Mittwoch, 29. Oktober 2008

Folter in Spanien

Image Die Folter im EU-Staat hat trotz aller Bemühungen auch hochoffizieller Stellen nicht abgenommen; aktuelle Dokumentation
695 DOKUMENTIERTE FÄLLE VON FOLTER IM SPANISCHEN STAAT 2007

Mehr als 5.400 Fälle von Folter in Spanien sind zwischen Januar 2001 und den ersten 5 Monaten 2008 von Menschenrechtsorganismen dokumentiert worden. Eine Studie über Misshandlungen, die in Kürze veröffentlicht werden wird, belegt dass bei nur 12% dieser Fälle insgesamt eine mündlichen Anhörung vor Gericht stattgefunden hat und dass 5% bereits durch ein Urteil in der ersten Instanz hängengeblieben sind.

Im Verlauf des Jahres 2007 wurden 1.025 Fälle von Folter oder Misshandlungen auf Komissariaten, in Gefängnissen, Internierungslagern oder auf offener Strasse registriert. Das bedeutet eine Zunahme von 40% gegenüber den verzeichneten Anklagen vom Vorjahr. So lauten die Ergebnisse des am 31. Mai in Bilbao vorgelegten Berichts der Koordination für Folterprävention (Coordinadora para la Prevención de la Tortura, CPT), die sich aus mehr als 40 menschenrechteverteidigenden Organismen aus dem gesamten Staat zusammensetzt. Dieser jüngste Bericht der CPT detailliert Fall für Fall die Umstände und die prozessuale Situation der 695 dokumentierten Anklagen. Der CPT liegen laut ihren Angaben überdies Informationen über 330 weitere Fälle vor, die jedoch auf die Bitte der Betroffenen hin oder wegen noch laufender Ermittlungen nicht in die Studie einbezogen worden sind.

FALL FÜR FALL

Die gesammelten Daten zeigen, dass Misshandlungen und Folter ein weites Feld umfassen; die Mehrzahl der Betroffenen aber sind soziale AktivistInnen, ImmigrantInnen, Personen in Haft oder Verhaftete unter totaler Kontaktsperre/ incomunicado (siehe hierzu: http://de.indymedia.org/2007/02/167931.shtml
und http://de.indymedia.org/2007/02/167927.shtml). Von den Anklagen stammen 39,6% von AktivistInnen verschiedener Sozialer Bewegungen (insgesamt 285 Anklagen); 11% wurden von ImmigrantInnen erhoben (80); 9,9% sind von Inhaftierten (71 Fälle) und 4,4% stammen von Festgenommenen unter totaler Kontaktsperre im Rahmen des Anti-Terrorismusgesetzes (32 Anklagen). Aus den Zentren für Minderjährige sind 9 Anklagen (1,2%) eingegangen.

Unter den 2007 registrierten Fällen tauchen insbesondere wiederholt Missbräuchlichkeiten auf dem Komissariat Les Corts in Barcelona auf; dort wurden zahlreiche Misshandlungen mit versteckten Videokameras aufgezeichnet. Aber es sind weitaus mehr Fälle..., so etwa die erschütternde Aussage des im Dezember in Durango verhafteten Gorka Lupiañez oder die eines taubstummen Ehepaares, das laut seiner Aussage, geschlagen worden war, nachdem es Lokalpolizisten in der Zeichensprache beleidigt hatte.

Das Ranking der aktuellen Liste wird angeführt von der Lokalpolizei mit insgesamt 220 Anklagen (eine Zunahme von 54% gegenüber 2006), gefolgt von der Nationalpolizei mit einem Zuwachs von 30% = 185 Anklagen. An dritter Stelle steht mit der schier unglaublichen Zuwachsarate von 132%, 128 Anklagen, die autonome, katalanische Polizei. Es folgen die Gefängnisbeamten mit 73 Anklagen und die Guardia Civil, die 66 Übergriffe (32% mehr als im Vorjahr) zu verantworten hat. Auch die autonome, baskische Polizei verzeichnet einen Zuwachs, 128% = 48 Anklagen. Geographisch führend ist Katalanien mit insgesamt 173 Anzeigen entsprechend 69 Fällen. In Madrid haben 119 Personen Misshandlungen/Folter angezeigt; in Andalusien 109; in der autonomen, baskischen Provinz 84 zusätzlich 23 in Navarra. Gallizien verzeichnet 49 Anklagen; das Land Valencia 39 und die Kanarischen Inseln 33.

Weiter benennen die von der CPT erstellten Daten mindestens 115 Todefälle unter Freiheitsentzug (in Gefängnissen, auf Komissariaten, Besserungsanstalten etc.). Damit beläuft sich die traurige Billanz auf 558 Tote zwischen dem 01.Januar 2001 bis Ende 2007 in geschlossenen Einrichtungen des spanischen Staates

BESUCH DES UN-BERICHTERSTATTERS (WIEDEREINMAL)

Als Schlussfolgerung und Einschätzung der abgeschlossenen, definitiven Statistik für 2007 hebt der Sprecher der CPT, Jorge del Cura, "die signifikante Einlegung von Anklagen im Vergleich zu den Vorjahren" und "die Beschwerden darüber, "dass die Untersuchungen weiterhin der Schnelligkeit, Effizienz und der Unabhängigkeit entbehren" hevor. Überdies betont Del Cura "die wiederholte Nichteinführung der staatlichen Mechanismen zur Ausmerzung der Folter, zu der die spanische Regierung nach der Unterzeichnung des neuen Fakultativen UN-Protokollls 2006 verpflichtet ist."

Zwischen dem 07. und 14. vergangenen Mai stattete der Sonderberichterstatter der UNO für Menschenrechte im Anti-Terrorismuskampf, Martin Scheinin, dem spanischen Staat einen Besuch ab und veröffentlichte danach seine professionellen Ergebnisse... Darin warnt er vor "der alarmierenden Zersetzung des spanischen Rechtssystems, das - mit vagen Definitionen - Delikte als Terrorismus klassifiziert, die keiner sind." Scheinin: " An dieser Hürde zu straucheln bedeutet das Risiko zahlreicher Rechtsverletzungen." Der Sonderberichterstatter fordert zudem die Abschaffung des Systems der incomunicación (totale Kontaktsperre) sowie eine Untersuchung des speziellen Systems des Nationalegerichts und dessen Monopol zur Bestimmung anderer Gerichte bezüglich terroristischer Verbrechen. Laut der Beurteilung des UN-Berichterstatters verletzt dies Rechte und führt zu strukturellen Defiziten bei der demokratischen Funktion der Justiz (indem keine Möglichkeit zugelassen ist, sich an eine höhere Gerichtsinstanz zu wenden).

MANGELNDER WILLE VON RICHTER UND GERICHTEN

Nach einer Jahr für Jahr Berichterstattung (dies ist das vierte), bestätigt die CPT, dass sich die von der Brutalität der Sicherheitskräfte Betroffenen, aufgrund der Aufschubs der Prozesse und ungenügenden, rechtlichen Untersuchungen, beim Versuch einen angemessenen Gerichtstitel zu erhalten, zahlreichen Schwierigkeiten gegenüber sehen.
Die Berichte der Koordination beschreiben einen Weg voller Hindernisse in den Gerichten, der sich beim Vertrautmachen bei den meisten der Prozessarchive auftut ..., wie etwa zu diesem:
Im April 2007 verurteilte das Provinzgericht von Almería einen Guardia Civil wegen schweren Verstosses gegen die moralische Integrität zu 15 Monaten Gefängnis und 3 Jahren Suspendierung. Der Beamte hatte im Juli 2005 eine Schägerei begonnen, die den Landwirt Juan Martínez Galdeano von Roquetas, das Leben kostete. Drei Beamte wurden wegen leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, während weitere fünf Guardia Civiles einen Freispruch erhielten.
Monate später verurteilte ein anderes Gericht von Almería einen Angehörigen des getöteten Bauern wegen Körperverletzung zu 6 Monaten Haft. Als die Angehörigen und Verbündeten des Landwirts vor den Gerichtstüren warteten, erschienen dort die Frauen der Guardia Civiles des Reviers mit noch weiteren Demonstranten, bestückt mit Plakaten zur Unterstützung der (Para-)Polizisten. Als der Angeklagte versuchte, ihnen eines davon zu entreissen, kam es zu einer Auseinandersetzung, bei welcher eine der Frauen sich eine Verstauchung des Handgelenks zuzog. Laut dem Richter hat ein böswilliger Vorsatz bestanden, da die Spannung der Situation eindeutig war und der Verurteilte sich über das Risiko zu verletzen bewusst gewesen sei, bevor er gehandelt hat.

Quelle: www.nodo50.org/Documentados-695-casos-de-torturas.html

Übersetzung: tierr@
www.tierra.bloggospace.de

LINKS:

Aktuelle Stellungnahme von Amnesty International zur Folter im Staat Spanien:
"Salz in der Wunde“: www.amnesty.de/länder;
Originalbericht: http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR410062007?open&of=ENG-ESP;
Feature: http://web.amnesty.org/pages/esp-141107-feature-eng

Erste "Nationale Versammlung Gefolterter"
http://de.indymedia.org/2007/02/168229.shtml
http://de.indymedia.org/2007/02/168851.shtml

Zwangernährung eine Form der Folter
http://de.indymedia.org/2007/02/168357.shtml

Auch Lebenslänglich ist eine Art der Folter
http://de.indymedia.org/2007/11/200771.shtml

ZeugInnenaussagen gefolterter Personen
http://de.indymedia.org//2005/09/127238.shtml
http://de.indymedia.org//2005/09/127236.shtml

Folter auf Intensivstation
http://de.indymedia.org/2008/01/204661.shtml

Vergewaltigung einer Frau durch die spanische Guardia Civil ( dtsch.im Kommentar):
http://www.de.indymedia.org/2004/12/102704.shtml
http://www.stoptortura.com

Información sobre torturas en prisiones:
http://www.apdha.org/areas/carceles.asp

Spaniens Antiterrorkrieg im Innern
http://de.indymedia.org/2007/11/198643.shtml

Demokratischer Ausnahmezustand im Baskenland
Link-Übersicht 2005 - 2007
http://de.indymedia.org/2005/06/119234.shtml

Artikel zum "Normalzustand" in spanischen Gefängnissen:
Spanische Gefängnisse vor dem Kollaps
http://de.indymedia.org/2006/10/158207.shtml

Gefangene produzieren die Gitter, die sie einsperren
http://de.indymedia.org/2006/10/158484.shtml

MISSHANDLUNGEN AN JUNGENDLICHEN
"ZENTREN "FÜR" MINDERJÄHRIGE WERDEN ZU GEFÄNGNISSEN
http://de.indymedia.org/2006/10/159507.shtml

EU-Regierungen untergraben Folterverbot
http://de.indymedia.org/2007/02/167939.shtml

Das Geschäft mit dem Schmerz
http://de.indymedia.org/2003/12/69302.shtml

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