüchtige Bekanntschaft mit dem Universitätsprofessor Bill Ayers zur Sprache, der in den sechziger Jahren Mitglied der radikalen Antikriegsbewegung "Weather Underground" gewesen war. "Weather Underground" war für mehrere US-Bombenanschläge verantwortlich.

Obama "treibt sich mit Terroristen herum, die ihr eigenes Land angreifen", rief Palin auf einer Veranstaltung in Colorado - "Innuendos" ("Newsweek"), die das McCain-Team in TV-Spots wiederholte. Obwohl die Agentur AP diese Behauptungen nicht nur als "unbegründet" bezeichnet hat, sondern ihnen sogar eine "unterschwellige rassistische Botschaft" attestierte.

Das Resultat dieser negativen Attacken war bald zu beobachten. Die Palin- und McCain-Auftritte der letzten Tage hatten eine fast hetzerische Atmosphäre. Zuschauer brüllten "Terrorist!", wenn Obamas Name aufkam, oder "Verrat!" und sogar "Tötet ihn!", Letzteres aber wohl auf Ayers gemünzt, nicht Obama. Dazwischen skandierten sie: "USA! USA! USA!"

Vor allem Palin schien diese aggressive Stimmung mit ihrer scharfen Rhetorik noch anzuheizen. Reporter verglichen die Stimmung mit "Lynchmobs" ("Dallas Morning News").

Der Secret Service ermittelte kurz wegen der Todesdrohungen gegen Obama bei einer Palin-Veranstaltung. So brisant wurde das Ganze, dass sich die ersten Republikaner von McCains Wahlkampf zu distanzieren begannen. Zumal sich die Frontalangriffe auf Obamas "Charakter" in den Umfragen nicht zu Gunsten McCains niederschlugen - im Gegenteil.

McCains früherer Chefstratege John Weaver nannte die "wütende Mob-Mentalität" bei den McCain-Events "aus moralischen Gründen" verwerflich. Ex-Präsidentenberater David Gergen befürchtete auf CNN, dies könne "zu Gewalt führen". Der Abgeordnete Ray LaHood kritisierte, Palins Anstachelung "ziemt sich nicht für das Amt, um das sie sich bewirbt".

Die "Baltimore Sun" beschuldigte McCain, "die gestörtesten Elemente unserer Gesellschaft absichtlich anzustacheln". Der republikanische Senator Norm Coleman, der in Minnesota um Wiederwahl kämpft, zog seine eigene, negative TV-Werbung angewidert wieder ab: "In Zeiten wie diesen sollte die Politik nicht noch zur Negativität beitragen."

Innerhalb des McCain-Lagers gibt es nach US-Medienberichten heftige Zerwürfnisse, in welche Richtung der Wahlkampf weitergehen soll. Eine Fraktion, angeführt von McCain-Chefstratege Steve Schmidt, einem Protégé des alten Wahlgurus Karl Rove, fordere aggressive Methoden und halte aufgebrachte Massen dabei für völlig legitim. Eine andere Fraktion scheue vor solchen Mitteln zurück - allen voran McCain, der ja zu Beginn des Wahlkampfes geschworen hatte, keine Schlammschlacht führen zu wollen.

Am Freitag schließlich brach dieser Gewissenskonflikt offen zutage - bei einem Auftritt McCains in Wisconsin. Da sagte ihm ein wutschnaubender Zuschauer ins Mikrofon, er habe Angst vor Obama. McCain sah sich daraufhin veranlasst, seinen Rivalen vor seinen eigenen Anhängern in Schutz zu nehmen: "Er ist eine anständige Person und eine Person, vor der Sie keine Angst haben müssen." Die Reaktion der Menge: Sie buhte.

Dann sagte eine Frau, sie habe gehört, Obama sei "Araber". McCain schnitt ihr mit gequälter Miene sofort das Wort ab: "Nein, Ma'am, er ist ein anständiger Familienmann, ein Bürger, mit dem ich nur Meinungsverschiedenheiten über fundamentale Fragen habe." Später appellierte er: "Wir wollen kämpfen, und ich werde kämpfen, aber wir werden respektvoll sein." Und: "Ich bewundere Senator Obama und seine Errungenschaften." Reaktion: Mehr Buhs.

McCain steckt nun in der Klemme: Er wird die Geister, die er rief, nicht mehr los. Will er sich selbst treu bleiben, muss er die Aggressivität seiner Auftritte und den "hirnlosen Populismus" ("Newsweek") Palins eindämmen - doch wird damit die rechte Basis verlieren. Will er diese Basis halten, muss er seinem Image des Brückenbauers abschwören, an dem er sein Leben lang gearbeitet hat.

McCains TV-Wahlkampfspots, die Obama der "Zusammenarbeit" mit Terroristen bezichtigen, liefen am Samstag jedenfalls weiter hier.

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