Ulrike Putz, Beirut
Eine Meldung, die Israel ungelegen kommt: Die Zahl jüdischer Siedler auf palästinensischem Gebiet hat einen neuen Rekordwert erreicht. Dabei haben die hochkarätigen Gäste, die gerade aus den USA anreisen, genau diese Siedlungen als größtes Hindernis im Friedensprozess ausgemacht.
Es war nur eine kleine, alltägliche Meldung, eine, die es gewöhnlich nie in internationale Medien schaffen würde: Die Organisation "Gläubige des Landes Israel" kündigte am Samstag an, in der folgenden Nacht elf neue Außenposten von Siedlungen im besetzten Westjordanland bauen zu wollen. Nur durch die Besiedlung des palästinensischen Gebiets durch Juden könne der Staat Israel auf den "Pfad der Unabhängigkeit, des Wachstums und des Aufbaus" zurückgeführt werden, so die Organisation.
Ein paar Radikale, die im Schutz der Dunkelheit ein, zwei Wohncontainer auf den Hügelkuppen eines für sie heiligen Landes aufstellen: Das Problem der israelischen Siedlungspolitik reduziert sich oft auf sehr banale Ereignisse. Sie wären kaum der Rede wert, addierten sie sich nicht: Nach neueste Zahlen der Zivilverwaltung der israelischen Armee ist die Zahl der Siedler außerhalb israelischen Kerngebiets erneut gewachsen - auf die Rekordzahl von 304 569.
Bis Ende Juni sei die Zahl der Siedler in diesem Jahr damit erneut um 2,3 Prozent gestiegen, zitiert die israelische Tageszeitung "Haaretz" heute aus dem Report. Auffällig sei, dass die kleinen, isolierten Siedlungen doppelt so stark angewachsen sind wie die nahe dem israelischen Kernland gelegenen Schlafstädte für Pendler, die in Jerusalem oder Tel Aviv arbeiten. Das Fazit: Wer heute ins Westjordanland zieht, ist zumeist ideologisch-religiös motiviert, so muss man den Report interpretieren.
Nahost-Frieden ist Top-Priorität von Barack Obama
Die Zahlen des Reports sind zu einem für Israel ungünstigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt: In dieser Woche geben sich gleich vier hochrangige US-Politiker in Jerusalem die Klinke in die Hand. Im Mittelpunkt aller Gespräche zwischen den Amerikanern und ihren israelischen Gastgebern stehen dabei zwei Themen: das iranische Atom-Programm und eben jene Siedlungen, von denen nun bekannt wurde, dass sie entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der USA weiter wachsen.
Am Montag traf US-Verteidigungsminister Robert Gates in Israel ein. Bei seinem eintägigen Besuch sollte er unter anderem seinen israelischen Kollegen Ehud Barak und Regierungschef Benjamin Netanjahu treffen. Am Sonntag hatte sich bereits der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, George Mitchell, mit Barak getroffen. Zuvor hatte er in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad konferiert, von Tel Aviv aus flog er weiter nach Kairo, wollte dann wieder retour nach Tel Aviv: Klassische Pendeldiplomatie, die unterstreichen soll, wie ernst es den USA mit den Friedensprozess im Nahen Osten ist. Eine Friedenslösung zähle zu den "Top-Prioritäten" von US-Präsident Barack Obama, sagte Mitchell nach einem Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak vor Journalisten.
In den kommenden Tagen werden auch US-Sicherheitsberater James Jones und der Sondergesandte für den Iran, Dennis Ross, in Jerusalem erwartet.
"Ernste Krise" zwischen Jerusalem und Washington
Washington hat in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran gelassen, dass es in der israelischen Siedlungspolitik das erste, vielleicht gar das größte Hindernis im Friedensprozess sieht. Dass Jerusalem trotzdem bislang wenig ernsthafte Anstalten gemacht hat, in Sachen Siedlungen einzulenken, hat die Beziehungen der Verbündeten schwer belastet. Israelische Medien - so die Zeitung "Maariv" in ihrer Sonntagsausgabe - sprechen inzwischen offen von einer durch die Siedlungsfrage ausgelöste "ernsten Krise" im Verhältnis Jerusalem-Washington.
Da half es auch nicht, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Zwist mit den USA über die Siedlungspolitik herunterspielte. Es sei ganz natürlich, dass man nicht immer in allen Punkten übereinstimme, sagte Netanjahu am Sonntag. Er hoffe, in Gesprächen mit den US-Politikern eine Reihe grundlegender Streitpunkte aus dem Weg zu räumen.
Der Streit zwischen Washington und Jerusalem um den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten war jüngst neu entbrannt, als israelische Pläne für die Erweiterung einer jüdischen Siedlung im Osten Jerusalems bekannt wurden. Die Bautätigkeit im Osten der Stadt läuft den Bestrebungen zuwider, das Gebiet in einem künftigen Palästinenserstaat zu dessen Hauptstadt zu machen. Die Europäische Union, Frankreich und Russland und die USA forderten von Israel deshalb einen sofortigen Stopp des Bauprojekts.
Israel will möglichst große Gegenleistung heraushandeln
Angesichts des US-amerikanischen Besucherstroms, der sich diese Woche durch israelische Amtszimmer schiebt, scheint Jerusalem nun seine Taktik ändern zu wollen. Zugeständnisse in Sachen Siedlungsstopp scheinen unvermeidlich, will Israel es sich nicht mit den USA verderben.
Nachdem sich diese Erkenntnis durchgesetzt zu haben scheint, geht es nun darum, eine möglichst große Gegenleistung für ein mögliches israelisches Entgegenkommen herauszuhandeln: Es ist kein Zufall, dass auf der Tagesordnung der amerikanischen Nahost-Reisenden diese Woche jeweils Siedlungenund Iran stehen: Mehrfach haben israelische Medien in der Vergangenheit berichtet, dass Jerusalem mit Washington ins Geschäft kommen möchte. Danach sollen sich die USA dazu verpflichten, Israel in seinem Vorgehen gegen das iranische Atomprogramm zu unterstützen. Im Gegenzug werde Jerusalem eine Kehrwende in seiner Siedlungspolitik hinlegen.
Jerusalem verlangt zudem, dass die arabischen Länder einen Siedlungs-Stopp mit der Normalisierung ihrer jeweiligen Beziehung zu Israel belohnen. Die arabischen Länder haben wiederholt Zustimmung zu diesem - von der arabischen Liga schon 2002 in Beirut vorgeschlagenen - Modell signalisiert, wollen aber erst den Abzug aller Siedler sehen, bevor sie in Verhandlungen über den Normalisierungsprozess einsteigen.
Israel will indes, dass sich die arabischen Staaten auf das Wie und Wann einer gänzlichen Normalisierung festlegen, bevor Jerusalem mit der Räumung der Siedlungen beginnt. Zudem hält Israel bislang an der Fertigstellung bereits begonnener Bauvorhaben im Westjordanland fest. Nach israelischen Plänen sollen große Siedlungen auch nach einem Friedensschluss in jüdischer Hand bleiben und weiter natürlich wachsen dürfen.
Die USA lehnen dies ab und unterstützen stattdessen die "Arabische Friedens-Initiative" von 2002, wie der US-Gesandte Mitchell jetzt erneut betonte.
Am Montag sagte Mitchell in Kairo, zwar wolle er seine arabischen Gesprächspartner dazu ermutigen, ihr Verhältnis zu Israel zu normalisieren, erwarte sich aber keine sofortige "komplette Normalisierung". Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sei das wünschenswerte "Ergebnis eines Prozesses".
Bisher unterhalten in der Region lediglich Ägypten und Jordanien diplomatische Beziehungen zu Israel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen