SPIEGEL ONLINE: Herr Heye, unter der Führung des Familienministeriums wurden im Rahmen des Projekts "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" für das Jahr 2007 19 Millionen Euro für Projekte gegen Rechts bewilligt. Reicht das aus?
Heye: Es wäre hoffnungslos, wenn der Bund alleine die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Deutschland stemmen sollte. 19 Millionen sind zu wenig zur Finanzierung der notwendigen Projekte - zumal die vom Bund unterstützten Initiativen 50 Prozent ihres Etat-Geldes selbst aufbringen müssen. Wie die das in den neuen Ländern schaffen sollen, ist mir ein Rätsel. Wir brauchen die Länder und Kommunen dazu.
SPIEGEL ONLINE: Offenbar hat der Landkreis Torgau-Oschatz, zu dem Mügeln gehört, trotz eines Antrags an das Familienministerium keine Gelder bewilligt bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht richtig, dass Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt vor vorschnellen Urteilen im Fall Mügeln warnt?
Heye: Nein. Das ist eine Verharmlosung, denn Milbradt setzt mit seinen Äußerungen voraus, dass die in Mügeln skandierten Parolen wie "Ausländer raus!" bloß Alltagssprache sind. Ich halte das aber nicht für Alltagssprache, sondern für eine tief sitzende fremdenfeindliche Grundhaltung, die in den neuen Ländern entstanden ist, ohne dass es dort Ausländer oder Fremde gibt. Im Landkreis von Mügeln sind ein Prozent der Bevölkerung aus dem Ausland - man muss Ausländer regelrecht suchen. Milbradts Kommentar ist eher die übliche Bagatellisierung. Jede dieser vagen und diffusen Aussagen stärkt den Rechtsradikalismus, unabhängig davon, ob er organisiert ist oder nicht.
SPIEGEL ONLINE: Seit Jahren fließen Millionen in Initiativen gegen Rechts - geändert hat sich offenbar nicht viel.
Heye: Es geht in erster Linie darum, dass die Folgenlosigkeit von Vorfällen wie jetzt in Mügeln überwunden wird; diese aufbrausende Empörung in der Öffentlichkeit, die am nächsten Tag wieder vorbei ist. Dieses Muster lässt sich nur durch eine Art Demokratiegipfel in Berlin überwinden, an dem Kommunen, Länder, Bund, Wissenschaft, Sportvereine und andere lokale Gruppen teilnehmen, damit auch Druck auf die Bundesländer ausgeübt wird. Die Länder müssen endlich ernsthaft über die Frage nachdenken, wieso unser Schulsystem jedes Jahr zwischen 60.000 und 80.000 Jugendliche ohne Abschluss entlässt. Man darf sich nicht wundern, dass sich hier ein Rekrutierungsfeld öffnet, das auch von Rechtsradikalen genutzt wird.
SPIEGEL ONLINE: In Mügeln haben Autonome gegen Rassismus demonstriert. ehen Sie es als Problem, dass der Kampf gegen Rechts meistens nur von sehr linken Jugendorganisationen geführt wird?
Heye: Ich wäre dankbar, wenn ich in den neuen Ländern noch auf ein paar linke Jugendorganisationen stoßen würde - das ist aber fast nicht der Fall. In Ostdeutschland gibt es eine ganze Reihe von tollen Initiativen, aber linke Jugendorganisationen, die in den neuen Ländern die Speerspitze im Kampf gegen den Rechtsextremismus bilden könnten, kommen fast nicht vor.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich nach Ihrer Warnung vor No-Go-Areas im Osten Deutschlands im letzten Jahr irgendetwas getan?
Heye: Die Frage muss anders herum gestellt werden: Was wäre in Deutschland - vor allem im Osten, wo sich eine besonders gewalttätige Form des Rechtsextremismus entwickelt hat, wenn es die Initiativen gegen rechte Gewalt nicht gäbe? Es ist schwierig, die Arbeit der Projekte zu messen. Was wir brauchen, ist eine entschiedenere Haltung der Landesregierungen in den ostdeutschen Ländern. Die Politiker müssen auch auf die Polizei einwirken und eine Haltung entwickeln, die klar macht, dass Rassismus in Deutschland keine Chance hat.
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ZUR PERSON
- Uwe- Karsten Heye, 66, war von 1998 bis 2002 Gerhard Schröders Regierungssprecher. Er gründete im Jahr 2000 mit Paul Spiegel und Michel Friedman den Verein "Aktion weltoffenes Deutschland", der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland bekämpft und dessen Vorsitzender er heute ist. Im Mai 2006, kurz vor der WM, warnte er ausländische Besucher davor, bestimmte Regionen in Ostdeutschland zu besuchen. Dort seien Leib und Leben in Gefahr. Viele empörten sich danach - Heye erhielt aber auch viel Unterstützung für seine offenen Worte. Heye ist Chefredakteur der SPD-Zeitung "Vorwärts".
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