Kolumbien
Die Demobilisierung der Geständigen soll einen Schlussstrich ziehen und dem seit vierzig Jahren wütenden blutigen Konflikt in Kolumbien ein Ende bereiten.
Nach fünf Jahren im Amt: Die Politik Uribes auf dem Prüfstand.
Die Nachrichten und Bilder, die der Friedensprozess in Kolumbien in grausamer Regelmäßigkeit ans Licht bringt, gleichen nicht selten Horrorszenarien. Zurzeit erschüttert das Video eines geständigen und aussteigewilligen Terroristen die mittlerweile sehr abgebrühte kolumbianische Öffentlichkeit. Die rechtsgerichteten paramilitärischen Führer im südlichen Departamento Putumayo haben demnach ihre Gefolgsleute gezwungen, Menschenfleisch zu essen und das Blut ihrer Opfer zu trinken.
Menschenfresser packt aus
"Robinson" ist der Deckname des Mannes, der seine Beichte auf Video aufzeichnen ließ. Er habe der Order seiner früheren Führer folge geleistet, denn für diesen menschenverachtenden Akt hätten die Para-Chefs Beifall geklatscht. Und nicht nur "Feinde" seien verspeist worden. "Robinson" berichtet, dass junge Paramilitärs gezwungen worden seien, ihren besten Freund zu töten, auszuschlachten und zu essen - als eine Art Initiationsritus.
Anlass und Datum der Veröffentlichung des Videos waren wohl gewählt: Der Abgeordnete Guillermo Rivera der regierungskritischen liberalen Partei (Partido Liberal) machte damit gezielt Stimmung gegen die Politik des Staatspräsidenten Alvaro Uribe. Das bislang unbekannte Video wurde im Parlament vorgeführt - anlässlich einer bilanzierenden Debatte über die Erfolge und Misserfolge der Legalisierungspolitik Uribes.
Pragmatische Gesetze
Konkret ging es dabei um die Demobilisierungsgesetze aus dem Jahre 2002 für paramilitärische Truppen und Gefolgsleute und um das Gesetz Gerechtigkeit und Frieden (Ley de Justicia y Paz) von 2005. Das erste Gesetz, mit der Nummer 782 gekennzeichnet, bietet kleinen Befehlsempfängern eine Amnestie, wenn sie ihr Wissen über Verantwortliche und über die Lage von Massengräbern lückenlos preisgeben. Letzteres Gesetz, mit der Nummer 975, verspricht hochrangigeren Paramilitärs umfangreiche Vorteile bei der Strafzumessung. Mit maximal acht Jahren Haft werden die Überläufer belangt. Im Gegenzug müssen sie ihre Waffen niederlegen und vor dem Gesetz ein Geständnis ablegen. Ergeben sich Unwahrheiten, ist das Angebot des Staates, eine mildere Justiz walten zu lassen, hinfällig.
Wenige Tage vor der Vollendung seines fünften Amtsjahres bekommt Aufräumer Uribe durch das Menschenfresserbekenntnis wieder einmal die hässliche Fratze der Realität vorgehalten, die außerhalb der Großstädte immer noch existiert. Und doch kann sich der kolumbianische Präsident seine Politik auf einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung stützen. Unter Uribe sind die Entführungsrate und die Morde auf offener Straße zurückgegangen. Die Menschen in den Städten fühlen sich sicherer.
Gemischtes Urteil zu Uribe
Markus Schultze-Kraft, Kolumbienexperte und Lateinamerikabeauftragter der nichtstaatlichen International Crisis Group in Bogotá, kommt bei der Bewertung Uribes sicherheitspolitischer Erfolgsbilanz zu einem "gemischten Urteil". Er sieht einen großen Verdienst in dem von Uribe vorangetriebenen Rechtsrahmen (782 und 975), der es möglich mache ehemalige Terroristen wieder in die Zivilgesellschaft zu integrieren. Schultze-Kraft kritisiert allerdings die schleichende Umsetzung des Prozesses. "Die Institutionen, die die Gesetze implementieren sollen, haben immer noch zu wenig Mittel um effektiv arbeiten zu können" sagt er. Die Staatsanwaltschaft könne die immense Fülle an Verfahren nicht bewältigen, der Prozess stocke.
Zudem haben außergerichtliche Exekutionen zugenommen. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls der Kolumbienbericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Louise Arbour aus dem Jahre 2006. Er macht die Armee direkt verantwortlich für Tötungen auch von Zivilisten, die die Behörden nachträglich "als Fälle von getöteten Guerilleros präsentiert, den Tatort verändert und die Opfer in Uniformen (ge)steckt".
Viele Mammutaufgaben
Schultze-Kraft will sich diesem Bericht in seiner Tragweite nicht anschließen. Aber sicher "haben die Verbrechen, die von Seiten der Militärs und der Polizei gezielt auch gegen die Zivilbevölkerung begangen werden, nicht abgenommen", sagt er. Der Erfolgsdruck, der auf den Sicherheitsbeamten im Land laste, sei hoch. Und noch immer bestehe in vielen ländlichen Gebieten die sicherheitspolitische Strategie eines Body Count. Je mehr Leichen der Gegner zählt, desto erfolgreicher erscheinen die Behörden. Dass darunter auch die Zivilbevölkerung leidet, ist ein großer Makel der Sicherheitspolitik Uribes.
Neben der Gewalt und der lahmenden juristischen Vergangenheitsbewältigung hängt die Geiselproblematik wie ein Damokles-Schwert über der Politik Uribes. Zwar hat der Staatspräsident im Juni die Freilassung von etwa 180 FARC-Häftlingen veranlasst, und damit den Forderungen der linksgerichteten Guerillaorganisation einen Schritt nachgegeben, zu mehr ist er zurzeit nicht bereit. Wohl auch deshalb, weil sich daraufhin keine Geiselfreilassungen ergaben, stattdessen von Gräueltaten der FARC berichtet wurde. Die linksgerichtet Guerilla FARC versucht mit ihren Geiseln, politische Häftlinge frei zu pressen. Uribe hat zu seiner harten pragmatischen Haltung in der Geiselfrage zurückgefunden und damit die Angehörigen der Verschleppten gegen sich aufgebracht. Das zeigte der medienwirksam inszenierte mehr als 850 Kilometerlange Marsch des Dorfschullehrers Gustavo Moncayo.
Dorfschullehrer fordert Uribe heraus
Gustavo Moncayo sucht Trost bei seiner Frau
46 Tage war der 55-jährige zu Fuß unterwegs von seinem Andendorf in die Hauptstadt Bogotá. Er wollte die Aufmerksamkeit auf das Schicksal seines vor neun Jahren von der FARC verschleppten Sohnes lenken. Zum Erstaunen vieler gab es am Mittwoch (1.8.) ein öffentliches Treffen Uribes und Moncayos auf dem zentralen Platz der Hauptstadt, der Plaza Bolívar. Der besorgte Vater wollte versuchen, die Regierung zu bewegen, auf die Forderungen der FARC einzugehen und eine entmilitarisierte Zone einzurichten, damit im Gegenzug die Geiseln freikämen. Aber Uribe erteilte der Forderung eine klare Absage: "Ich werde dem Verbrechen nicht einen Quadratmillimeter zugestehen. Es wird keine Entmilitarisierung geben", sagte er. Stattdessen bot er an, für 90 Tage eine nicht näher beschriebene Sonderzone für Gespräche über einen Friedensabschluss mit der FARC einzurichten. Die Rede Uribes wurde von Pfiffen begleitet und sein Herausforderer Moncayo zog sich demonstrativ vom Rednerpult zurück, ehe er in Tränen ausbrach.
Der Vorgänger Uribes, Andrés Pastrana, hatte bereits schlechte Erfahrungen mit der FARC gemacht. Er war auf die Forderung einer entmilitarisierten Zone eingegangen. Diese diente aber keineswegs Friedensverhandlungen. Die Terroristen nutzten das Gebiet, das so groß war wie die Schweiz, um sich stärker aufzustellen und näher an die Hauptstadt heranzurücken.
Der Lehrer Moncayo war bei seiner Ankunft von mehreren zehntausend Menschen empfangen worden. Seither kampiert er in einem Zelt auf dem Bolívar-Platz und ist entschlossen dort zu bleiben, bis sein Sohn freigekommen ist.
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