„Weltweit werden derzeit 42 Kernkraftwerke gebaut“, lautet Bild-Wahrheit Nr. 1. „Weitere 81 sind beantragt oder geplant – auch in unseren Nachbarländern Frankreich, Polen, Schweiz und Tschechien.“ – Die wahre Wahrheit ist: Von den gut 40 weltweiten AKW-Baustellen kommen manche seit Jahrzehnten nicht voran. Andere machen nur Schlagzeilen dadurch, dass Sicherheitsprobleme auftreten oder die Kosten explodieren. Und selbst wenn alle diese Reaktoren ans Netz gehen, werden sie die gleichzeitig aus Altersgründen stillzulegenden AKW nicht ersetzen können. Und was ist mit Polen? Tatsächlich sieht das Regierungsprogramm „Die Energiepolitik Polens bis 2025“ einen Reaktorneubau vor. Nach einem Standort wird gesucht, unter anderem in unmittelbarer Nähe zum uckermärkischen Nationalpark Unteres Odertal. Doch weil 80 Prozent der Polen gegen Atomstrom sind, erwägt die Regierung, sich lieber an einem neuen Reaktor in Litauen zu beteiligen.
Bild-Wahrheit Nr. 2: „Unsere Stromversorgung bricht ohne Atomkraft zusammen!“ – Das hat man besonders gut im vergangenen Jahr beobachten können. Obwohl sieben Atomkraftwerke längere Zeit stillstanden, exportierten Deutschlands Stromkonzerne 22,5 Milliarden Kilowattstunden Strom. Das ist etwa so viel, wie vier mittlere AKW im Jahr produzieren.
„Experten sagen voraus, dass sich der weltweite Strombedarf bis 2030 verdoppeln wird“, lautet Bild-Wahrheit Nr. 3. „Ohne Atomkraft ist die gigantische Energienachfrage nicht zu stillen.“ – Auch das ist Quatsch. Um den wachsenden Energiehunger weltweit mit AKW decken zu können, müssten Tausende neue Reaktoren gebaut werden – auch in vielen Ländern, die heute noch nicht über AKW verfügen. Das aber würde nicht nur die Gefahr eines katastrophalen Störfalls und der unkontrollierten Weiterverbreitung von Atomwaffen vervielfachen, auch der Brennstoff Uran würde in wenigen Jahrzehnten zur Neige gehen.
Bild-Wahrheit Nummer 4: „Sonne und Wind können Atomkraft nicht ersetzen. Gerade mal 11 Prozent unseres Stromes stammen aus Wind, Wasser und Sonne.“ – Die Wahrheit jenseits von Bild: Der Anteil aller erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung lag nach den Erhebungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) 2008 offiziell bei 15,1 Prozent. Vermutlich wäre er noch größer gewesen, wenn die Netze nicht ständig mit Atomstrom blockiert wären: Bläst beispielsweise im Norden der Wind kräftig, müssen dort die Windräder abgeschaltet werden, weil die Stromnetze das Mehr an grüner Energie nicht fassen können.
„Atomstrom gehört zu den günstigsten Energiearten“, heißt es bei Bild als Wahrheit Nr. 5. „Die Herstellung einer Kilowattstunde kostet 2 Cent, bei Braunkohle sind es 5 Cent, bei Solarstrom 40 Cent.“ – Das mag stimmen, aber über niedrige Erzeugungskosten freuen sich vor allem die Konzerne. Beim Endkunden kommt davon wenig an. Und die Windkraft, die Bild geflissen verschweigt, ist mit neun Cent Erzeugungskosten bereits fast konkurrenzfähig.
„Der Ausstieg gefährdet den Standort Deutschland“, lautet Bild-Wahrheit Nr. 6. „Für energieintensive Branchen wie Auto, Stahl und Maschinenbau ist eine sichere und bezahlbare Stromversorgung von großer Bedeutung.“ – Wie „sicher“ die Stromversorgung aus den pannenanfälligen deutschen AKW ist, hat der Fall Krümmel gerade wieder gezeigt. Ingroßen Teilen von Hamburg brach die Strom- und Wasserversorgung zeitweise zusammen. Was BildDer größte Jobmotor des vergangenen Jahrzehnts waren die erneuerbaren Energien. Seit 1998 nahm die Zahl der Arbeitsplätze in dieser Branche um 332 Prozent zu (auf 285.000 im Jahr 2008). In der AKW-Branche sank sie um 21 Prozent (auf 30.000). Und auch die viel gelobte Autoindustrie stagnierte bei einem Plus von fünf Prozent (745.000 Jobs 2008). 2020 werden die Ökoindustrien, so eine Prognose der Roland-Berger-Unternehmensberatung, satte 14 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften verschweigt: - doppelt so viel wie heute.
Einzig der Wahrheit Nr. 7 können wir zustimmen: „Das Problem Atomabfall ist ungelöst“, so Bild endlich einmal zutreffend. „Es gibt nach wie vor kein Endlager für den hoch radioaktiven Atomabfall (pro Jahr 400 Tonnen) in Deutschland.“
Bild schreibt immer die Wahrheit. Wer ihr mögliche Rücksichtnahme auf die Interessen von Großkonzernen unterstellt, den fährt Springer-Chef Mathias Döpfner schon mal brüsk an: „Also, jetzt wird's ungemütlich. Sie stellen die redaktionelle Integrität der Bild-Zeitung infrage.“
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