Schon wieder hat es einen republikanischen Moralapostel erwischt. US-Senator Larry Craig ließ sich beim Annäherungsversuch an einen Undercover-Cop erwischen - auf einem Flughafenklo. Erst gestand Craig, dann widerrief er. Seine Karriere ist wohl am Ende, die Partei hat ein Problem.
New York - Larry Craig gibt sich gerne als Verfechter klassisch-konservativer Werte. Der Republikaner, der den Wildwest-Staat Idaho im US-Senat vertritt, kämpft für freien Waffenbesitz und schwört seinen Wählern, "die traditionellen Werte der amerikanischen Familie zu verteidigen". Dazu engagiert sich Craig - verheiratet, drei Adoptivkinder - auch aktiv gegen die Schwulenehe. Denn die Ehe, so findet er, dürfe nichts anderes sein als "die Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau".
Das alles muss man wissen, um die jüngste, wohl bizarrste Episode in der Laufbahn von Senator Craig, 62, einzuordnen - eine Episode, die ihn nun die Karriere kosten dürfte. Seinen Ruf hat er schon verloren und seinen Nebenjob als Top-Wahlkampfhelfer für den Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney auch. Gestern leiteten seine Parteifreunde auch noch Ethikermittlungen ein - ein bewährter Akt der politisch-moralischen Quarantäne.
Es wird ihnen wenig helfen. Wieder einmal platzt den republikanischen Moralaposteln ein Sexskandal in den Wahlkampf - und wieder einmal ist einer der ihren als Heuchler enttarnt.
Die leidige Affäre begann auf dem Minneapolis-St. Paul International Airport, am 11. Juni um zwölf Uhr mittags. "High noon" also, zumindest für Dave Karsnia, einen Sergeanten der Flughafenpolizei. Der hatte an jenem Tag eine Terminal-Toilette im Fadenkreuz, die ein Treffpunkt für schwulen Sex sein sollte. "Klappensex" nennen Schwule das.
Der Sergeant hockte sich in Zivil auf eines der Klos - "das dritte von der Hinterwand", vermerkte er später penibel in seinem Bericht - und harrte gleichgeschlechtlicher Anmache. Ob eine US-Flughafenpolizei, an vorderster Front des Heimatschutzes, nichts Besseres zu tun hat, als dergestalt Homosexuellen aufzulauern - das ist eine ganz andere Frage.
Schon bald biss jemand an. Ein "älterer, weißer Mann", schrieb Karsnia auf, habe ihn lange "durch den Spalt zwischen der Toilettentür und deren Rahmen" gemustert. Dann sei der Herr - der den Ablauf der Ereignisse später in einem Geständnis bestätigte - ins Nebenklo gegangen und habe mit den Fingern und dem Fuß unter der Trennwand hindurch "den Wunsch nach sexuellem Verhalten kommuniziert". Unter anderem soll er zweimal mit dem Fuß gegen die Wand getippt haben, was als Zeichen für den Wunsch nach Geschlechtsverkehr gelte.
Die missglückte Annäherung endete damit, dass Karsnia den älteren Herrn festnahm. Und dieser entpuppte sich als Senator Larry Craig.
Craig versuchte sich dem Bericht zufolge erst noch mit seiner Visitenkarte herauszureden: "Was hältst du davon?" Doch Karsnia zeigte Craig an: "Verletzung der Privatsphäre" nebst "Ruhestörung", dem hiesigen Euphemismus für öffentlichen Sex. Die Airport Police machte ein Fahndungsfoto. Darauf trägt Craig einen Anzug, eine blauweiße Seidenkrawatte und am Revers ein kleines patriotisches Sternenbanner.
An der Festnahme Craigs - der im Kongress als Mitglied des Barbershop-Quartetts "Singing Senators" bekannt war - besteht kein Zweifel: Anzeige und Foto schwirren längst durchs Internet. Zwei Monate später kam es zum Gerichtstermin - und dort bekannte sich Craig besagter "Ruhestörung" schuldig. Craig unterschrieb das Geständnis, zahlte 575 Dollar Strafgebühr und zog seines Weges.
Damit wäre die Sache erledigt gewesen. Wenn sie nicht jemand der Kongresszeitung "Roll Call" zugespielt hätte, die sie am Montag publik machte. Es dauerte einen Tag, bis die Medien, die noch im Rücktritt von Justizminister Alberto Gonzales schwelgten, begriffen. Seither ist es hier der Skandal des Tages: Schwulenfeindlicher Senator auf der Schwulenklappe!
Doch jetzt wird es erst wirklich bizarr. Denn gestern trat Craig in Boise, der Hauptstadt Idahos, vor die Presse - und widerrief sein eigenes Geständnis. Die stumme, hinter einer enormen schwarzen Sonnenbrille versteckte Gattin Suzanne zur Seite, verlas er eine Erklärung. "Ich habe am Flughafen Minneapolis nichts falsch gemacht", beharrte er. Nichts - bis auf eines: "Ich bereue meinen Entschluss, mich schuldig bekannt zu haben."
Sergeant Karsnias detaillierter dreiseitiger Bericht, Aktenzeichen- Nr. 027-2500 - alles erfunden? "Damit das klar ist: Ich bin nicht schwul", fuhr Craig laut bebend fort. "Ich bin nie schwul gewesen." Es klang wie: Ich habe keinen Aussatz. Und dann: "Ich liebe meine Frau, meine Familie. Ich liebe es, diesem großartigen Staat zu dienen."
Wieso aber hat er sich dann des Toilettenflirts schuldig bekannt, schriftlich, unter Anleitung eines Richters, der ihm seine Rechte klar gemacht hatte? "Ich habe überreagiert", sagte Craig. Am Ende gab er der Lokalzeitung "Idaho Statesman" die Schuld, denn die betreibe seit Monaten eine "Hexenjagd" auf ihn. Der Stress deswegen habe ihn zum Geständnis getrieben.
Denn der Homo-Vorwurf ist nichts Neues für den Senator, und der des anonymen Sex auch nicht. Beides verfolgt ihn seit den achtziger Jahren, als er im US-Repräsentantenhaus saß.
Der "Idaho Statesman" hatte sich dann in diesem Frühjahr noch einmal ans mutmaßliche Doppellleben Craigs gemacht, mit einer investigativen Serie. Darin behauptete unter anderem ein 40-jähriger Mann "mit engen Beziehungen zu den Republikanern", er habe in der Union Station, dem Hauptbahnhof Washingtons, Oralverkehr mit Craig gehabt.
Anonymer Sex in öffentlichen Toiletten: Dazu greifen nach Angaben des schwulen Autors Michelangelo Signorile in der Regel Männer, die ihre Homosexualität verbergen, sich ihrer schämen und eine heterosexuelle Fassade leben. "Wer offen zu seinem Schwulsein steht", sagt er, "braucht das nicht heimlich zu tun."
Wen stört's, fragt sich der Europäer. Dazu muss man wissen, dass die US-Konservativen - und oft auch die Betroffenen - Homosexualität bis heute als biblische Todsünde verdammen. Die Heuchelei dahinter aber scheint selten jemanden zu stören: Schwul sein, aber schwulenfeindlich tun, weil's politisch opportun ist.
Zum Beispiel der letzte prominente Fall: Ted Haggard. Der TV-Prediger - ein Lieblingspastor der Republikaner, der Gays verteufelte - gestand im November 2006, mehrfach Sex mit einem Callboy gehabt und die Partydroge Crystal Meth genommen zu haben. Er wurde von seiner Kirche verstoßen, unterzog sich einer Verhaltenstherapie und ließ hernach mitteilen, er sei jetzt "komplett heterosexuell".
Oder der Abgeordnete Mark Foley. Foley, der sich für schärfere Gesetze gegen Pornografie und Kinderschänder stark gemacht hatte, ließ sich im Oktober 2006 beim Internet-Sex mit minderjährigen Kongressboten erwischen. Er gab dem Alkohol die Schuld - und einem Priester, der ihn dereinst missbraucht habe.
Der republikanische Landesabgeordnete Bob Allen aus Florida - verheiratet, eine Tochter - bot einem schwarzen Undercover-Cop im Juli in einer Parktoilette 20 Dollar für Sex. Als er in den Streifenwagen gepackt wurde, fragte er Presseberichten zufolge, ob es helfe, dass er Abgeordneter sei. Die Antwort: "Nein."
Republikaner haben kein Monopol auf Scheinheiligkeit.
Der demokratische Gouverneur von New Jersey, Jim McGreevey, gab sein Amt (und seine zweite Ehe) 2004 auf, nachdem sein schwuler Ex-Lover an die Presse gegangen war - ein Israeli, der gleichzeitig als McGreeveys Heimatschutzberater fungierte. Immerhin outete sich McGreevey: "Ich bin ein schwuler Amerikaner", deklamierte er, die Noch-Gattin daneben. Und dann veröffentlichte er seine Memoiren, betitelt "Confessions".
Der groteske Auftritt Craigs - der Bill Clinton während des Lewinsky-Skandals als "garstigen, bösen, ungezogenen Jungen" bezeichnet hatte - machte die Sache dagegen gestern nur schlimmer. "Kaum zu glauben", seufzte der Ex-Staatsanwalt Jeffrey Toobin auf CNN. Zu einem ähnlichen Fazit kamen offenbar viele Republikaner, die das "bizarre Spektakel" ("New York Times") am Fernsehen verfolgten. So konnte sich Mitt Romney nicht schnell genug von seinem bisherigen Wahlkampfchef für Idaho distanzieren: "Sehr enttäuschend."
Mit einem zumindest hat Craig Recht. "Ich bin mir sicher", sagte er gestern, bevor er floh, ohne die Fragen der Reporter zu beantworten, "dass diese Sache noch nicht vorbei ist."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen