Donnerstag, 21. Mai 2009

Verwaist, verlassen, vergewaltigt

"Tag der Schande für Irland": Das Land zeigt sich erschüttert über einen Bericht, wonach Tausende Kinder in kirchlichen Heimen missbraucht wurden. Sexueller Missbrauch sei "endemisch" in Institutionen für Jungen gewesen, heißt es in einem Bericht.
Von Wolfgang Koydl

Scharfe Kritik an der Katholischen Kirche in Irland
Einen Tag der Schande für ganz Irland nannte es die Opferorganisation "One in Four", und diese verheerende Einschätzung wird dem Ausmaß des Skandals wahrscheinlich noch nicht einmal gerecht. Denn jenes Land, das sich so viel auf seine Freundlichkeit und Herzlichkeit zugute hält, muss nun mit der Erkenntnis leben, dass jahrzehntelang Tausende von Kindern in katholischen Heimen und Waisenhäusern misshandelt, geschlagen und missbraucht wurden.

Fünf Bände umfasst der seit langem erwartete Bericht, den die irische Kommission für Kindesmissbrauch nun in Dublin vorgelegt hat. Bei der Vorstellung kam es zu dramatischen und emotionalen Szenen, weil einigen Opfern der Zutritt zu dem Saal verweigert worden war. Sie sind erzürnt darüber, dass der Missbrauch keine juristischen Konsequenzen haben wird. Die betroffenen katholischen Orden hatten der Kommission gerichtlich verbieten lassen, Namen von Tätern oder Opfern zu nennen.

Die Untersuchung umfasst Fälle von 35.000 verwaisten, verlassenen oder vernachlässigten Kindern aus den Jahren zwischen 1914 und 2000. Die Kommission wurde vor neun Jahren eingesetzt und befragte mehr als 2000 Zeugen, die ihre Kindheit in einer von 216 Institutionen in der Republik Irland verbracht haben. Meist handelte es sich dabei um sogenannte "Industrial Schools" - Arbeitshäuser für Minderjährige, die von christlichen Orden geführt wurden.

Vor allem in Heimen für Jungen fand der Bericht, dass Körperstrafen "allgegenwärtig, hart, willkürlich und unvorhersehbar" gewesen seien. "Die Kinder lebten im täglichen Schrecken nicht zu wissen, woher die nächsten Schläge kommen würden", schrieben die Autoren.

Katalog der Grausamkeit
Sexueller Missbrauch sei "endemisch" in Institutionen für Jungen gewesen, also permanent und im System eingebaut. Auch in Mädchenheimen sei es regelmäßig zu Übergriffen durch Angestellte oder Besucher gekommen. Darüber hinaus, "war das Essen unzureichend".

Kardinal Sean Brady, das Oberhaupt der katholischen Kirche in Irland, hat sich bei den Opfern entschuldigt. Er sei "zutiefst beschämt" über den "schandvollen Katalog der Grausamkeit", sagte er. Doch nicht nur die Kirche wird von der Untersuchungskommission gerügt, sondern auch der Staat.

Dessen Behörden hätten eine "ehrerbietige und unterwürfige Haltung" gegenüber den katholischen Orden an den Tag gelegt, die ihre Fähigkeit kompromittiert hätte, notwendige Inspektionen und Kontrollen der Heime durchzuführen. Die Kommission listet 21 Vorschläge auf, wie die irische Regierung das Unrecht wiedergutmachen könne. Dazu gehören die Errichtung eines Mahnmales, die psychiatrische Betreuung von Opfern und eine radikale Verbesserung der gegenwärtigen Sozialdienste für Kinder.

Das fordert auch Patrick Walsh. Der 53-Jährige lebte 14 Jahre lang in einem Heim der Christian Brothers nahe Dublin. Jeden Tag erlitt er dort Gewalt; zwei mal wurde er vergewaltigt, sagte er der englischen Zeitung The Times. Walsh sagt: "Letztlich wussten die Bischöfe, der Staat und die Kardinäle des Vatikans was los war. Das ist jetzt für die Verantwortlichen eine Möglichkeit, sich umfassend zu entschuldigen und das Leiden von Kindern zu beenden."

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