Von Veit Medick
Umstrittene Entscheidung im Schloss Bellevue: Bundespräsident Köhler hat einer Tübinger Anwältin das Bundesverdienstkreuz verliehen, die seit Jahren gegen Israel wettert. Der Zentralrat der Juden ist entsetzt - und erste Träger des Kreuzes drohen bereits mit Rückgabe ihrer eigenen Auszeichnung.
Berlin - Der Staatssekretär war voll des Lobes: "Das humanitäre Lebenswerk von Felicia-Amalia Langer ist beeindruckend", schwärmte Hubert Wicker bei der Festveranstaltung im Stuttgarter Staatsministerium am Donnerstag vergangener Woche. Als Versöhnerin zwischen Israelis und Palästinensern habe sie sich "in herausragender Weise für Frieden und Gerechtigkeit sowie für die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt".
Eine Entscheidung, die die Landesregierung in Baden-Württemberg, letztlich auch die deutsche Politik insgesamt noch einige Erklärungen kosten dürfte. Denn für ihre Unterstützer und die Lobredner mag die in Tübingen lebende 79-Jährige eine verdiente Menschenrechtsaktivistin sein. Eine, die als Anwältin seit jeher für die Rechte von Palästinensern streitet. Eine, die etliche Bücher zum Nahost-Konflikt verfasste, mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde und Ehrenbürgerin der Stadt Nazaret ist. "Ich glaube, dass ich etwas Wichtiges für die Menschlichkeit mache", meint Langer.
Für ihre Kritiker ist Frau Langer jedoch eine Israel-Feindin - auch wenn Felicia Langer selbst Jüdin ist. Eine Frau, die Israel schon mal zum "Apartheidstaat" erklärt, über die "jüdisch-zionistische Lobby" philosophiert, sich im Antisemitismus-Streit um den inzwischen verstorbenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann auf dessen Seite schlug und noch im April dieses Jahres in einem Interview zum Boykott israelischer Produkte aus den Siedlungen aufrief. "Das alles mag wehtun, aber jemand muss es sagen", sagt Langer SPIEGEL ONLINE.
Giordano und Lustiger drohen Köhler mit Kreuz-Rückgabe
Inzwischen werden Oettinger, der formal für die Verleihung verantwortliche Bundespräsident Horst Köhler, aber auch Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer, der die Auszeichnung nachdrücklich unterstützte, von jüdischen Organisationen und Intellektuellen heftig angegriffen. "Das ist ein Schock", kritisiert der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. "Deutschland hat damit jemanden ausgezeichnet, der professionell, chronisch und obsessiv die Dämonisierung Israels betreibt", sagt Graumann SPIEGEL ONLINE. "Sie trägt ihr Jüdischsein als Fahne vor sich her - doch ihre jahrelange Israel-Hetze macht das nicht besser."
Auch das American Jewish Committee in New York teilte Köhler am Montag schriftlich seine Bestürzung mit und forderte den Bundespräsidenten auf, die Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Ebenfalls entsetzt sind die beiden jüdischen Publizisten Ralph Giordano und Arno Lustiger. Beide haben am Dienstag Köhler schriftlich gedroht, ihre eigenen Bundesverdienstkreuze zurückzugeben - wenn das Staatsoberhaupt Frau Langer den Orden nicht wieder entzieht. "In einer Ordensreihe mit Felicia Langer - das geht nicht", heißt es in dem SPIEGEL ONLINE vorliegenden Brief Giordanos an Köhler. "Warum? Weil niemand in den letzten 25 Jahren mit einer bis an Blindheit grenzenden Einseitigkeit Israel mehr geschmäht hat als sie", schreibt Giordano, der schon Anfang der neunziger Jahre in einem Aufsatz über Langers "Nahost-Pathologie" herzog. So schwer es ihm auch falle: Er plane, seine Auszeichnungen, das Große Verdienstkreuz und das Bundesverdienstkreuz "für den Fall zurückzugeben, dass Felicia Langer das Bundesverdienstkreuz nicht aberkannt wird". Von Lustiger hat Köhler am Dienstag ein ähnliches Schreiben bekommen.
Es gibt freilich auch andere Stimmen. Die von Palmer etwa, dem grünen Bürgermeister von Tübingen. Er kennt Langer, die von der in der Szene ebenso umstrittenen Publizistin Evelyn Hecht-Galinski vorgeschlagen wurde, gut und hat an der Auszeichnung nach wie vor nichts auszusetzen. "Das war richtig", sagt Palmer SPIEGEL ONLINE. Er schätze Langers jahrelanges Engagement. "Ich habe zwar Verständnis für die Verletzung der Menschen, die Frau Langer jetzt attackieren. Aber man darf Kritik an Israel nicht mit der Absicht verwechseln, Israel zu vernichten." Unangenehm ist ihm die Sache dennoch - erkennbar ist das allein schon daran, wie vehement er darauf hinweist, dass er selbst Langer ja nicht vorgeschlagen habe.
Überhaupt gewinnt man den Eindruck, als wolle mit dem Fall Langer niemand so richtig etwas zu tun haben. Im Bundespräsidialamt verweist man reichlich hilflos darauf, dass "Herr des Verfahrens" das baden-württembergische Staatsministerium sei. Was allerdings auch nur die halbe Wahrheit ist, wenn man bedenkt, dass das Kreuz vom zuständigen Staatsministerium lediglich überreicht wird - offiziell verliehen wird es vom Bundespräsidenten.
Oettinger droht neuer Streit mit Zentralrat
Entsprechend verdutzt reibt man sich in Stuttgart über die Sichtweise aus Berlin die Augen. Wegducken wollen sich die Beamten von Ministerpräsident Oettinger allerdings nicht. "Die Auszeichnung von Felicia Langer würdigt ihre humanitären Verdienste unabhängig von politischer, weltanschaulicher oder religiöser Motivation", erklärte ein Sprecher SPIEGEL ONLINE. "Im Zentrum steht dabei ihr Einsatz für hilfsbedürftige Personen ohne Ansehen von Nationalität oder Religion vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vergangenheit als massiv vom Holocaust Betroffene."
Gerade für Oettinger ist die Sache ungemütlich. Denn schon wieder einen Streit mit dem Zentralrat kann sich der Regierungschef nicht leisten. Die Wunden seiner Rede am Sarg des umstrittenen Politikers Hans Filbinger sind noch nicht vollends verheilt. Im April 2007 hatte Oettinger den CDU-Politiker indirekt zum Widerstandskämpfer erklärt, obwohl bekannt war, dass Filbinger Ende des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter an Todesurteilen gegen deutsche Soldaten beteiligt gewesen war.
Letztlich wird aber wohl auch die Bundesregierung ein paar Scherben beiseite kehren müssen. In der israelischen Presse ist der Streit längst angekommen, ein Israeli hat bereits angekündigt, aus Protest sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Sollten auch Giordano und Lustiger die Ehrung zurückgeben, dürfte das in Israel einige Aufmerksamkeit hervorrufen.
Dabei gehört es zu den Säulen der Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier SPD), für möglichst gute Beziehungen zum jüdischen Staat zu sorgen. Es war vor allem ein Auftritt Merkels, der diese Leitlinie erkennen ließ. Im März 2008 sprach sie vor den Abgeordneten der Knesset, des israelischen Parlaments - das hatte vor ihr noch kein deutscher Regierungschef getan. "Ich bin zutiefst überzeugt: Nur wenn Deutschland sich zu seiner immerwährenden Verantwortung für die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte bekennt, können wir die Zukunft menschlich gestalten", erklärte die Kanzlerin damals. Dann versprach sie, Deutschland werde Israel "nie alleine lassen".
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