Montag, 20. August 2007

"Bei uns gibt es keine Rechtsextremen"

Im sächsischen Mügeln jagt ein Mob nach einem Fest acht Inder und verprügelt sie. Erst ein Großaufgebot der Polizei kann Schlimmeres verhindern. Die Bürger der Kleinstadt schauen der Hetzjagd zu. Doch in Mügeln wiegelt man ab und will von Rechtsradikalen nichts gewusst haben.
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Hetzjagd auf Inder: Die Polizei war gewarnt

MÜGELN - Acht Inder flüchten vor einer Horde von etwa 50 zumeist jungen Deutschen quer über den Marktplatz. Ein Landsmann öffnet ihnen seine Pizzeria. Gemeinsam verbarrikadieren sich die Ausländer in dem Lokal. Die Angreiferhorde zertritt Türen und demoliert das Auto des Lokalbesitzers los. Gespenstische Szenen, die die sächsische Gemeinde Mügeln mit einem Schlag bundesweit, vielleicht sogar international bekannt gemacht haben.

In der Nacht zum Sonntag hatte das Altstadtfest der rund 5000- Einwohner-Gemeinde eine dramatische Wende genommen, an dessen Ende die Hetzjagd mit acht verletzten Indern stand. Zeugen berichten von Nazi-Parolen und Schaulustigen, die das Geschehen tatenlos verfolgten. Erinnerungen an die Magdeburger Himmelfahrtskrawalle im Mai 1994 werden wach. Oder an die Ausländerhatz in Rostock- Lichtenhagen vor 15 Jahren. Am Tag danach herrscht reflexhafte Abwehrstimmung in Mügeln. Die Bewohner des gut 50 Kilometer von Leipzig entfernten Orts weichen den angereisten Journalisten aus. Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) bemüht sich um Schadensbegrenzung: "Bei uns gibt es keine rechtsextreme Szene." Wenn der Angriff einen fremdenfeindlichen Hintergrund habe, müssten die Täter aus Nachbarorten kommen, wehrt er ab.

Die Polizei brauchte mehr als 20 Stunden, um über die Tat zu berichten

Opfer Singh Gorvinda (26) berichtet, dass er bislang nie Probleme in Mügeln hatte. Auch sein Bekannter Kulvir Singh, der seit April in dem Ort lebt, hatte noch keine Anfeindungen erlebt. Nun sind sie gezeichnet von dem Überfall, haben Schnittwunden, die Gesichter sind von Blutergüssen geschwollen. Es gibt Aussagen, wonach im Vorfeld bekannt war, dass Rechtsextreme zum Fest anreisen wollten. Auch Deuses erste Einschätzungen lassen sich so verstehen. In der "Leipziger Volkszeitung" wird er damit zitiert, dass es entsprechende Hinweise vom Mügelner Jugendclub gegeben habe. Diese Information habe er an die Polizei weitergegeben. In diesem Punkt wiegelt Deuse ab. Kein Wort auch zu dem rechtslastigen Musikversand im Ort oder zu Rechten-Konzerten in der Region.

Die Polizei betont, dass die Ermittlungen in alle Richtungen gehen. "Das Ganze hat an Eigendynamik gewonnen", sagt eine Sprecherin. Sie könne nicht bestätigen, dass Schaulustige tatenlos zugesehen hätten, ausländerfeindliche Rufe habe es aber gegeben: "Ein fremdenfeindliches Motiv wird nicht ausgeschlossen." Mehr als 20 Stunden hatte die Polizei am Sonntag gebraucht, um offiziell über die Ereignisse zu berichten. Trotz massiven Drucks der Medien kamen die Informationen zunächst nur spärlich. Zeugen zufolge hat es auch in der Tatnacht etwa eine Stunde gedauert, bis rund 70 Beamte aus Oschatz, Döbeln, Leipzig und Leisnig herbeigezogen waren.

Opfervereine kritisieren sächsische "Strategie des Verschweigens"

Vorgänge, die an Geschehnisse im benachbarten Sachsen-Anhalt erinnern. Mehrfach gab es dort Pannen und Fehler bei Einsätzen der Polizei gegen Rechtsradikale: Im Juni unterschätzen Beamte die Lage bei einem Überfall von Rechten auf eine Theatergruppe in Halberstadt, vor wenigen Wochen war es bei einem Überfall auf eine vietnamesische Familie in Burg ähnlich. Auch in Sachsen kommt es immer wieder zu Überfällen, die der rechten Szene zugeordnet werden. So wurden bei einem Angriff auf ein Döbelner Café im Februar zwei Menschen verletzt. 15 bis 20 Unbekannte waren in das Gebäude eines Vereins eingedrungen, der sich gegen Diskriminierung und Gewalt im Landkreis einsetzt. Geschehnisse, die der Dresdner Verein BürgerCourage kritisch beobachtet. Er hat die "Strategie des Verschweigens" von rechtsextremen Tendenzen in Sachsen kritisiert. Die Landesregierung müsse die Gefahren durch Rechtsextremismus klarer als bisher benennen, fordert der Verein.

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