Dietmar Hipp, Karlsruhe
Die Polizei darf E-Mails auch dann sicherstellen, wenn sie auf dem Mailserver eines Internet-Anbieters gespeichert sind. Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts können die Ermittler sich dabei auf die normalen Regeln zur Durchsuchung und Beschlagnahme stützen.
Bei einer polizeilichen Durchsuchung dürfen Computer und damit auch die darauf abgelegten E-Mails beschlagnahmt werden. Was aber ist mit E-Mails, die nur beim Provider gespeichert sind? Unterliegt deren Abruf durch die Polizei nicht zumindest dem Fernmeldegeheimnis, und damit strengeren Voraussetzungen als die normale Wohnungsdurchsuchung?
Für eine Server-Durchsuchung gelten somit weniger strikte Regeln. Die strengeren Voraussetzungen einer Telefonüberwachung müssen dazu nicht erfüllt sein - die Überwachung darf nur beim Verdacht auf bestimmte gewichtige Straftaten wie schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, Geldwäsche, Erpressung oder Mord angeordnet werden.
Zwar unterliegen gespeicherte Mails grundsätzlich dem verfassungsrechtlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses, so dass bei einer Beschlagnahme etwas strenger geprüft werden muss, ob der Eingriff in die Rechte des Betroffenen noch verhältnismäßig ist. Im konkreten Fall haben sich die Verfassungsrichter gegenüber den Ermittlern aber überaus großzügig erwiesen.
In dem Fall, den das Verfassungsgericht jetzt auf Beschwerde eines Finanzdienstleisters und Unternehmensberaters aus dem Raum Braunschweig entscheiden musste, hatte die Polizei auf rund 2500 Mails zugegriffen, die bei seinem Internet-Provider gespeichert waren.
Ermittelt wegen Betrugs und Untreue wurde dabei aber gar nicht gegen den Berater selbst, sondern gegen zwei seiner Geschäftspartner. Sie sollen, so der Vorwurf, im Rahmen eines Joint-Ventures gegenüber den beteiligten anderen Firmen wahrheitswidrige Angaben über die geplante Errichtung einer Fabrik in Indien gemacht haben; von den Zahlungen, die sie sich so erschlichen, sollen über verschiedene Firmenkonten schließlich mehr als 100.000 Euro auf einem Privatkonto eines der Beschuldigten gelandet sein.
Weil aber auch der Nicht-Beschuldigte Zugriff auf diese Firmenkonten hatte, ordnete das Amtsgericht Braunschweig im Zuge der Ermittlungen auch eine Durchsuchung seiner Wohnung an, um dort Unterlagen und Daten zu den Firmenkonten zu finden. Als die Polizei auch seinen Computer beschlagnahmen wollte, um an seinen E-Mail-Verkehr zu kommen, wies er sie darauf hin, dass diese gar nicht auf seinem lokalen Rechner, sondern - über das sogenannte Internet-Message-Access-Protokoll - nur in einem zugangsgesicherten Bereich auf dem Mailserver seines Providers abgespeichert sind.
Daraufhin erwirkten die Strafverfolger noch aus der Privatwohnung des Unternehmensberaters heraus einen Beschluss auf Beschlagnahme der Daten bei dem Provider; noch am selben Tag wurden dort dessen sämtliche Mails aus den zurückliegenden beiden Jahren auf einen Datenträger kopiert und den Ermittlungsbehörden übergeben.
Vergeblich machte der Mann vor Gericht geltend, die bloße Annahme, er könne verfahrensrelevante Mitteilungen empfangen oder versandt haben, rechtfertige nicht den Zugriff auf seinen gesamten E-Mail-Bestand. Es handele sich größtenteils um geschäftliche Korrespondenz - der Zugriff darauf könne verheerende Folgen haben, wenn andere Geschäftspartner - oder auch nur potentielle Geschäftspartner - davon Kenntnis erlangten. Außerdem hätten die Mails schon deshalb gar nicht beschlagnahmt werden dürfen, weil die Vorschriften über die Telekommunikationsüberwachung anzuwenden gewesen wären - was aber bedeute, dass bei Ermittlungen wegen Betrug und Untreue alleine der Zugriff auf solche Daten nicht zulässig sei.
Beschlagnahme der E-Mails verletzt nicht die Grundrechte
Auch beim Bundesverfassungsgericht hatte er nun mit seiner Beschwerde keinen Erfolg. Die Verfassungsrichter entschieden, dass der Zugriff auf die auf dem Server des Providers abgespeicherten Mails zulässig war. Der zugangsgesicherte Inhalt in einem E-Mail-Postfach, auf das der Nutzer nur über eine Internet-Verbindung zugreifen kann, unterliege zwar prinzipiell dem verfassungsrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnis, und zwar unabhängig davon, ob eine E-Mail auf dem Mailserver des Providers zwischen- oder endgespeichert ist. Dennoch sei der Beschwerdeführer durch die Sicherstellung der E-Mails auf dem Server des Providers nicht in seinen Grundrechten verletzt. Denn die Ermittlungsbehörden dürften auf diese Mails bereits nach den normalen Beschlagnahmevorschriften zugreifen, und müssten sich nicht an die strengeren Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung halten. Die "wirksame Strafverfolgung" und das "öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren" seien "legitime Zwecke, die eine Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses rechtfertigen können".
Auch zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit sei es "nicht geboten, den Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails auf Ermittlungen zu begrenzen, die Straftaten von erheblicher Bedeutung betreffen, und Anforderungen an den Tatverdacht zu stellen, die über den Anfangsverdacht einer Straftat hinausgehen".
Allerdings sei dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses "bereits in der Durchsuchungsanordnung" durch "Beschränkung des Beweismaterials auf den erforderlichen Umfang" Rechnung zu tragen: Die Gewinnung "überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten" sei "nach Möglichkeit" zu vermeiden, halten die Richter fest - relativieren dies aber sogleich mit dem Hinweis , dass "eine sorgfältige Sichtung und Trennung der E-Mails nach ihrer Verfahrensrelevanz am Zugriffsort nicht immer möglich" sei.
"Kernbereich privater Lebensgestaltung" ausblenden
Nur wenn "tatsächliche Anhaltspunkte" bestünden, dass der Zugriff "Inhalte erfasst, die zum Kernbereich privater Lebensgestaltung zählen", habe dieser "insoweit zu unterbleiben"; wurden dennoch "Kommunikationsinhalte des höchstpersönlichen Bereichs" erhoben, dürften diese nicht gespeichert und verwertet, sondern müssten unverzüglich gelöscht werden. Darüber hinaus sei bei einer Beschlagnahme beim Provider der Inhaber des Postfachs "im Regelfall zuvor von den Strafverfolgungsbehörden zu unterrichten, damit er jedenfalls bei der Sichtung seines E-Mail-Bestands seine Rechte wahrnehmen kann".
Danach sei auch der konkrete Eingriff im vorliegenden Fall noch verhältnismäßig gewesen, so die Verfassungsrichter. Die "Annahme", dass "die Schwere der den Beschuldigten vorgeworfenen Taten und die Schwierigkeiten der Ermittlungen" einen Zugriff auf die E-Mails des selbst nicht beschuldigten Geschäftspartners rechtfertigten, sei "verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden". Da der Unternehmensberater "Verfügungsberechtigter über die Konten" war, "von denen aus und auf die die Gelder zum Teil überwiesen worden waren", und er "in Kontakt zu den Tatverdächtigen" stand, durften die Ermittler und die Gerichte die Verbindungen zwischen den Beschuldigten und ihm "für aufklärungsbedürftig halten".
Ermittler dürfen erst mal alles kopieren
Auch die "vollständige Kopie aller Mails" weist nach Ansicht des Verfassungsgerichts nicht auf "eine Missachtung der verfassungsrechtlich gegebenen Grenzen" hin, denn "die Vielzahl der potentiell beweiserheblichen E-Mails erschwerte eine grobe Sichtung vor der Kopie vom Mailserver des Providers"; selbst dass die Mails ab Anfang 2004 kopiert wurden, die Ermittlungen sich aber erst auf einen Zeitraum ab Oktober 2004 bezogen, störte die Verfassungsrichter nicht.
Nicht einmal, dass es das Landgericht Braunschweig abgelehnt hatte, dass der Unternehmensberater und sein Rechtsanwalt bei der Durchsicht der kopierten Mails dabei sein durfte, wollten die Karlsruher Richter beanstanden: "Allein aus dem Umstand, dass er Nichtverdächtiger ist, folgt kein verfassungsunmittelbares Teilnahmerecht an der Durchsicht der sichergestellten E-Mails."
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