Von Peter-Philipp Schmitt, Moskau
Das wahre Gesicht Moskaus?
Pioniere am Sonntag auf dem Roten Platz
Das also war der Grand Prix in Moskau. Zum Abschied kann es sich die junge Frau, Julia, an der Rezeption im Hotel nicht verkneifen, und es bricht aus ihr förmlich heraus. „Das war ja wohl nichts“, sagt sie.
Sie ist enttäuscht. 40 Millionen Euro habe das Ganze gekostet, nur um Europa vorzugaukeln, „das wir hier ein schönes Leben haben. Und das haben wir doch gar nicht.“ Der Contest sei Politik. Warum bittschön tritt für Moskau (sie spricht von der Hauptstadt, als gäbe es den Rest des Landes nicht) eine Ukrainerin an, die auf Ukrainisch singt und zudem auch noch einen Produzenten (Konstantin Meladzé) aus Georgien hat?
Grand Prix des Mittelmaßes
Letzteres ist offenbar das Schlimmste überhaupt für sie. „Wir sind Moskau, die Ukraine ist ein ganz anderes Land“, sagt sie und zeichnet mit den Händen in der Luft Grenzen auf. Und dann überall in der Stadt und im Fernsehen Werbung für England: Stimmt für England, ruft für England an, hieß es da in den vergangenen Wochen rund um die Uhr. „Was soll das?“
Tatsächlich hat Sir Andrew Lloyd Webber wohl Millionen in sein Projekt gesteckt, den Eurovision mit der Halb-Jamaikanerin Jade Ewen und seinem Lied „It's My Time“ zu gewinnen. Ob es sich bezahlt gemacht hat? Für die 21 Jahre alte Sängerin aus London auf jeden Fall, für den Musical-Komponisten aber zählte nur der Sieg. Mit dem fünften Platz kann er sich nicht zufrieden geben.
Moskau hat tatsächlich im Fernsehen ein anderes Gesicht gezeigt als hier in der Stadt. Es war ein Grand Prix des Mittelmaßes, vielleicht einer der schlechtesten in der Contest-Geschichte, was die Stimmung unter den angereisten Fans angeht. Auch wenn die Show an sich, wie angekündigt, „olympisch“ war.
Gäste nicht willkommen
Gegen das Finalspektakel kommt Oslo nicht an, und es wird auch kein Interesse daran haben, diesen Gigantismus zu übertrumpfen. Wer sich noch an die Winterspiele in Lillehammer 1994 erinnert, weiß, dass Norwegen den schönsten Grand Prix in der Geschichte organisieren kann - und hoffentlich auch wird.
Moskau waren seine internationalen Gäste nicht wirklich willkommen. Das fing schon mit der Anreise an. Am Flughafen, an den Bahnhöfen, in den Metros, keinerlei Informationen, keine Hinweise auf den Contest, nicht irgendeine Hilfe. In Kiew 2005 hatten Studenten die Grand-Prix-Besucher am Flughafen begrüßt, es gab eine Lounge, in der es erste Tips und Ratschläge gab.
Die Arena glich einer Festung
Souveräner Sieger: Alexander Rybak aus Norwegen mit seinem Lied „Fairytale”
Die Olympiysky Arena, der Austragungsort, wo alles - von den täglichen Proben über den Pressekonferenzen bis zu den beiden Halbfinals und dem großen Finale am Samstag abend - alles zwei Wochen lang zusammenkam, glich zeitweise einer Festung. Polizisten und Milizen sorgten für ein beständiges Klima der Bedrückung. Am Samstag dann auch noch die Übergriffe auch auf Grand-Prix-Besucher bei der von russischen Homosexuellen organisierten Parade.
In der Arena gab es wenigstens einige bemühte junge Freiwillige. Ein echtes Willkommen jedoch auch hier nicht. Die versprochenen Unterlagen wurden nicht ausgegeben, touristische Programme nicht angeboten. In anderen Grand-Prix-Städten organisieren die Verantwortlichen Touren für die Fans - etwa zu Sehenswürdigkeiten.
Kein Erfolgsdruck für Russland
Abgeschlagen auf dem 20. Platz: die deutsche Gruppe “Alex Swings Oscar Sings“...
Die Gäste wollen schließlich auch Land und Leute kennenlernen. So könnte man einen guten Eindruck hinterlassen. In Moskau hatte man offenbar kein Interesse daran. Nicht einmal einen Stadt- oder Metroplan bekamen die akkreditierten Gäste zur Begrüßung.
Russland wollte im vergangenen Jahr unbedingt endlich den Eurovision Song Contest gewinnen. Dafür brauchten die Verantwortlichen einen russischen Superstar wie Wiktor Nikolajewitsch Belan, besser bekannt als Dima Bilan. Er gewann bei seinem zweiten Versuch mit einem Lied („Believe“), das viele Grand-Prix-Experten für einen der schwächsten Siegertitel in der Contest-Geschichte halten.
In diesem Jahr brauchte man nicht zu gewinnen. Und weil der Grand Prix natürlich auch eine politische Veranstaltung ist, kam es den „Politikern“ vielleicht ganz gelegen, dass eine Ukrainerin mit einem georgischen Produzenten „Mamo“ (Mama) sang. Das offizielle Mütterchen Russland ist vom Verlauf dieses Eurovision Song Contests denn auch sehr zufrieden.
Die Geschichte des Eurovision Song Contest ist voll von Skandalen - politischen, musikalischen, menschlichen.
Die jüngste Affäre
Der russische Sänger und Produzent Philip Kirkorow zieht sich nur einen Tag vor dem Finale als Vorsitzender und als Mitglied aus der Jury Russlands zurück. Das ist schon allein deswegen ungewöhnlich, weil es seit Jahren keine Juroren mehr gegeben hatte, die über den Gewinner mit abstimmen. Angefangen hatte alles mit der Frage eines norwegischen Journalisten: Er wollte in einer Pressekonferenz am Mittwoch von dem Schweden Svante Stockselius wissen, was er davon halte, das Kirkorow bei einem privaten Abendessen mit Alexander Rybak, dem norwegischen Kandidaten, gesehen worden sei? Ob das nicht die Unparteilichkeit des Jurors in Frage stelle?
Stockselius, als Generalsekretär im Auftrag der European Broadcasting Union (EBU) für den Eurovision Song Contest zuständig, antwortete, dass es jedem nationalen Sender überlassen bleibe, die fünf „angemessensten“ Juroren zu finden. Es gebe eine klare Regel, dass keiner von ihnen beruflich mit einem der Künstler, die an dem Wettbewerb teilnehmen, zu tun haben dürfe. „Die Jurymitglieder müssen ein Dokument unterzeichnen, in dem sie versichern, unabhängig zu sein.“ Juri Aksuta, Produzent des Grand Prix in Moskau, fügte an, dass Philip Kirkorow den Eurovision Song Contest ganz besonders liebe. „Er ist in jedem Jahr dabei und eine sehr objektive Person.“
Da bleibt kaum eine Frage offen
Da bleibt kaum eine Frage offen: Der deutsche Probeauftritt (hier Musicalsänger Oscar Loya vom Duo „Alex Swings Oscar Sings!” und die Burlesque-Künstlerin Dita von Teese) für den Eurovision Song Contest in Moskau war der EBU wohl etwas zu offenherzig
Kirkorow hatte 1995 als zweiter Kandidat seines Landes überhaupt an dem Grand-Prix-Finale in Dublin teilgenommen (Rang 17) und danach für viele Künstler Lieder geschrieben, zum Beispiel auch für den Weißrussen Dimitry Koldun, der mit „Work Your Magic“ 2007 in Helsinki auf Platz sechs landete, die bisher beste Platzierung der noch jungen Grand-Prix-Nation (seit 2004 beim Wettbewerb dabei). Kirkorow zählt in seiner Heimat zu den wichtigsten und bestimmendsten Figuren des Eurovision Song Contest. So ist er ist auch als Final-Kommentator bei dem russischen Sender vorgesehen (Channel One), der für den Grand Prix in Moskau zuständig ist.
Es soll nicht den „Schatten eines Zweifels“ geben
So schien die Affäre zunächst ausgestanden: Als dann aber auch noch Fotos von dem Juror auftauchten, die ihn mit dem griechischen Teilnehmer Sakis Rouvas zeigen, war Kirkorow offenbar nicht mehr zu halten. Der Russe zog sich am Freitag zurück. Er habe enge Verbindungen zu einigen der Kandidaten, gab er zu, vor allem zu Rouvas, den er zu seinen engsten Freunden zähle. Das werfe natürlich Fragen zu seiner Unparteilichkeit auf. Die sei zwar in keinster Weise gefährdet, doch es dürfe nicht “den Schatten eines Zweifels“ geben. Und weil er es vorziehe, sich frei über jeden Teilnehmer zu äußern und sich mit jedem von ihnen auch ohne Einschränkungen treffen zu können, was ihm als Künstler und Produzenten besonders viel bedeute, trete er hiermit zurück. Er bleibe aber Kommentator für Channel One an diesem Samstag.
Erstmals gibt es in diesem Jahr wieder nationale Jurys in allen 42 teilnehmenden Ländern. Sie bestehen jeweils aus fünf Mitgliedern, die mit der Musikbranche zu tun haben müssen, sie sollen aber zu den Teilnehmern keinen professionellen Kontakt haben, was sich allerdings wohl kaum vermeiden lässt (siehe der Fall Kirkorow). Immerhin gibt es Kandidaten wie Rouvas oder auch die Malteserin Chiara, die schon mehrfach am Grand Prix teilgenommen haben. Man kennt sich einfach, auch weil es Komponisten und Produzenten gibt (Kirkorow, Ralph Siegel), die schon für mehrere Länder beim Contest gearbeitet haben.
Welche Rolle spielen die Stimmen der Juroren?
Die EBU-Regeln besagen zudem, dass die Namen der Juroren spätestens zum Ende des Finals genannt werden müssen. Russland hat bislang nur einen Namen veröffentlicht (Philip Kirkorow), Deutschland hingegen hat schon vor Wochen alle Juroren namentlich benannt: die Sänger H. P. Baxxter (Scooter), Jeanette Biedermann, Guildo Horn (er vertrat Deutschland 1998 beim Grand Prix) und Tobias Künzel (Die Prinzen) sowie Sylvia Kollek, der die Musikconsultant Agentur Ton-Y in Köln gehört. Vier von ihnen waren bis zum Donnerstag in Moskau, um die Proben zu besuchen und ein wenig Grand-Prix-Atmosphäre aufzusaugen.
Außerdem gibt es sogenannte Back-up-Jurys, die im Zweifel einspringen können. Auch ihre Namen müssen noch offen gelegt werden. Welche Rolle die Stimmen der Juroren spielen, ist schwer einzuschätzen. Überraschungen sind möglich, waren es aber ja auch beim reinen Televoting. Das Votum der Jurys hat jedenfalls Gewicht: Zur Hälfte zählen ihre Stimmen, zur Hälfte die der Zuschauer.
Noch zwei weitere Skandale wurden am Freitag in Moskau bekannt
Spanien, das zu den großen Vier (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und eben Spanien) gehört und sich damit nicht in einem der beiden Halbfinals qualifizieren muss, hat die ihm zugeloste Zwischenrunde nicht im Fernsehen live übertragen. Die gesetzten Finalisten sind verpflichtet, mindestens ein Halbfinale zu übertragen, um den Fernsehzuschauern die Möglichkeit zu geben, über jeweils einen Teil der Qualifikanten abzustimmen. Der staatliche spanische Fernsehsender TVE unterließ dies jedoch. Stattdessen war ein Tennisspiel zu sehen. Millionen spanischer Fans mussten warten, bis mit einstündiger Verzögerung die Aufzeichnung der Sendung gezeigt wurde.
Das bedeutet offenbar, das die Televoting-Stimmen der spanischen Zuschauer auch mit einer Stunde Verspätung aufliefen - zu spät, um noch gewertet zu werden. Die Entscheidung, wer im Halbfinale weiterkam und wer nicht, traf in Spanien wohl allein die nationale Jury. Technische Probleme seien schuld, entschuldigte sich TVE. Die soll es zudem auch auf der offiziellen spanischen Internetseite gegeben haben: Erst nach mehr als einer halben Stunde lief der Livestream stabil.
Für die spanische Kandidatin Soraya, die als letzte Teilnehmerin im Finale die Bühne betreten wird, hat das Versäumnis zunächst keine Konsequenzen. Allerdings will die EBU den spanischen Sender sanktionieren, aber erst nach Ende des diesjährigen Grand Prix in Moskau. Pikanterweise hatte Spanien erst vor wenigen Tagen bei der EBU durchgesetzt, dass TVE nicht das erste, wie zugelost, sondern das zweite Halbfinale übertragen darf. Am 12. Mai, dem Tag der ersten Zwischenrunde, gab es angeblich eine wichtige Parlamentsdebatte. Dabei standen ausgerechnet im ersten Halbfinale Andorra und Portugal, die fest mit den Stimmen ihres Nachbarn rechneten.
Aufregung um Dita von Teeses Korsage
Auch Deutschland sorgte am Vorfinaltag noch für einen kleinen Skandal
Dita von Teese war am Nachmittag erstmals zu einer Probe auf der Bühne in einer Korsage erschienen, die mehr zeigte, als sie verhüllte. Abends, bei der zweiten Generalprobe, zeigte sie sich dann mit den deutschen Kandidaten Alex Swings Oscar Sings! in einem Jäckchen, das zwar vorne weit geöffnet war, aber insgesamt doch dezenter ist.
Die EBU bat darum, den Busen mehr zu verhüllen
Dazwischen hatte es ein Treffen zwischen dem EBU-Beauftragten, Svante Stockselius, dem ARD-Koordinator Thomas Schreiber sowie dem deutschen Delegationschef, dem NDR-Unterhaltungschef Ralf Quibeldey, gegeben. Stockselius zeigte den beiden freizügige Probenbilder von der amerikanischen Burlesque-Tänzerin, die unter anderem im Internet auf der Seite der schwedischen Boulevardzeitung „Aftonbladet“ zu sehen waren. Das ist ein Familienprogramm, habe Stockselius zu ihnen gesagt, berichtet Schreiber. Man müsse auf kulturellen Unterschiede Rücksicht nehmen. Daher habe Dita von Teese abends ihre Jacke einfach anbehalten.
Thomas Schreiber sah sich zudem noch bemüßigt, folgende schriftliche Erklärung abzugeben: „Richtig ist, dass die EBU nach Dita von Teeses erster Generalprobe darum gebeten hat, ihren Busen mehr zu verhüllen. Wir sollten laut EBU auf die kulturellen Unterschiede zu anderen Ländern Rücksicht nehmen. Das haben wir in der zweiten Generalprobe getan, auch wenn wir uns nicht vorstellen können, das während der Live-Ausstrahlung durch die Zeitverschiebung in den östlichen Ländern weit nach Mitternacht eine Großzahl schützenswerter Minderjähriger vor den Bildschirmen sitzt.“
Wichtig ist dem NDR, der zuständig für den Grand Prix ist, auch noch mitzuteilen, dass der Auftritt der Burlesque-Tänzerin - „anders als von manchen Journalisten unterstellt“ - nie als Stripshow geplant gewesen sei.
Das wahre Gesicht Moskaus?
Pioniere am Sonntag auf dem Roten Platz
Das also war der Grand Prix in Moskau. Zum Abschied kann es sich die junge Frau, Julia, an der Rezeption im Hotel nicht verkneifen, und es bricht aus ihr förmlich heraus. „Das war ja wohl nichts“, sagt sie.
Sie ist enttäuscht. 40 Millionen Euro habe das Ganze gekostet, nur um Europa vorzugaukeln, „das wir hier ein schönes Leben haben. Und das haben wir doch gar nicht.“ Der Contest sei Politik. Warum bittschön tritt für Moskau (sie spricht von der Hauptstadt, als gäbe es den Rest des Landes nicht) eine Ukrainerin an, die auf Ukrainisch singt und zudem auch noch einen Produzenten (Konstantin Meladzé) aus Georgien hat?
Grand Prix des Mittelmaßes
Letzteres ist offenbar das Schlimmste überhaupt für sie. „Wir sind Moskau, die Ukraine ist ein ganz anderes Land“, sagt sie und zeichnet mit den Händen in der Luft Grenzen auf. Und dann überall in der Stadt und im Fernsehen Werbung für England: Stimmt für England, ruft für England an, hieß es da in den vergangenen Wochen rund um die Uhr. „Was soll das?“
Tatsächlich hat Sir Andrew Lloyd Webber wohl Millionen in sein Projekt gesteckt, den Eurovision mit der Halb-Jamaikanerin Jade Ewen und seinem Lied „It's My Time“ zu gewinnen. Ob es sich bezahlt gemacht hat? Für die 21 Jahre alte Sängerin aus London auf jeden Fall, für den Musical-Komponisten aber zählte nur der Sieg. Mit dem fünften Platz kann er sich nicht zufrieden geben.
Moskau hat tatsächlich im Fernsehen ein anderes Gesicht gezeigt als hier in der Stadt. Es war ein Grand Prix des Mittelmaßes, vielleicht einer der schlechtesten in der Contest-Geschichte, was die Stimmung unter den angereisten Fans angeht. Auch wenn die Show an sich, wie angekündigt, „olympisch“ war.
Gäste nicht willkommen
Gegen das Finalspektakel kommt Oslo nicht an, und es wird auch kein Interesse daran haben, diesen Gigantismus zu übertrumpfen. Wer sich noch an die Winterspiele in Lillehammer 1994 erinnert, weiß, dass Norwegen den schönsten Grand Prix in der Geschichte organisieren kann - und hoffentlich auch wird.
Moskau waren seine internationalen Gäste nicht wirklich willkommen. Das fing schon mit der Anreise an. Am Flughafen, an den Bahnhöfen, in den Metros, keinerlei Informationen, keine Hinweise auf den Contest, nicht irgendeine Hilfe. In Kiew 2005 hatten Studenten die Grand-Prix-Besucher am Flughafen begrüßt, es gab eine Lounge, in der es erste Tips und Ratschläge gab.
Die Arena glich einer Festung
Souveräner Sieger: Alexander Rybak aus Norwegen mit seinem Lied „Fairytale”
Die Olympiysky Arena, der Austragungsort, wo alles - von den täglichen Proben über den Pressekonferenzen bis zu den beiden Halbfinals und dem großen Finale am Samstag abend - alles zwei Wochen lang zusammenkam, glich zeitweise einer Festung. Polizisten und Milizen sorgten für ein beständiges Klima der Bedrückung. Am Samstag dann auch noch die Übergriffe auch auf Grand-Prix-Besucher bei der von russischen Homosexuellen organisierten Parade.
In der Arena gab es wenigstens einige bemühte junge Freiwillige. Ein echtes Willkommen jedoch auch hier nicht. Die versprochenen Unterlagen wurden nicht ausgegeben, touristische Programme nicht angeboten. In anderen Grand-Prix-Städten organisieren die Verantwortlichen Touren für die Fans - etwa zu Sehenswürdigkeiten.
Kein Erfolgsdruck für Russland
Abgeschlagen auf dem 20. Platz: die deutsche Gruppe “Alex Swings Oscar Sings“...
Die Gäste wollen schließlich auch Land und Leute kennenlernen. So könnte man einen guten Eindruck hinterlassen. In Moskau hatte man offenbar kein Interesse daran. Nicht einmal einen Stadt- oder Metroplan bekamen die akkreditierten Gäste zur Begrüßung.
Russland wollte im vergangenen Jahr unbedingt endlich den Eurovision Song Contest gewinnen. Dafür brauchten die Verantwortlichen einen russischen Superstar wie Wiktor Nikolajewitsch Belan, besser bekannt als Dima Bilan. Er gewann bei seinem zweiten Versuch mit einem Lied („Believe“), das viele Grand-Prix-Experten für einen der schwächsten Siegertitel in der Contest-Geschichte halten.
In diesem Jahr brauchte man nicht zu gewinnen. Und weil der Grand Prix natürlich auch eine politische Veranstaltung ist, kam es den „Politikern“ vielleicht ganz gelegen, dass eine Ukrainerin mit einem georgischen Produzenten „Mamo“ (Mama) sang. Das offizielle Mütterchen Russland ist vom Verlauf dieses Eurovision Song Contests denn auch sehr zufrieden.
Die Geschichte des Eurovision Song Contest ist voll von Skandalen - politischen, musikalischen, menschlichen.
Die jüngste Affäre
Der russische Sänger und Produzent Philip Kirkorow zieht sich nur einen Tag vor dem Finale als Vorsitzender und als Mitglied aus der Jury Russlands zurück. Das ist schon allein deswegen ungewöhnlich, weil es seit Jahren keine Juroren mehr gegeben hatte, die über den Gewinner mit abstimmen. Angefangen hatte alles mit der Frage eines norwegischen Journalisten: Er wollte in einer Pressekonferenz am Mittwoch von dem Schweden Svante Stockselius wissen, was er davon halte, das Kirkorow bei einem privaten Abendessen mit Alexander Rybak, dem norwegischen Kandidaten, gesehen worden sei? Ob das nicht die Unparteilichkeit des Jurors in Frage stelle?
Stockselius, als Generalsekretär im Auftrag der European Broadcasting Union (EBU) für den Eurovision Song Contest zuständig, antwortete, dass es jedem nationalen Sender überlassen bleibe, die fünf „angemessensten“ Juroren zu finden. Es gebe eine klare Regel, dass keiner von ihnen beruflich mit einem der Künstler, die an dem Wettbewerb teilnehmen, zu tun haben dürfe. „Die Jurymitglieder müssen ein Dokument unterzeichnen, in dem sie versichern, unabhängig zu sein.“ Juri Aksuta, Produzent des Grand Prix in Moskau, fügte an, dass Philip Kirkorow den Eurovision Song Contest ganz besonders liebe. „Er ist in jedem Jahr dabei und eine sehr objektive Person.“
Da bleibt kaum eine Frage offen
Da bleibt kaum eine Frage offen: Der deutsche Probeauftritt (hier Musicalsänger Oscar Loya vom Duo „Alex Swings Oscar Sings!” und die Burlesque-Künstlerin Dita von Teese) für den Eurovision Song Contest in Moskau war der EBU wohl etwas zu offenherzig
Kirkorow hatte 1995 als zweiter Kandidat seines Landes überhaupt an dem Grand-Prix-Finale in Dublin teilgenommen (Rang 17) und danach für viele Künstler Lieder geschrieben, zum Beispiel auch für den Weißrussen Dimitry Koldun, der mit „Work Your Magic“ 2007 in Helsinki auf Platz sechs landete, die bisher beste Platzierung der noch jungen Grand-Prix-Nation (seit 2004 beim Wettbewerb dabei). Kirkorow zählt in seiner Heimat zu den wichtigsten und bestimmendsten Figuren des Eurovision Song Contest. So ist er ist auch als Final-Kommentator bei dem russischen Sender vorgesehen (Channel One), der für den Grand Prix in Moskau zuständig ist.
Es soll nicht den „Schatten eines Zweifels“ geben
So schien die Affäre zunächst ausgestanden: Als dann aber auch noch Fotos von dem Juror auftauchten, die ihn mit dem griechischen Teilnehmer Sakis Rouvas zeigen, war Kirkorow offenbar nicht mehr zu halten. Der Russe zog sich am Freitag zurück. Er habe enge Verbindungen zu einigen der Kandidaten, gab er zu, vor allem zu Rouvas, den er zu seinen engsten Freunden zähle. Das werfe natürlich Fragen zu seiner Unparteilichkeit auf. Die sei zwar in keinster Weise gefährdet, doch es dürfe nicht “den Schatten eines Zweifels“ geben. Und weil er es vorziehe, sich frei über jeden Teilnehmer zu äußern und sich mit jedem von ihnen auch ohne Einschränkungen treffen zu können, was ihm als Künstler und Produzenten besonders viel bedeute, trete er hiermit zurück. Er bleibe aber Kommentator für Channel One an diesem Samstag.
Erstmals gibt es in diesem Jahr wieder nationale Jurys in allen 42 teilnehmenden Ländern. Sie bestehen jeweils aus fünf Mitgliedern, die mit der Musikbranche zu tun haben müssen, sie sollen aber zu den Teilnehmern keinen professionellen Kontakt haben, was sich allerdings wohl kaum vermeiden lässt (siehe der Fall Kirkorow). Immerhin gibt es Kandidaten wie Rouvas oder auch die Malteserin Chiara, die schon mehrfach am Grand Prix teilgenommen haben. Man kennt sich einfach, auch weil es Komponisten und Produzenten gibt (Kirkorow, Ralph Siegel), die schon für mehrere Länder beim Contest gearbeitet haben.
Welche Rolle spielen die Stimmen der Juroren?
Die EBU-Regeln besagen zudem, dass die Namen der Juroren spätestens zum Ende des Finals genannt werden müssen. Russland hat bislang nur einen Namen veröffentlicht (Philip Kirkorow), Deutschland hingegen hat schon vor Wochen alle Juroren namentlich benannt: die Sänger H. P. Baxxter (Scooter), Jeanette Biedermann, Guildo Horn (er vertrat Deutschland 1998 beim Grand Prix) und Tobias Künzel (Die Prinzen) sowie Sylvia Kollek, der die Musikconsultant Agentur Ton-Y in Köln gehört. Vier von ihnen waren bis zum Donnerstag in Moskau, um die Proben zu besuchen und ein wenig Grand-Prix-Atmosphäre aufzusaugen.
Außerdem gibt es sogenannte Back-up-Jurys, die im Zweifel einspringen können. Auch ihre Namen müssen noch offen gelegt werden. Welche Rolle die Stimmen der Juroren spielen, ist schwer einzuschätzen. Überraschungen sind möglich, waren es aber ja auch beim reinen Televoting. Das Votum der Jurys hat jedenfalls Gewicht: Zur Hälfte zählen ihre Stimmen, zur Hälfte die der Zuschauer.
Noch zwei weitere Skandale wurden am Freitag in Moskau bekannt
Spanien, das zu den großen Vier (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und eben Spanien) gehört und sich damit nicht in einem der beiden Halbfinals qualifizieren muss, hat die ihm zugeloste Zwischenrunde nicht im Fernsehen live übertragen. Die gesetzten Finalisten sind verpflichtet, mindestens ein Halbfinale zu übertragen, um den Fernsehzuschauern die Möglichkeit zu geben, über jeweils einen Teil der Qualifikanten abzustimmen. Der staatliche spanische Fernsehsender TVE unterließ dies jedoch. Stattdessen war ein Tennisspiel zu sehen. Millionen spanischer Fans mussten warten, bis mit einstündiger Verzögerung die Aufzeichnung der Sendung gezeigt wurde.
Das bedeutet offenbar, das die Televoting-Stimmen der spanischen Zuschauer auch mit einer Stunde Verspätung aufliefen - zu spät, um noch gewertet zu werden. Die Entscheidung, wer im Halbfinale weiterkam und wer nicht, traf in Spanien wohl allein die nationale Jury. Technische Probleme seien schuld, entschuldigte sich TVE. Die soll es zudem auch auf der offiziellen spanischen Internetseite gegeben haben: Erst nach mehr als einer halben Stunde lief der Livestream stabil.
Für die spanische Kandidatin Soraya, die als letzte Teilnehmerin im Finale die Bühne betreten wird, hat das Versäumnis zunächst keine Konsequenzen. Allerdings will die EBU den spanischen Sender sanktionieren, aber erst nach Ende des diesjährigen Grand Prix in Moskau. Pikanterweise hatte Spanien erst vor wenigen Tagen bei der EBU durchgesetzt, dass TVE nicht das erste, wie zugelost, sondern das zweite Halbfinale übertragen darf. Am 12. Mai, dem Tag der ersten Zwischenrunde, gab es angeblich eine wichtige Parlamentsdebatte. Dabei standen ausgerechnet im ersten Halbfinale Andorra und Portugal, die fest mit den Stimmen ihres Nachbarn rechneten.
Aufregung um Dita von Teeses Korsage
Auch Deutschland sorgte am Vorfinaltag noch für einen kleinen Skandal
Dita von Teese war am Nachmittag erstmals zu einer Probe auf der Bühne in einer Korsage erschienen, die mehr zeigte, als sie verhüllte. Abends, bei der zweiten Generalprobe, zeigte sie sich dann mit den deutschen Kandidaten Alex Swings Oscar Sings! in einem Jäckchen, das zwar vorne weit geöffnet war, aber insgesamt doch dezenter ist.
Die EBU bat darum, den Busen mehr zu verhüllen
Dazwischen hatte es ein Treffen zwischen dem EBU-Beauftragten, Svante Stockselius, dem ARD-Koordinator Thomas Schreiber sowie dem deutschen Delegationschef, dem NDR-Unterhaltungschef Ralf Quibeldey, gegeben. Stockselius zeigte den beiden freizügige Probenbilder von der amerikanischen Burlesque-Tänzerin, die unter anderem im Internet auf der Seite der schwedischen Boulevardzeitung „Aftonbladet“ zu sehen waren. Das ist ein Familienprogramm, habe Stockselius zu ihnen gesagt, berichtet Schreiber. Man müsse auf kulturellen Unterschiede Rücksicht nehmen. Daher habe Dita von Teese abends ihre Jacke einfach anbehalten.
Thomas Schreiber sah sich zudem noch bemüßigt, folgende schriftliche Erklärung abzugeben: „Richtig ist, dass die EBU nach Dita von Teeses erster Generalprobe darum gebeten hat, ihren Busen mehr zu verhüllen. Wir sollten laut EBU auf die kulturellen Unterschiede zu anderen Ländern Rücksicht nehmen. Das haben wir in der zweiten Generalprobe getan, auch wenn wir uns nicht vorstellen können, das während der Live-Ausstrahlung durch die Zeitverschiebung in den östlichen Ländern weit nach Mitternacht eine Großzahl schützenswerter Minderjähriger vor den Bildschirmen sitzt.“
Wichtig ist dem NDR, der zuständig für den Grand Prix ist, auch noch mitzuteilen, dass der Auftritt der Burlesque-Tänzerin - „anders als von manchen Journalisten unterstellt“ - nie als Stripshow geplant gewesen sei.
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