Dienstag, 5. Mai 2009

Entwicklungshilfe: Leben im Zebrarhythmus

Sie beraten Regierungen in den exotischsten Ländern, bilden Polizisten aus oder bauen Museen und Schulen auf. Die Rede ist von Entwicklungshelfern. Einsatzfeld und Lebensläufe sind so facettenreich, dass viele von sich sagen: „Ich bin eigentlich ein untypischer Fall.“ Auch Emily Calaminus sagt das über sich. Gleich nach dem Studium hat sie für kurze Zeit einen Mitarbeiter des mauretanischen Parlaments beraten. „Es ging darum, die Arbeit des Finanz- und Haushaltsausschusses zu strukturieren“, erzählt sie. Das westafrikanische Land machte damals erste Gehversuche in Richtung Demokratie. Aufgabe von Calaminus war es, den Sekretär des Ausschusses anzulernen. „Ein Großteil der Arbeit drehte sich um Abläufe und einfache Büroarbeiten“, sagt sie. „Ich wurde total ins kalte Wasser geschmissen – habe mich aber auch sofort wohl gefühlt“, sagt Calaminus. Das habe auch an ihrer Vorgesetzten gelegen, Emma Kellner. Bevor diese 2004 nach Mauretanien ging, war Kellner Abgeordnete der Grünen im Bayerischen Landtag und mit Haushaltsfragen und Ausschussarbeit entsprechend vertraut.

Mit ihren Hintergründen repräsentieren Kellner und Calaminus die zwei typischen Gruppen von Bewerbern. „Die eine Gruppe“, sagt Ulrich Heise, der bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die Nachwuchsförderung leitet, „sind junge Leute, die schon im Studium wissen, dass sie mal im Entwicklungskontext arbeiten wollen.“ Außerdem, so Heise, gibt es die Gruppe derjenigen, die mindestens zehn Jahre Berufserfahrung gesammelt haben und neue Herausforderungen und Perspektiven suchen. Besonders Bewerber dieser Gruppe zeichnen sich durch ihre fachliche Qualifikation und Erfahrung aus. Einen Studienabschluss bringen heute aber so gut wie alle mit.

Die Persönlichkeit spielt eine wichtige Rolle

Die Einsatzbereiche sind vielfältig. Während die nichtstaatlichen Träger eher an der gesellschaftlichen Basis arbeiten, kooperieren die Organisationen des Entwicklungsministeriums in erster Linie mit den politischen Entscheidungsträgern der Länder. Die Entwicklungsbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) engagiert sich etwa für den Aufbau funktionierender Finanzsektoren und vergibt Kredite. Die Organisation Internationale Weiterbildung und Entwicklung (Inwent) konzipiert Bildungsprogramme zur Förderung von Fachpersonal in Entwicklungsländern, und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit berät vermehrt die Regierungen der Partnerländer bei politischen und sozialen Reformen.

Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungsprofile. Etwa die Hälfte der GTZ-Mitarbeiter haben nach Aussage von Heise einen Abschluss in Volkswirtschaft oder Politikwissenschaft. Gefragt sind aber auch Umweltwissenschaftler, Geographen, Pädagogen, Verwaltungswirte und Sozialwissenschaftler – reine Ingenieure inzwischen aber kaum noch. Oft sind die Profile so speziell, dass der Kreis potentieller Kandidaten überschaubar bleibt. „Auf eine nicht so spezielle Ausschreibung erreichen uns aber auch schnell 150 Bewerbungen“, sagt GTZ-Personaler Heise. In anderen Organisationen sieht das ähnlich aus. Neben fachlicher Expertise, Berufserfahrung und Mehrsprachigkeit spielt bei vielen Arbeitgebern auch die Persönlichkeit eine wichtige Rolle – vor allem ihre Offenheit für andere Kulturen. „Wir suchen Leute mit einer sozial geprägten Grundmotivation, verbunden mit nüchternem Realismus“, umschreibt Heise das. Grundsätzlich gelte, dass Bewerber „kein zu hohes Sicherheitsbedürfnis haben dürfen“. Klar im Vorteil sind nach der Erfahrung der Personalleiterin von Inwent, Ute Gauger, „Leute, die Erfahrungen aus einem Auslandsaufenthalt mitbringen“.

Schon während des Studiums Netzwerke aufbauen

Die Beschäftigten arbeiten mal mehrere Jahre im Ausland, dann wieder in Deutschland und danach wieder auswärts. Heise nennt das „ein Leben im Zebrarhythmus“. Dabei wechseln die Mitarbeiter häufig auch zwischen den Organisationen. Das ist im Bereich der nichtstaatlichen Entwicklungshilfe ähnlich. Der Geschäftsführer des Arbeitskreises Lernen und Helfen in Übersee (AKHLÜ), Hartwig Euler, sagt, dass viele nach einem Einsatz im Ausland als Referenten für spezielle Fachthemen arbeiten. Der Arbeitskreis sieht sich als Informations- und Beratungsstelle für internationale Freiwilligen- und Entwicklungsdienste. „Die meisten, die in Berufe in der Entwicklungszusammenarbeit wechseln, wollen dann auch dabei bleiben. Allerdings ist die Zahl der ausgeschriebenen Stellen viel geringer als die zurückkehrender Fachkräfte.“ Insgesamt gehen jährlich etwa 6000 Personen über deutsche Entwicklungsorganisationen ins Ausland. Das hat der Arbeitskreis in einer Umfrage ermittelt. Allein die GTZ schickte im Jahr 2007 mehr als 1000 Fachkräfte ins Ausland. Leicht darüber liegt die Zahl ihrer Beschäftigten in Deutschland selbst.

Einen typischen Weg in das Arbeitsfeld hinein gibt es nicht. Häufig führt der Einstieg über ein Praktikum. Gerrit Plum hat so seine Karriere begonnen. Während seines Studiums zum Kulturwirt mit Schwerpunkt Südostasien machte er mehrere Praktika bei der GTZ, nach dem Abitur hatte er schon ein Jahr in Sambia gelebt. „Es ist schon sehr sinnvoll, sich während des Studiums seine Netzwerke aufzubauen“, meint er. „Mir war es wichtig, ein Gehalt zu bekommen, das auf dem Level liegt, wie es die Privatwirtschaft zahlt. Aber ich kannte ja die GTZ und wusste, dass sie gut zahlt.“ So fiel die Entscheidung nicht schwer, als ihm nach der Tsunami-Katastrophe eine Juniorstelle zur Akquise von Projekten in Südostasien angeboten wurde. „Das war eine klare Karriereentscheidung“, resümiert er. Inzwischen leitet Plum das Regionalbüro Südostasien von GTZ International Services.

Was alle eint: die Sinnfrage

Qualifizierungsmöglichkeiten bieten auch die Nachwuchsprogramme der Organisationen. „Einen guten Einstieg“, so Euler, „bietet das ASA-Programm von Inwent.“ In diesem „Arbeits- und Studienaufenthalt“ nehmen Studierende an Trainingsseminaren in Europa teil und erproben danach ihre Kenntnisse in Auslandsaufenthalten in Entwicklungsländern. Gut sei auch das Programm des Deutschen Entwicklungsdienstes (ded). Akademisch sind Aufbaustudiengänge wie etwa der Masterstudiengang „Entwicklungsfinanzierung“ der Frankfurt School of Finance and Management oder der Fernstudiengang „Nachhaltige Entwicklung“ der Technischen Universität Kaiserslautern. Die KfW empfiehlt das Postgraduierten-Programm des „Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik“ (die), weil sich dessen Ausbildungsinhalte an den Berufsprofilen in den Organisationen orientierten.

Was alle in der Branche eint, ist die Motivation – die Sinnfrage. Plum drückt es so aus: „Wir wollen etwas Sinnvolles tun mit unserer Ressource Arbeit.“ Doch auch die Verdienstchancen können durchaus ein Anreiz sein, in die Entwicklungshilfe zu gehen, vor allem in den staatlichen Organisationen oder privaten Beratungsfirmen wie GFA Consulting Gruppe oder GOPA Consultants. Beim deutschen Branchenprimus GTZ etwa gibt es ein Grundeinkommen, das sich nach der Position richtet und mit den Dienstjahren steigt. Ein Juniormitarbeiter verdient rund 3000 Euro monatlich, ein Programmleiter um die 10 000 Euro. In kleineren Hilfsorganisationen ist dagegen auch ein Bruttogehalt von 800 Euro keine Seltenheit.

Von Claudia Isabel Rittel

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