Mittwoch, 15. Juli 2009

"Zögert nicht, alles zu zerstören"

Der vollständige Bericht als PDF-Dokument (in Englisch)

Israelische Soldaten brechen Schweigen

Sie wollen das Schweigen brechen: Israelische Soldaten beginnen, anonym über ihren Einsatz im Gazakrieg zu sprechen. Ihre Schilderungen lassen darauf schließen, dass die israelische Armee die Strategie einer wahllosen und größtmöglichen Zerstörung verfolgte.

Von Sebastian Engelbrecht, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv

Für die meisten Israelis sei der Gaza-Krieg "ein schwarzes Loch", meint Yehuda Shaul, einer der Gründer von "Breaking the Silence". Die israelische Öffentlichkeit weiß bis heute nicht, was ihre Truppen während der sogenannten "Operation Gegossenes Blei" in Gaza getan haben. Die meisten verließen sich auf die Informationen in den israelischen Medien, die der Militärzensur unterliegen. Kein Israeli konnte sich nach dem Ende des Krieges Mitte Januar selbst ein Bild von der Zerstörung im Gaza-Streifen machen.

"Breaking the Silence" hat 26 Soldaten gefunden, die bereit waren, über den Krieg zu berichten, natürlich unter der Bedingung der Anonymität. Ihre Zeugnisse sollen das "schwarze Loch" des Unwissens in Israel jetzt auffüllen.



Ein Infanterist erinnert sich: "Während unseres Aufenthalts dort, von dem wir nicht wussten, wie lange er dauern wird, mussten wir die Umgebung so gut wie möglich inspizieren. 'Inspektion' ist ein schönes Wort für systematische, zielgerichtete Zerstörung der Umgebung."

Neue Taktik

Für Yehuda Shaul von "Breaking the Silence", selbst Reservist, belegen die Berichte, dass die israelische Armee im Gazakrieg eine völlig neue Strategie anwandte: "Das Besondere an der 'Operation Gegossenes Blei' ist, dass die israelische Armee zum ersten Mal die Taktik und Methodik des Krieges auf einen palästinensischen Ort anwendet. Die Armee hat damit im Grunde genommen einen Strategiewechsel vorgenommen, es fand ein Umdenken statt, ohne die Bürger davon zu benachrichtigen."

Zum ersten Mal, so Shaul, sei die Armee mit der Maßgabe in eine Operation gegangen, auf der eigenen Seite so wenig Verluste wie möglich zu machen und dafür alles zu tun. "Wir sind nicht bereit, unsere Soldaten zu gefährden - und es ist uns egal, ob Zivilisten gefährdet oder getötet werden. Die Armee hat ihre ethischen Richtlinien verworfen."

Einsatz ohne Rücksicht

Die Armee kämpfte gegen die Hamas, eine Guerilla-Truppe - aber mit Mitteln, die im Krieg zwischen Armeen üblich sind - als stünden ihr die Panzerdivisionen Syriens oder Ägyptens gegenüber. Nach den Berichten der Soldaten zerstörten die israelischen Truppen den Gaza-Streifen wahllos, ohne Rücksicht auf Schuld oder Unschuld oder Zugehörigkeit zur Hamas.

Die Soldaten wurden auf die Kriegsstrategie während der "Operation Gegossenes Blei" in Manövern vorbereitet. Die Genauigkeit der Treffer war ihren Berichten zufolge weniger wichtig als die größtmögliche Zerstörung.

"Nicht über die Folgen nachdenken"

Ein Feldwebel der Panzertruppen über die Gespräche mit seinem Vorgesetzten vor dem Krieg: "Den Leuten, die Fragen zur Ethik hatten und ihn auf Unschuldige ansprachen, antwortete er, dass wir uns im Krieg befinden würden und wir nicht zögern sollten, alles zu zerstören, Moscheen und alles, was wir als Bedrohung definieren. Die Grundeinstellung ist, das Feuer zu eröffnen und nicht über die Folgen nachzudenken. Jedes Hindernis und jedes Problem wird durch das Eröffnen des Feuers gelöst, ohne dass Fragen zurückbleiben dürfen, selbst wenn es sich um einen Beschuss von etwas handelt, was wir nicht kennen oder sehen."

"Das ist nicht die Armee, die ich kenne", so resümiert der Reservist Yehuda Shaul, der viele von den Interviews mit den Soldaten des Gazakrieges selbst geführt hat. Für ihn ist die "Operation Gegossenes Blei" ein Sündenfall. Eine Armee, die sich bisher ihrer ethischen Verantwortung bewusst war, habe diese im Gazakrieg gänzlich aufgegeben.



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