ZEIT ONLINE: Im Februar hatte die Marine bereits von einem Erfolg der Mission Atalanta gesprochen. Damals war die Anzahl der Angriffe deutlich gesunken. Seit Wochen nimmt die Zahl der Überfälle wieder zu. Wie bewerten Sie nun die Mission?
Hans-Joachim Stricker: Ich bewerte die Mission nach wie vor als erfolgreich. Den Erfolg der Marinekräfte können Sie nur an dem gegebenen Auftrag messen – man kann ihn nicht an Wünschen festmachen. Der Auftrag lautet Konvoibildung im Golf von Aden und Schutz der Handelsschiffe, die sich solch einem Konvoi anschließen. Außerdem Schutz der Schiffe des World Food Programs auf ihrem Weg von Mombasa nach Mogadischu. Diese Aufgaben erledigen wir sehr erfolgreich. Bisher haben die Piraten noch kein Schiff aus einem Konvoi herausgepickt.
ZEIT ONLINE: Wie viele Frachter und Tanker haben die Kriegsschiffe im Rahmen der Mission Atalanta bislang begleitet?
Stricker: Insgesamt wurden 124 Schiffe durch den Golf von Aden eskortiert, darunter 24 Schiffe des Welternährungsprogramms, die mit Lebensmittel beladen waren.
ZEIT ONLINE: Die Piraten schlagen nun auch weit von der ostafrikanischen Küste entfernt im Indischen Ozean zu. Dort fahren keine geschützten Konvois. Muss die Marine ihre Taktik ändern?
Stricker: Das Ausweichen der Seeräuber nach Osten belegt doch unseren Erfolg. Die Piraten kommen im Golf von Aden nicht mehr so zum Zug, wie das bisher der Fall gewesen ist. Die Piraten meiden das Gebiet, in dem die Kriegsschiffe patrouillieren. Unser Einsatzgebiet reicht nicht so weit in den Ozean hinein, wie die Piraten hinausfahren. Dort operieren wir nicht.
ZEIT ONLINE: In den vergangenen Tagen wurden mehrere Schiffe überfallen, die ohne Konvoi unterwegs waren. Wieso verzichten Reeder auf die Begleitung ihrer Frachter durch Kriegsschiffe?
Stricker: Die meisten Schiffe sind mitten auf dem Indischen Ozean angegriffen worden. Die Überfälle fanden weit außerhalb unseres Einsatzgebietes statt. Die Seeräuber attackierten beispielsweise Handelsschiffe auf hoher See, die vom pakistanischen Karatschi nach Mombasa mit Nahrungsmitteln des Word Food Programs unterwegs waren.
ZEIT ONLINE: Schon vor 300 Jahren setzte die Stadt Hamburg Konvoischiffe gegen afrikanische Piraten ein. Und im Mittelalter schützte die Hanse so ihre Koggen. Gibt es keine moderneren Methoden?
Stricker: Die Piraten schießen mit Panzerfäusten und Maschinengewehren, da müssen wir der Bedrohung auf der gleichen Ebene entgegentreten. Deswegen ist die Begleitung von Handelsschiffen durch Fregatten und Korvetten der effektivste Schutz. Kriegsschiffe haben auf Seeräuber eine abschreckende Wirkung.
ZEIT ONLINE: Moderne Piraterie ist eine Form der organisierten Kriminalität. Das ist ein Feld, auf dem Soldaten nur bedingt etwas ausrichten können …
Stricker: Militärische Mittel lösen das Piraten-Problem langfristig nicht. Wir gewinnen für die Politik lediglich Zeit, damit sie zu anderen Maßnahmen kommen kann. Die Geberkonferenz für Somalia, die vor Kurzem in Brüssel stattgefunden hat, ist so ein Schritt. Das geht in die richtige Richtung. Die Mission Atalanta läuft weiter, und wir können nun beobachten, wie gut die Maßnahmen gegen die Piraten in Somalia greifen.
ZEIT ONLINE: Es gibt Gerüchte, dass sich Islamisten und Piraten verbündet haben. Welche Erkenntnisse haben Sie dazu?
Stricker: Bei diesem Punkt müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu viel hineininterpretieren in die Aussage eines Islamistenführers, der die Piraterie vor der somalischen Küste gutgeheißen hat. 2006 hatten wir noch eine ganz andere Lage, da sind die islamischen Gerichtshöfe gegen Piraten vorgegangen und haben einige abgeurteilt. Von einer Verbrüderung der Terroristen mit den Piraten zu sprechen, halte ich für sehr gewagt.
ZEIT ONLINE: Vor Kurzem wurde ein Versorgungsschiff der Marine von Piraten angegriffen. Wie hoch ist das Risiko für deutsche Soldaten, Opfer der Seeräuber zu werden?
Stricker: Eine Gefahr für deutsche Soldaten ist nie auszuschließen. Wir gehen schließlich gegen Piraten vor, die schwer bewaffnet sind. Die Seeräuber sind aber nicht so tollkühn, dass sie Kriegsschiffe angreifen.
ZEIT ONLINE: Von der Marine festgesetzte Piraten werden von der Bundeswehr an die kenianische Justiz übergeben. In Deutschland halten dies viele Juristen für bedenklich. Ist es für die Soldaten nicht unbefriedigend, wenn die Piraten abgeschoben und nicht in Deutschland verurteilt werden?
Stricker: Das Gefühl ist bei den Soldaten nicht vorhanden. Die Piraten werden außerdem nicht einfach abgeschoben. Es gibt ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und Kenia zur Strafverfolgung der Piraten. Der erste Prozess hat begonnen, und die Weltöffentlichkeit kann überwachen, ob das Verfahren unseren Standards entspricht.
ZEIT ONLINE: Kenianische Staatsanwälte haben sich beschwert, dass die Bundeswehr-Soldaten die Waffen der Piraten ins Meer geworfen und so Beweismittel vernichtet haben. Wie kam es dazu?
Stricker: Die Waffen sind von den Soldaten fotografiert und vermessen worden, bevor sie versenkt wurden. Die Waffen, welche die Piraten verwenden, sind sehr alt und sehr unsicher. Da waren Panzerfäuste dabei, deren Munition 30 Jahre über der maximalen Lagerdauer lag. Die Geschosse hätten für die Besatzung eine ernste Gefahr dargestellt, wenn wir sie an Bord gelagert hätten.
ZEIT ONLINE: Die Marine bekommt immer mehr Einsätze von der Politik zugewiesen. Vor Beirut sind Schiffe aktiv, am Horn von Afrika laufen zwei unterschiedliche Missionen gleichzeitig. Wie viele Einsätze kann die Marine noch schultern?
Stricker: Irgendwann geht es nicht mehr, dass wir immer weitere Einsätze obendrauf bekommen. Sollte es eine weitere Situation irgendwo auf der Welt geben, die ein Eingreifen nötig macht, müssen andere Missionen beendet werden.
Die Fragen stellte Hauke Friederichs.
Vizeadmiral Hans-Joachim Stricker ist seit zwei Jahren Befehlshaber der deutschen Flotte. 1968 trat er in die Bundeswehr ein.
Quelle: Zeit Online
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