Von Markus Dettmer und Severin Weiland
Das Missmanagement bei der Hypo Real Estate war weitaus größer als bisher bekannt. Das belegen interne Dokumente der Finanzaufsicht BaFin, die SPIEGEL ONLINE vorliegen - jetzt sollen die Kontrolleure vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen.
Berlin - Der Bericht, der Einblicke in das Innenleben der Hypo Real Estate gibt, ist 159 Seiten lang. Er handelt von den Taten jenes Bankkonzerns mit dem inzwischen landesweit bekannten Kürzel HRE, der nur mit 87 Milliarden Euro an Staatsgarantien vor dem Untergang gerettet werden konnte - und der im September 2008 die deutsche Finanzbranche an den Rand des Zusammenbruchs führte.
Geschildert wird das Scheitern einer Bank, wie man es nur selten so detailliert offengelegt bekommt.
Seit Ende April beschäftigt sich im Bundestag der HRE-Untersuchungsausschuss mit dem Bankenskandal, auf Antrag von FDP, Linkspartei und Grünen. Am Donnerstag stehen erstmals auch drei Mitarbeiter der Bundesbankenaufsicht BaFin vor dem Ausschuss. Es könnte ein interessanter Auftritt werden - wenn die Zeugen in öffentlicher Sitzung auskunftsfreudiger sind als zuletzt die vier Bundesbanker, die vor dem Gremium auftraten. Denn aus internen Unterlagen der BaFin, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, geht hervor, dass die HRE mit ihren 400 Milliarden Euro Bilanzsumme eine hochriskante Finanzstruktur hatte - und dabei viele der gesetzlich vorgeschriebenen "Anforderungen an das Risikomanagement" nicht erfüllte.
Die Dokumente belegen, dass das Missmanagement der HRE und ihrer irischen Tochter Depfa - dem Zentrum des Problems - weitaus größer war als bislang bekannt. Die BaFin hatte einst die Prüfung der Depfa im Frühjahr 2008 verfügt. Zwei Monate lang durchleuchteten Mitarbeiter der Bundesbank vier Institute der HRE-Finanzholding, darunter die Depfa in Dublin. Ihr Bericht beschreibt Geschäfte, die kaum mehr zu verstehen sind, und astronomische Summen, die meist auf neun Nullen enden.
Dabei kann das Ergebnis auch in einfache Worte gekleidet werden: Mitten in der tobenden Finanzmarktkrise hatte das HRE-Management ihr zusammengekauftes Finanzimperium nicht im Griff.
Die Depfa - ein aggressiver Hedgefonds
Allein 49 Verstöße gegen "das ordnungsgemäße Betreiben der Geschäfte und die Funktionsfähigkeit des Risikomanagements" listet der Prüfbericht der Bundesbank vom 24. Juni 2008 auf - darunter zwölf der Kategorie "gewichtige" Beanstandungen und 29 "mittelschwere". In dem Begleitschreiben, das die Bundesbank-Prüfer drei Tage später an die BaFin schickten, empfahlen sie den Kollegen, den HRE-Vorstand über das Ergebnis zu informieren. Dabei sollte "klar zum Ausdruck gebracht" werden, dass die "teilweise gravierenden Feststellungen insbesondere im Bereich Risikomanagement (...) nicht toleriert werden können", forderten sie.
Die drohende Pleite der HRE - ausgelöst durch die US-Bank Lehman Brothers - allerdings sahen die Prüfer nicht voraus. Stattdessen schlugen sie vor, dass die Bankengruppe bis Ende September 2008 einen ersten Bericht über die Beseitigung der Mängel liefern sollte.
Zu diesem Zeitpunkt war die HRE dann bereits zahlungsunfähig.
Von vorne: Die HRE übernahm im Oktober 2007 für mehr als fünf Milliarden Euro die Depfa in Dublin. Die irische Tochter spielte dann die Rolle einer soliden Pfandbriefanstalt - doch in Wahrheit agierte sie wie ein aggressiver Hedgefonds. Sie refinanzierte langfristige Staatsschulden mit extrem kurzen Krediten.
So lange der Turbokapitalismus funktionierte, ließen sich mit den Zinsdifferenzen satte Gewinne einfahren. Doch in Krisenzeiten ist das Geschäft mit ihnen hochriskant. Schon im Januar 2008 musste die HRE Abschreibungen über 390 Millionen Euro melden. Im Herbst 2008 geriet die HRE dann im Zuge der Pleite von Lehman Brothers ins Trudeln. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank brachte die Kreditvergabe zwischen Finanzinstituten zum Erliegen. Und zerstörte das Geschäftsmodell der Depfa.
Die BaFin indes hatte das Treiben der HRE und insbesondere die Geschäftspraktiken der Depfa schon 2007 kritisch gesehen. Doch sie hatte keine Handhabe, den Kauf zu unterbinden.
Schon im Januar 2008 musste die HRE-Holding der BaFin und der Bundesbank über ihre Liquiditätslage berichten. Im Februar schließlich gab die BaFin der Bundesbank den Prüfungsauftrag. Die Subprime-Krise, der Absturz der Hypothekendarlehen, war da schon in vollem Gang, und die Finanzmärkte hatten die ersten Beben hinter sich. Am 18. Februar 2008 begann die Sonderprüfung. Die HRE war so dilettantisch aufgestellt, dass die Prüfer der Bundesbank ihre Arbeit um eine Woche verlängern mussten, weil die Banker nicht mit den Antworten nachkamen. "Die Rückmeldungen erfolgten erst auf mehrfache Anfrage, so dass personelle Engpässe zumindest in einigen Fachbereichen offenkundig wurden", notierten die Bundesbanker. Offenbar war die Finanzholding mit der Integration der irischen Tochter Depfa überfordert.
Das Misstrauen in der BaFin gegenüber der HRE muss damals tief gewesen sein. Schon am 17. März 2008 schickten die Bundesbank-Prüfer der BaFin auf deren Wunsch hin per E-Mail einen Zwischenbericht aus der laufenden Untersuchung heraus. Auf 15 Seiten listeten sie darin ihre bisherigen Ergebnisse auf - allerdings ohne schon Feststellungen zu treffen.
Die fatalen Resultate folgten dann im Abschlussbericht: Die Banker waren demnach schlicht nicht in der Lage, alle wesentlichen Risiken am Markt zu erkennen. So erfasste der tägliche Liquiditätsreport "nicht alle relevanten Zu- und Abflüsse". Den Marktwert des größten Teils ihrer Wertpapiere und Schuldscheindarlehen ermittelte die HRE-Tochter Depfa nur vierteljährlich. Selbst die internen Organisationsrichtlinien spiegelten "nicht die tatsächlichen Arbeitsabläufe wider". In der gesamten Bank gab es "keine ausreichend zeitnahe Darstellung der tatsächlichen Ertragslage". Wenigstens im Bereich "Ansatz und Bewertung von strukturierten Produkten" waren "die Beanstandungen weniger gravierend".
Wie die BaFin die HRE-Spitze zum Gespräch einbestellte
Am 31. Juli 2008 zitierte die BaFin dann den damaligen HRE-Chef Georg Funke und vier seiner Kollegen für 14 Uhr zu einem Gespräch über die "festgestellten schwerwiegenden Defizite" in ihre Bonner Zentrale - so steht es in einem Sitzungsprotokoll. Das "schlechte Ergebnis" wiege umso schwerer, weil sie "eine systemrelevante Finanzholdinggruppe" sei, also wegen ihrer für das Finanzsystem großen Bedeutung im Pfandbriefgeschäft. Nun "prüfe die BaFin wegen der gravierenden Defizite Maßnahmen".
Mehr als drei Stunden dauerte die Sitzung. Im Beisein von Vertretern der Bundesbank mussten Funke und seine Kollegen ein "Maßnahmenpaket zur sofortigen Abarbeitung" der Mängel präsentieren. Die Banker schlüpften dabei in die Rolle reuiger Sünder: "Die Vorstände hoben hervor, dass sie das Prüfergebnis sehr ernst nähmen und die Einschätzung der BaFin teilten."
Doch die Bankenaufseher konnten sich einen Zusammenbruch des Kreditmarktes nicht vorstellen. Sie vereinbarten mit den Vorständen eine "vierteljährliche Berichterstattung" über den "Umsetzungsstand der Projekte" zur Beseitigung der Mängel. Zur Fälligkeit des ersten Berichts war die Finanzholding allerdings schon auf Stütze angewiesen.
Bundesministerium war nicht unvorbereitet
Möglicherweise können die Zeugen der BaFin - zwei von ihnen nahmen an dem Gespräch teil - am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss aufklären, warum das Ergebnisprotokoll über die Sitzung unter der Nummer 2008/0365174 erst am 13. November 2008 zu Papier gebracht wurde. Das war sechs Wochen nach dem Beinahe-Zusammenbruch des Finanzimperiums.
Die Krisenanfälligkeit der HRE traf die Fachabteilungen des Bundesfinanzministeriums übrigens nicht ganz unvorbereitet. Am 6. März hatte die BaFin das Ministerium über die Anordnung der Sonderprüfung informiert. 14 Tage später folgte eine weitere Information durch die BaFin. Weil der damals zuständige Abteilungsleiter und heutige Staatssekretär Jörg Assmussen in Urlaub war, wurde der Bericht an das Fachreferat weitergeleitet. Auch der Minister wurde nicht informiert.
Am 28. März wiesen die Bankenaufseher von der BaFin das Ministerium - ihre vorgesetzte Behörde - im HRE-Kapitel ihres aktuellen Lageberichts zum Bankensektor nochmals auf die laufende Prüfung hin. Außerdem liege "nunmehr ein erster Zwischenbericht vor". Dieser enthalte allerdings "erst wenige Aussagen zu den wesentlichen Fragestellungen".
Liquidität für nur noch zwei Wochen
Allerdings erfuhr das Ministerium auch, dass die HRE mittlerweile täglich ihre Liquiditätslage an die Bankenaufsicht meldete. Für die Gesamtgruppe liege der Liquiditätsvorlauf "derzeit bei 14 Tagen".
Bei Stresstestmessungen mit Stand Mitte März 2008, "die allerdings kein vollständiges Worst-case-Szenario unterstellen", könnte sich für die Depfa "erstmalig in 20 Geschäftstagen ein negativer Liquiditätssaldo ergeben", wurde festgehalten.
Jedoch hatte sich der Liquiditätsvorlauf verschlechtert: Mitte Mai lag er bei nur noch 13 Tagen.
Der nächste Banken-Lagebericht folgte am 15. August und behandelte das zweite Quartal. In den Augen der Aufseher hatte sich die Situation der HRE nun drastisch verschlechtert. Die BaFin urteilte: "Kritisch ist insbesondere die umfangreiche kurzfristige unbesicherte Refinanzierung der irischen Depfa Bank plc. zu sehen."
Die Rating-Agenturen hatten die Bonitätsnoten für die HRE und die Depfa gesenkt. Das werde die "bisher schon angespannte Liquiditätslage der Gruppe weiter belasten", schrieben die Aufseher und warnten, eine weitere Bonitätsabwertung wäre für "die Refinanzierung der Depfa mit schwerwiegenden Folgen verbunden". Auch eine Selbsteinschätzung der HRE gab die BaFin zu Protokoll: Diese bewertete die Situation demnach "als handhabbar".
Im Übrigen ließ die BaFin das Ministerium in dem Quartalsbericht wissen, dass der Bericht über die Sonderprüfung der HRE mittlerweile vorliege. Kursorisch informieren sie über das Ergebnis: Die Kontrolle habe "umfangreiche und teilweise gravierende Feststellungen insbesondere im Bereich Risikomanagement" erbracht. Die Ergebnisse seien schon mit dem Vorstand in einem persönlichen Gespräch erörtert worden: "Die HRE-Gruppe ist gehalten, die Beanstandungen zügig und konsequent auszuräumen."
Auch einen Termin für die nächste Sonderprüfung hatten die Bankenaufseher schon angepeilt, um zu überprüfen, ob die Mängel im Risikomanagement tatsächlich beseitigt wurden: "Für 2009 ist eine erste Nachschauprüfung vorgesehen."
Sechs Wochen nachdem dieser Lagebericht ans Ministerium ging, kam es zum Beinahekollaps.
Das Missmanagement bei der Hypo Real Estate war weitaus größer als bisher bekannt. Das belegen interne Dokumente der Finanzaufsicht BaFin, die SPIEGEL ONLINE vorliegen - jetzt sollen die Kontrolleure vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen.
Berlin - Der Bericht, der Einblicke in das Innenleben der Hypo Real Estate gibt, ist 159 Seiten lang. Er handelt von den Taten jenes Bankkonzerns mit dem inzwischen landesweit bekannten Kürzel HRE, der nur mit 87 Milliarden Euro an Staatsgarantien vor dem Untergang gerettet werden konnte - und der im September 2008 die deutsche Finanzbranche an den Rand des Zusammenbruchs führte.
Geschildert wird das Scheitern einer Bank, wie man es nur selten so detailliert offengelegt bekommt.
Seit Ende April beschäftigt sich im Bundestag der HRE-Untersuchungsausschuss mit dem Bankenskandal, auf Antrag von FDP, Linkspartei und Grünen. Am Donnerstag stehen erstmals auch drei Mitarbeiter der Bundesbankenaufsicht BaFin vor dem Ausschuss. Es könnte ein interessanter Auftritt werden - wenn die Zeugen in öffentlicher Sitzung auskunftsfreudiger sind als zuletzt die vier Bundesbanker, die vor dem Gremium auftraten. Denn aus internen Unterlagen der BaFin, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, geht hervor, dass die HRE mit ihren 400 Milliarden Euro Bilanzsumme eine hochriskante Finanzstruktur hatte - und dabei viele der gesetzlich vorgeschriebenen "Anforderungen an das Risikomanagement" nicht erfüllte.
Die Dokumente belegen, dass das Missmanagement der HRE und ihrer irischen Tochter Depfa - dem Zentrum des Problems - weitaus größer war als bislang bekannt. Die BaFin hatte einst die Prüfung der Depfa im Frühjahr 2008 verfügt. Zwei Monate lang durchleuchteten Mitarbeiter der Bundesbank vier Institute der HRE-Finanzholding, darunter die Depfa in Dublin. Ihr Bericht beschreibt Geschäfte, die kaum mehr zu verstehen sind, und astronomische Summen, die meist auf neun Nullen enden.
Dabei kann das Ergebnis auch in einfache Worte gekleidet werden: Mitten in der tobenden Finanzmarktkrise hatte das HRE-Management ihr zusammengekauftes Finanzimperium nicht im Griff.
Die Depfa - ein aggressiver Hedgefonds
Allein 49 Verstöße gegen "das ordnungsgemäße Betreiben der Geschäfte und die Funktionsfähigkeit des Risikomanagements" listet der Prüfbericht der Bundesbank vom 24. Juni 2008 auf - darunter zwölf der Kategorie "gewichtige" Beanstandungen und 29 "mittelschwere". In dem Begleitschreiben, das die Bundesbank-Prüfer drei Tage später an die BaFin schickten, empfahlen sie den Kollegen, den HRE-Vorstand über das Ergebnis zu informieren. Dabei sollte "klar zum Ausdruck gebracht" werden, dass die "teilweise gravierenden Feststellungen insbesondere im Bereich Risikomanagement (...) nicht toleriert werden können", forderten sie.
Die drohende Pleite der HRE - ausgelöst durch die US-Bank Lehman Brothers - allerdings sahen die Prüfer nicht voraus. Stattdessen schlugen sie vor, dass die Bankengruppe bis Ende September 2008 einen ersten Bericht über die Beseitigung der Mängel liefern sollte.
Zu diesem Zeitpunkt war die HRE dann bereits zahlungsunfähig.
Von vorne: Die HRE übernahm im Oktober 2007 für mehr als fünf Milliarden Euro die Depfa in Dublin. Die irische Tochter spielte dann die Rolle einer soliden Pfandbriefanstalt - doch in Wahrheit agierte sie wie ein aggressiver Hedgefonds. Sie refinanzierte langfristige Staatsschulden mit extrem kurzen Krediten.
So lange der Turbokapitalismus funktionierte, ließen sich mit den Zinsdifferenzen satte Gewinne einfahren. Doch in Krisenzeiten ist das Geschäft mit ihnen hochriskant. Schon im Januar 2008 musste die HRE Abschreibungen über 390 Millionen Euro melden. Im Herbst 2008 geriet die HRE dann im Zuge der Pleite von Lehman Brothers ins Trudeln. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank brachte die Kreditvergabe zwischen Finanzinstituten zum Erliegen. Und zerstörte das Geschäftsmodell der Depfa.
Die BaFin indes hatte das Treiben der HRE und insbesondere die Geschäftspraktiken der Depfa schon 2007 kritisch gesehen. Doch sie hatte keine Handhabe, den Kauf zu unterbinden.
Schon im Januar 2008 musste die HRE-Holding der BaFin und der Bundesbank über ihre Liquiditätslage berichten. Im Februar schließlich gab die BaFin der Bundesbank den Prüfungsauftrag. Die Subprime-Krise, der Absturz der Hypothekendarlehen, war da schon in vollem Gang, und die Finanzmärkte hatten die ersten Beben hinter sich. Am 18. Februar 2008 begann die Sonderprüfung. Die HRE war so dilettantisch aufgestellt, dass die Prüfer der Bundesbank ihre Arbeit um eine Woche verlängern mussten, weil die Banker nicht mit den Antworten nachkamen. "Die Rückmeldungen erfolgten erst auf mehrfache Anfrage, so dass personelle Engpässe zumindest in einigen Fachbereichen offenkundig wurden", notierten die Bundesbanker. Offenbar war die Finanzholding mit der Integration der irischen Tochter Depfa überfordert.
Das Misstrauen in der BaFin gegenüber der HRE muss damals tief gewesen sein. Schon am 17. März 2008 schickten die Bundesbank-Prüfer der BaFin auf deren Wunsch hin per E-Mail einen Zwischenbericht aus der laufenden Untersuchung heraus. Auf 15 Seiten listeten sie darin ihre bisherigen Ergebnisse auf - allerdings ohne schon Feststellungen zu treffen.
Die fatalen Resultate folgten dann im Abschlussbericht: Die Banker waren demnach schlicht nicht in der Lage, alle wesentlichen Risiken am Markt zu erkennen. So erfasste der tägliche Liquiditätsreport "nicht alle relevanten Zu- und Abflüsse". Den Marktwert des größten Teils ihrer Wertpapiere und Schuldscheindarlehen ermittelte die HRE-Tochter Depfa nur vierteljährlich. Selbst die internen Organisationsrichtlinien spiegelten "nicht die tatsächlichen Arbeitsabläufe wider". In der gesamten Bank gab es "keine ausreichend zeitnahe Darstellung der tatsächlichen Ertragslage". Wenigstens im Bereich "Ansatz und Bewertung von strukturierten Produkten" waren "die Beanstandungen weniger gravierend".
Wie die BaFin die HRE-Spitze zum Gespräch einbestellte
Am 31. Juli 2008 zitierte die BaFin dann den damaligen HRE-Chef Georg Funke und vier seiner Kollegen für 14 Uhr zu einem Gespräch über die "festgestellten schwerwiegenden Defizite" in ihre Bonner Zentrale - so steht es in einem Sitzungsprotokoll. Das "schlechte Ergebnis" wiege umso schwerer, weil sie "eine systemrelevante Finanzholdinggruppe" sei, also wegen ihrer für das Finanzsystem großen Bedeutung im Pfandbriefgeschäft. Nun "prüfe die BaFin wegen der gravierenden Defizite Maßnahmen".
Mehr als drei Stunden dauerte die Sitzung. Im Beisein von Vertretern der Bundesbank mussten Funke und seine Kollegen ein "Maßnahmenpaket zur sofortigen Abarbeitung" der Mängel präsentieren. Die Banker schlüpften dabei in die Rolle reuiger Sünder: "Die Vorstände hoben hervor, dass sie das Prüfergebnis sehr ernst nähmen und die Einschätzung der BaFin teilten."
Doch die Bankenaufseher konnten sich einen Zusammenbruch des Kreditmarktes nicht vorstellen. Sie vereinbarten mit den Vorständen eine "vierteljährliche Berichterstattung" über den "Umsetzungsstand der Projekte" zur Beseitigung der Mängel. Zur Fälligkeit des ersten Berichts war die Finanzholding allerdings schon auf Stütze angewiesen.
Bundesministerium war nicht unvorbereitet
Möglicherweise können die Zeugen der BaFin - zwei von ihnen nahmen an dem Gespräch teil - am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss aufklären, warum das Ergebnisprotokoll über die Sitzung unter der Nummer 2008/0365174 erst am 13. November 2008 zu Papier gebracht wurde. Das war sechs Wochen nach dem Beinahe-Zusammenbruch des Finanzimperiums.
Die Krisenanfälligkeit der HRE traf die Fachabteilungen des Bundesfinanzministeriums übrigens nicht ganz unvorbereitet. Am 6. März hatte die BaFin das Ministerium über die Anordnung der Sonderprüfung informiert. 14 Tage später folgte eine weitere Information durch die BaFin. Weil der damals zuständige Abteilungsleiter und heutige Staatssekretär Jörg Assmussen in Urlaub war, wurde der Bericht an das Fachreferat weitergeleitet. Auch der Minister wurde nicht informiert.
Am 28. März wiesen die Bankenaufseher von der BaFin das Ministerium - ihre vorgesetzte Behörde - im HRE-Kapitel ihres aktuellen Lageberichts zum Bankensektor nochmals auf die laufende Prüfung hin. Außerdem liege "nunmehr ein erster Zwischenbericht vor". Dieser enthalte allerdings "erst wenige Aussagen zu den wesentlichen Fragestellungen".
Liquidität für nur noch zwei Wochen
Allerdings erfuhr das Ministerium auch, dass die HRE mittlerweile täglich ihre Liquiditätslage an die Bankenaufsicht meldete. Für die Gesamtgruppe liege der Liquiditätsvorlauf "derzeit bei 14 Tagen".
Bei Stresstestmessungen mit Stand Mitte März 2008, "die allerdings kein vollständiges Worst-case-Szenario unterstellen", könnte sich für die Depfa "erstmalig in 20 Geschäftstagen ein negativer Liquiditätssaldo ergeben", wurde festgehalten.
Sprich: Das Institut könnten innerhalb dieses Zeitraums zahlungsunfähig sein. Für die HRE sollte der Wert zu diesem Zeitpunkt bei 53 Tagen liegen.Nach bisherigem Stand informierten die Aufseher das Finanzministerium das nächste Mal am 12. Juni, im aktuellen Lagebericht zum ersten Quartal im Bankensektor. Darin heißt es, die Prüfung bei den "relevanten Teilbanken der HRE" sei "inzwischen beendet". Der Abschlussbericht werde Mitte Juni erwartet. Zugleich meldeten die BaFin-Experten: "Die Liquiditätssituation der Gesamtgruppe hat sich insgesamt verbessert." Bei den kurzen Laufzeiten sei die Refinanzierung "ohne Probleme möglich, schwierig gestalteten sich mittel- und langfristige Refinanzierungen".
Jedoch hatte sich der Liquiditätsvorlauf verschlechtert: Mitte Mai lag er bei nur noch 13 Tagen.
Der nächste Banken-Lagebericht folgte am 15. August und behandelte das zweite Quartal. In den Augen der Aufseher hatte sich die Situation der HRE nun drastisch verschlechtert. Die BaFin urteilte: "Kritisch ist insbesondere die umfangreiche kurzfristige unbesicherte Refinanzierung der irischen Depfa Bank plc. zu sehen."
Die Rating-Agenturen hatten die Bonitätsnoten für die HRE und die Depfa gesenkt. Das werde die "bisher schon angespannte Liquiditätslage der Gruppe weiter belasten", schrieben die Aufseher und warnten, eine weitere Bonitätsabwertung wäre für "die Refinanzierung der Depfa mit schwerwiegenden Folgen verbunden". Auch eine Selbsteinschätzung der HRE gab die BaFin zu Protokoll: Diese bewertete die Situation demnach "als handhabbar".
Im Übrigen ließ die BaFin das Ministerium in dem Quartalsbericht wissen, dass der Bericht über die Sonderprüfung der HRE mittlerweile vorliege. Kursorisch informieren sie über das Ergebnis: Die Kontrolle habe "umfangreiche und teilweise gravierende Feststellungen insbesondere im Bereich Risikomanagement" erbracht. Die Ergebnisse seien schon mit dem Vorstand in einem persönlichen Gespräch erörtert worden: "Die HRE-Gruppe ist gehalten, die Beanstandungen zügig und konsequent auszuräumen."
Auch einen Termin für die nächste Sonderprüfung hatten die Bankenaufseher schon angepeilt, um zu überprüfen, ob die Mängel im Risikomanagement tatsächlich beseitigt wurden: "Für 2009 ist eine erste Nachschauprüfung vorgesehen."
Sechs Wochen nachdem dieser Lagebericht ans Ministerium ging, kam es zum Beinahekollaps.
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