Von Gregor Peter Schmitz, Washington
Wie weit reicht der Schatten der Bush-Jahre? US-Justizminister Eric Holder möchte die Anti-Terror-Methoden dieser Zeit von einem Sonderermittler untersuchen lassen. Barack Obama hält davon wenig. Aber es ist fraglich, ob der Präsident sich durchsetzen kann.
Sie bereiten ihm einen rauschenden Empfang, fast eines Präsidenten würdig. Die National Organisation for the Advancement of Colored People (NAACP) hat in New York zum fünftägigen Festakt geladen. 100 Jahre alt wird die Organisation dieses Jahr, eine lange Zeit voller harter Kämpfe.
Der gefeierte Ehrengast am Montag ist Eric Holder, Justizminister im Obama-Kabinett, der erste Afroamerikaner in diesem Amt. Holder, 58, betritt den Saal, er schüttelt Hände, er lacht, doch dann wird er ernst: "Im nächsten Jahrhundert wird es weniger darum gehen, Gesetze zu ändern, als uns selbst zu ändern. Wir müssen uns wieder darauf besinnen, dass jedermann für seine Handlungen verantwortlich ist."
Die Zuschauer klatschen laut. In Washington hingegen werden Holders Worte argwöhnisch beurteilt. Aus gutem Grund: Der Justizminister hat die US-Hauptstadt und seine Regierungskollegen in Alarmbereitschaft versetzt - mit lauten Überlegungen, einen Sonderermittler zu den Verhörpraktiken im Anti-Terror-Kampf der Bush-Jahre einzusetzen. Ernannt werden könnte der Ermittler schon in ein paar Wochen, wenn auf Druck von US-Bürgerrechtsorganisationen auch ein umfassender Bericht über die Methoden veröffentlicht werden soll.
Holder hat den Text schon gelesen, allein in seinem Büro. Zwei volle Tage hat er sich dafür freigeschaufelt, berichtet "Newsweek". Mehr als 200 Seiten aus dem Jahr 2004, destilliert aus mehr als hundert Interviews, 92 Videos, Tausenden internen E-Mails, Befragungen in CIA-Gefängnissen weltweit. Schlimmes muss in diesem Bericht stehen, die Rede ist von Anketten, von Schlägen, von der berüchtigten Wasserfolter, von klaren Verstößen gegen die Uno-Folterkonvention.
Seite für Seite durch die Schreckensliste
Seite um Seite kämpfte Holder sich durch die Schreckensliste. Er sei nach der Lektüre "schockiert" und "traurig" gewesen, dass so etwas im Namen Amerikas geschehen konnte, zitiert "Newsweek" aus seinem Umfeld. "Holder v. Bush?", Holder gegen Bush, lautete die Schlagzeile des Magazins dazu.
Doch muss sie nicht eher lauten: Holder v. Obama?
Denn die Pläne des Justizministers für weitere Ermittlungen könnten weitere Auseinandersetzungen um Bushs Foltererbe auslösen - just, da wieder neue Enthüllungen publik wurden, wie die Bush-Regierung dem US-Kongress Pläne verschwieg, mit CIA-Spezialteams Qaida-Größen zu töten.
Zwar stellen Holders Mitarbeiter klar, dass nur belangt werden soll, wer die Grenzen der umstrittenen Bush-Foltermemos überschritt. Die gaben unter anderem die Erlaubnis, Gefangenen den Schlaf zu entziehen, Ertränkungen zu simulieren, sie gegen die Wand zu schleudern, sie in kleinen, dunklen Räumen gefangen zu halten. Also wäre weiterhin unwahrscheinlich, dass auch die geistigen Väter solcher Praktiken Konsequenzen zu fürchten haben.
Dennoch: Der Präsident will die Vergangenheit ruhen lassen. Obama ist selbst Jurist, ein Verfassungsrechtler. Er hat einen Bruch mit Bushs Terrorpolitik versprochen, er hat eine der längsten Reden seiner bisherigen Amtszeit zur schwierigen Balance zwischen Sicherheit und Verfassungswerten gehalten.
"Wir müssen nach vorn schauen"
Doch er sagt auch: "Wir müssen nach vorn schauen, nicht zurück." Obama weiß von seinen Meinungsforschern: So wollen es die meisten Amerikaner. 44 neue Folterfotos aus dem Irak und Afghanistan hat er nicht veröffentlicht. Er wollte die Truppen nicht gefährden, er ist jetzt für die Soldaten verantwortlich. Der Oberbefehlshaber braucht auch die Geheimdienste, im Iran, im Irak, in Afghanistan. Vielleicht schon bald wieder daheim, sollte ein neuer Terroranschlag passieren.
Und er ist im US-Kongress auf die Hilfe von Republikanern für seine Politik angewiesen, etwa bei der Gesundheitsreform. Die rebellieren bereits gegen neue Ermittlungen. "Sie begreifen nicht, dass wir im Krieg sind", sagt die Tochter von Ex-Vize Dick Cheney, Liz, zu Holders Plänen.
Entsprechend zurückhaltend gibt sich Obama in dieser Frage. Die Frage ist nur, ob Holder das beeindruckt.
Der "Attorney General", so Holders Amtstitel, ist ein seltsamer Akteur in Amerikas Regierung. Er wirkt als Generalstaatsanwalt, ist aber als Justizminister Teil des Präsidententeams. Er muss für Gerechtigkeit kämpfen, aber auch für seinen Chef.
Unter Bush winkte Texas-Kumpel Alberto Gonzales fast jeden Vorschlag aus dem Weißen Haus durch. Holder ist ein alter Obama-Vertrauter. Der ehemalige Richter, Staatsanwalt und Anwalt hat dessen Team zur Vizepräsidenten-Auswahl geleitet. Dem Vernehmen nach fiel Obama dabei angenehm auf, wie rigoros Holder die hochrangigen Bewerber überprüfte.
Schlechte Erfahrungen unter Clinton
Doch er gilt auch als selbstbewusst und agiert manchmal provokant. Kurz nach Amtsantritt nannte der Afro-Amerikaner Amerika immer noch eine Nation der "Feiglinge", wenn es um Fragen der Hautfarbe gehe. Das Weiße Haus war nicht begeistert. Holders Frau Sharon Malone, eine prominente Gynäkologin, zieht laut Presseberichten gern eine direkte Verbindung von Amerikas Rassen-Sünden zu Amerikas Exzessen im Anti-Terror-Krieg.
Und Holder hat seine ganz eigene schlechte Erinnerung, als er in früheren Zeiten einem Präsidenten zu sehr vertraute. Es war in den letzten Tagen der Clinton-Regierung: Bill Clinton wollte noch Gnadengesuche durchdrücken, US-Präsidenten dürfen das ganz am Schluss. Eines galt Marc Rich. Der Rohstoffhändler hatte Steuerschulden in Millionenhöhe angehäuft, er war in schmutzige Deals verwickelt, das FBI jagte ihn. Rich flüchtete in die Schweiz.
Doch seine Ex-Frau und er hatten auch viel Geld für die Clintons gespendet, der Präsident wollte ihn begnadigt sehen. Holder, damals schon Vizejustizminister, prüfte eher oberflächlich, er winkte die Begnadigung durch - heute gilt der Vorgang als Riesenskandal. "Ich habe es vermasselt", gibt Holder zu. Seine Frau sagte "Newsweek", er strebe seither nach Wiedergutmachung.
Vielleicht will Holder einen vergleichbaren Fehler nicht mehr machen und widersetzt sich daher dem Willen seines Präsidenten. Vielleicht hat er beim Lesen des CIA-Berichts aber auch einfach den Drang nach einer moralischen Erneuerung des Landes verspürt, den Obama bei Amtsantritt Amerika versprach. Das US-Justizministerium trägt eine lateinische Inschrift über dem Eingang: "Wer hier arbeitet, kämpft für Gerechtigkeit und die Verfassung." Dass seine 110.000 Mitarbeiter nach den Bush-Jahren dies wieder stolz sagen können, hat Holder als Maxime ausgegeben.
Riskiert er dafür auch den offenen Bruch mit dem Präsidenten? Oder ist sein Vorstoß doch mit dem Weißen Haus abgesprochen, um den linken Flügel der Demokraten zu befrieden, die Obamas pragmatischen Kurs im Anti-Terror-Kampf mit Argwohn verfolgen?
Oder hat der Präsident gar keine Wahl mehr?
Ende August soll der Bericht über die Foltermethoden veröffentlicht werden, der Holder so beeindruckt hat. Er wird sicher zensiert, aber Holder scheint davon auszugehen, dass die amerikanischen Bürger weitere Ermittlungen unterstützen, wenn sie mehr Details über die Praktiken der Bush-Jahre erfahren.
Vielleicht weiß Holder spätestens dann im Fall "Holder v. Obama" das Volk auf seiner Seite.
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