Dienstag, 28. August 2007

Die Frage der Ehre

Der sogenannte Ehrenmord-Prozess um den Tod der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü wird neu aufgerollt. Das entschied der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig

Einer der 2006 freigesrochenen Brüder Hatun Sürücüs:
Alpaslan Sürücü.

Der Fall hatte vor zweieinhalb Jahren für allgemeines Entsetzen gesorgt. Der Mord an Hatun Sürücü löste in der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik eine wochenlange Debatte über die Integration türkischer Einwanderer und die Notwendigkeit einer Reform des deutschen Rechtssystem, das, so der Eindruck vieler, bisher ungewollt muslimische Männer schützt, wenn diese ihre Familien mit einer altertümlichen Vorstellung von Ehre in Schach zu halten versuchen. Zwangsheirat gilt in Deutschland beispielsweise nur als Vergehen, das mit einer Geldstrafe geahndet werden kann.
Was war geschehen? In der Nacht des 7. Februar 2005 wurde die 23jährige Sürücü an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof ermordet. Die Ermittler sprachen von einer "Art Hinrichtung", mehrere Schüsse hatten die junge Türkin in den Kopf und in den Oberkörper getroffen und sie so schwer verletzt, dass sie noch am Tatort starb.
Schnell konzentrierte sich die Fahndung auf die Familie der Toten, die einen ihrer Brüder zuvor angezeigt hatte, weil dieser sie bedrohte. Drei ihrer Brüder wurden verhaftet, nur einer von ihnen, der jüngste, wurde verurteilt und sitzt nun eine neunjährige Jugendhaftstrafe ab. Die beiden mitangeklagten älteren Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Nun wird der Prozess, zwei Jahre nach der Tat, neu aufgerollt. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig hob die Freisprüche für die beiden älteren Brüder Hatun Sürücüs auf und wies den Fall zur Neuverhandlung an das Berliner Landgericht zurück.
Der Bundesgerichtshof folgte damit dem Revisionsantrag der Bundesanwaltschaft. Der zuständige Bundesanwalt Hartmut Schneider kritisierte bereits während der Revisionsverhandlung die lückenhafte Beweiswürdigung des Berliner Landgerichts, das den Fall damals behandelt hatte. Viele wichtige Fragen seien seiner Ansicht nach vor dem Urteilsspruch im April 2006 nicht gestellt worden.

Nach Ansicht des Gerichts musste Hatun Sürücü sterben, weil sie die Ehre ihrer Familie verletzt hatte. Sie war ausgeschert und so für die Familie ein vermeintliches "Riesenproblem" geworden. Wie tief dieses Ehrgefühl in einigen Familien wurzelt und wie viel Verständnis für die so genannten Ehrenmorde aufgebracht wird, zeigen die Reaktionen von Sürücüs Mitschülern an der Thomas-Murus-Hauptschule in Neukölln. Eine wie Hatun sei eine Schlampe, haben sie damals gesagt. Wenn sie wie eine Deutsche lebe, dann verdiene sie den Tod. Hatun Sürücüs Geschichte ist keineswegs ein Einzefall in Deutschland, meist dringen sie aber nicht an die Öffentlichkeit. Frauen werden erwürgt, erstochen oder ertänkt, weil sie durch ihren Freiheitsdrang die Familienehre "beschmutzt" haben.
Mit 15 wurde Hatun Sürücü von ihren Eltern in der Türkei mit einem Cousin verheiratet. Sie trennte sich jedoch von ihrem Mann und kehrte schwanger zurück nach Berlin. Als sie 17 war wurde ihr Sohn Can, der seit dem Tod seiner Mutter bei einer Pflegefamilie lebt, geboren. Sürücü legte das Kopftuch ab, versuchte ihren eigenen Weg zu gehen. Der Kontakt mit der Familie brach ab, sie hatte einige Liebesgeschichten, auch mit deutschen Männern. In einem Mutter-Kind-Heim machte die junge Türkin ihren Hauptschulabschluss nach, absolvierte danach eine Ausbildung als Elektrotechnikerin. Sie kam zu recht, suchte aber dennoch immer wieder den Kontakt zu ihrer Familie, nach Aussagen ihrer damaligen Betreuerin soll sie jedoch vor ihrem zwei Jahre älteren Bruder Mütlü besondere Angst gehabt haben.

Der Haftrichter hatte dem 25jährigen im Verlauf des Prozesses 2005 vorgeworfen, die Waffe besorgt zu haben. Sein ein Jahr jüngerer Bruder Alpaslan soll seine Schwester aus dem Haus gelockt haben - und der jüngste, der damals 18jährige Ayhan, hat, wie er später gestand, geschossen. Die Anklagebehörde stützt sich auf Aussagen eines Mädchens, das mit dem verurteilten jüngsten Bruder befreundet war. Die Schülerin war vor dem Berliner Landgericht unter besonderen Schutzmaßnahmen als Kronzeugin der Anklage aufgetreten. Doch ihre Aussagen genügten den Berliner Strafrichtern nicht für einen Schuldspruch. Es gab Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Der Vorsitzende Richter Michael Degreif sprach seinerzeit von "Brücken, die so wacklig waren, dass sie nicht zu einer Verurteilung führen können." Andere Zeugen oder DNA-Spuren gab es nicht, die Mordwaffe ist verschwunden.
Die Bewertung der Kronzeugin wird deshalb in der Revisionsverhandlung erneut eine zentrale Rolle spielen. Bundesanwalt Hartmut Schneider will die Richter davon überzeugen, dass ihre Berliner Kollegen bei der Beweiswürdigung Fehler gemacht haben. Sein Ziel ist es, dass die Freisprüche aufgehoben werden.
Ob die beiden im ersten Prozess freigesprochenen Brüder allerdings zu einer Neuverhandlung kommen werden, ist ungewiss Beide sollen sich nach Presseberichten seit Monaten in der Türkei aufhalten, wo ihr zurückgekehrter Vater vor einiger Zeit an einer Krebserkrankung gestorben sei. Die deutsche Justiz müsste möglicherweise die Auslieferung beantragen. Das könnte im Fall des ältesten Bruders, dem heute 28jährigen Mütlü erfolgreich sein, falls er seine deutsche Staatsbürgerschaft behält. Doch der jüngere Alpaslan hat keinen deutschen Pass. Nach Angaben seines Strafverteidigers verwehrten ihm die Behörden erst im Frühjahr auf dem Berliner Flughafen Tegel die Rückkehr nach Deutschland mit der Begründung seine Aufenthaltserlaubnis sei nach mehr als sechs Monaten Abwesenheit erloschen.

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