Donnerstag, 23. August 2007

"Die Polizei hat uns behandelt wie Hunde"

Donnerstag ist Markttag in Mügeln. Diesmal fehlen die indischen Textilhändler, die am Wochenende auf dem Stadtfest durch die Gemeinde gehetzt und verprügelt wurden. Stattdessen beklagen sie sich auf einer Pressekonferenz über mangelnde Hilfe der Polizei - die weist die Vorwürfe vehement zurück.

Döbeln/Mügeln - Es ist die persönlichste Frage an diesem Tag im Café "Courage" in Döbeln. Werden sie hier bleiben? Kulvir Singh reibt sich das linke Auge, es ist immer noch blutunterlaufen. Zuvor hat er immer wieder eine Hand hinter sein verletztes linkes Ohr gehalten, um besser zu verstehen. Aber diese Frage hat Singh sofort verstanden.

"Ich weiß es nicht", sagt der Inder. Ein Journalist hakt nach: Er könne sich das also vorstellen? Ja, sagt Singh. Er sieht traurig dabei aus.

In der Kreisstadt Döbeln, rund 15 Kilometer von Mügeln entfernt, schildert der Texttilhändler Singh noch einmal die Ereignisse des Wochenendes. Eingeladen haben zwei sächsische Organisationen für Opferberatung und Schutz vor rechtsextremistischer Gewalt - der Verein "Amal - Hilfe für Betroffene rechter Gewalt" und die "RAA" (Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen).

Kulvir Singh und sieben weitere Inder waren in der Nacht zum Sonntag bei einem Stadtfest in eine Schlägerei verwickelt und durch die Stadt gejagt worden. Die acht Männer flüchteten schließlich in das Imbiss-Restaurant eines Bekannten, rund 70 Polizisten verteidigten sie dort vor dem aufgebrachten Mob.

Am schwersten wurde Gurminder Singh verletzt. Sein Gesicht ist immer noch zugeschwollen von den brutalen Tritten und Schlägen dieser Nacht. Er sagt kein Wort, steht nur da, hinter Kulvir Singh und den anderen auf dem Podium. Sein zerschundenes Gesicht spricht für sich.

"Ich habe heute Nacht zum ersten Mal seitdem wieder in meinem Bett in Döbeln geschlafen", sagt Kulvir Singh. Trotz der Angst. "Ich bin dreimal aufgestanden, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist."

Die indischen Händler haben an diesem Donnerstag darauf verzichtet, wie sonst ihre Stände auf dem Markt von Mügeln aufzubauen. "Ich bedauere das sehr, ich hätte ihnen gerne auch nochmals persönlich mein Mitgefühl ausgedrückt", wird Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) dazu von Nachrichtenagenturen zitiert. Immerhin, auch der Mügelner Stadtrat hat inzwischen seinen Abscheu gegen die Gewaltorgie zum Ausdruck gebracht. Und: der Bürgermeister stellt der Polizei einen Raum als sogenannten Zeugenanlaufpunkt zur Verfügung.

Vorwürfe gegen Mügeln und seine Bewohner sind von den Betroffenen ohnehin kaum zu hören. "Das ist doch meine Heimat", sagt Kulvir Singh. Seit fünf Monaten wohnt er in Mügeln, aber schon lange kommt Singh regelmäßig auf den Markt. 17 Jahre lebt er in Deutschland. "Man kennt uns doch in Mügeln", sagt sein Verwandter Kuldip Singh.

Klar sei, dass am Wochenende von ihnen keine Aggression ausgegangen sei, betont Kulvir Singh. Ob aber die Auseinandersetzung einen rechtsradikalen Hintergrund hatte, ob die Hetzjagd von auswärtigen Neonazis angeführt wurde oder ob die Gewalt mitten aus der Ortsbevölkerung kam - dazu äußert er sich nicht. "Weil ich es nicht weiß", sagt der Textilhändler.

Stattdessen macht er der Polizei Vorwürfe. "Die haben uns in der Nacht acht Stunden sitzen lassen wie arme Hunde", sagt er. "Niemand hat uns gefragt, ob wir Schmerzen haben oder ob jemand von uns ins Krankenhaus möchte." Erst als zwei Dolmetscher im Polizeirevier von Oschatz eintrafen, hätten die Beamten reagiert.

Die Polizei weist dies gegenüber SPIEGEL ONLINE zurück. "Das ist nicht wahr", sagt Ilka Peter, Sprecherin der Polizeidirektion Westsachsen. Erstens habe man die Inder in deren Interesse mit aufs Revier genommen, "weil wir sonst nicht für ihre Sicherheit garantieren konnten, die sind jedenfalls freiwillig mitgekommen". Und der Vorwurf, man habe ihnen Wasser und ärztliche Behandlung vorenthalten? "Die haben ja nichts gesagt." Außerdem, meint die Polizeisprecherin, sei ein Arzt im Revier gewesen. Und Klagen über die Räumlichkeiten könne sie erst recht nicht verstehen. "Da ist frisch renoviert", sagt Peter.

"Die übertreiben gerne", heißt es aus der Staatskanzlei

Für die Opferschützer von "Amal" und "RAA" ist die Sache grundsätzlich klar: Polizei und Staat verhielten sich wie immer - sie beschwichtigten. "Hätte es an diesem Abend nicht die Inder getroffen, wären andere fällig gewesen, vielleicht jemand mit bunten Haaren", sagt Ingo Stange von "Amal". Auch wenn Döbeln bisher nicht auffällig gewesen wäre, "man kann hier schon von No-Go-Areas sprechen". 139 rechtsextremistische Übergriffe habe es alleine im ersten Halbjahr 2007 in Sachsen gegeben. "Und die Dunkelziffer ist noch viel größer", sagt Juliane Wetendorf von "RAA". Nicht nur Ausländer, auch Homosexuelle, Behinderte oder Obdachlose - niemand sei hier sicher.

Natürlich sieht das die Landesregierung Dresden etwas anders. "Die übertreiben gerne", heißt es in der Staatskanzlei. Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will im Herbst immerhin eine Konferenz zum Thema Rechtsextremismus organisieren. Auch die Bundesregierung kündigte Programme und eine bessere Vernetzung bestehender Aktivitäten gegen Rechtsextremismus an. Neue Forderungen nach einem NPD-Verbot gibt es ebenfalls. Doch diese politischen Reaktionen klingen angesichts dessen, was im Café "Courage" zu erleben ist, hilflos. Man dürfe nicht drumherum reden: "Es gibt hier unterschwelligen Rechtsextremismus in der Bevölkerung", sagt "Amal"-Mann Stange. Dazu komme, dass die wirklichen Neonazis inzwischen extrem gut vernetzt seien.

Mehrfach muss Kulvir Singh das Podium im Café "Courage" verlassen, wegen seiner Schmerzen könne er nicht lange ohne Pause sitzen, erklärt der Inder. Der Händler ist noch lange krank geschrieben, auch die meisten seiner sieben Freunde und Verwandten.

Die Pressekonferenz ist schon vorüber, da erzählt Kuldip Singh von einer neunten Person, einem Pakistani. "Das ist ein Freund von uns, der wollte eigentlich auch mit auf das Fest in Mügeln kommen", sagt Singh. Aber der Freund sei ziemlich krank, deshalb blieb er in der Pizzeria. Was Kuldip Singh damit sagen will, formuliert er ein paar Sätze später so: "Der ist so schwach, wenn der mitgekommen wäre, der hätte das nicht überlebt."

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