Samstag, 18. Juli 2009

Spanien: Ein Kunstfehler erschüttert das System

"Ein entsetzlicher Fehler": Der Tod eines Babys, verschuldet durch eine Krankenpflegerin, lässt Spanien an seinem Gesundheitswesen zweifeln.
Von Javier Cáceres, Madrid

Ein Mann trägt den Sarg des kleinen Rayan: Tragischer Einzelfall oder mehr?

Es ist ein tragischer Tod, der die spanische Öffentlichkeit nun schon seit Tagen erschüttert - der Tod des kleinen Rayan, der Herzen zittern lässt. Am vergangenen Montag war es zwei Wochen her, dass Rayan geboren wurde, die Ärzte holten ihn per Kaiserschnitt auf die Welt, seine 20 Jahre alte Mutter, eine Einwandererin aus Marokko, lag im Koma. Wenige Stunden später starb sie, die erste Schweinegrippe-Tote Spaniens und somit des europäischen Festlands.

Rayan war auf dem besten Wege, zu Kräften zu kommen, als einer Krankenschwester am Sonntagabend ein, wie die Leitung der Klink Gregorio Marañón später sagen wird, "entsetzlicher Fehler" unterlief. Statt dem Buben die Nahrung über eine Magensonde zu verabreichen, jagte ihm die Pflegerin das Essen in die Vene. Erst eine Stunde später wurde der fatale Irrtum bemerkt, alle Versuche, das Blut des Kindes zu reinigen, schlugen fehl. Am Montagmittag konnte nur noch der Tod festgestellt werden. Und weil sich die ersten Meldungen, wonach die Krankenschwester erfahren war, als nicht ganz korrekt herausstellten - sie war erst 22 Jahre alt-, fragen die Spanier nun bang: Wie ist es um das öffentliche Gesundheitswesen bestellt?

Máximo González Jurado, Vorsitzender der Dachverbands der spanischen Krankenpfleger, glaubt, dass sich die spanische Krankenpflege qualitativ "unter den Top 3 der Welt" befindet. Nicht umsonst würden spanische Krankenschwestern von ausländischen Kliniken abgeworben. Der Fall Rayan sei außergewöhnlichen Umständen geschuldet, aus dreißig Berufsjahren sei ihm nur ein vergleichbarer Unfall bekannt, der sich vor Jahren auf der Urlaubsinsel Gran Canaria zugetragen habe.

Das ist eine Seite der Tragödie. Doch andererseits sagt González auch, dass es Strukturdefizite von gewaltigem Ausmaß gibt. Es würden immer mehr zeitlich befristete Verträge ausgestellt, es fehle an Spezialisierung, es mangele an Personal, Ärzte und Pfleger seien überlastet. "Dieser Tod zwingt uns, das öffentliche Gesundheitssystem auf den Prüfstand zu stellen", sagt González.

Auf 100.000 Einwohner kommen in Spanien statistisch gesehen 531,83 Krankenpfleger. Damit belegt Spanien einen Platz im unteren Drittel, in der Europäischen Union stehen lediglich Bulgarien, Portugal, Rumänien, Griechenland und Zypern schlechter da. Als guter Wert gilt nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der EU-Mittelwert von 808 Krankenpflegern je 100.000 Einwohner; Deutschland liegt mit einem Wert von 980 Pflegern weit darüber, aber deutlich unter den 1862 Krankenpflegern, die Irland je 100000 Einwohnern aufweist.

Um in Spanien das EU-Mittel zu erreichen, müssten 150000 Stellen geschaffen werden, sagt González - und dabei ist nicht berücksichtigt, dass in den nächsten zehn Jahren 40000 Pfleger in Rente gehen werden und der Bedarf durch die hohe Lebenserwartung der Spanier zunimmt. Die WHO hält es für erstrebenswert, dass drei Krankenpfleger auf einen Arzt kommen, in Spanien ist das Verhältnis 1,23 Ärzte pro Krankenpfleger. Das spanische Gesundheitsministerium lässt diese Zahlen unkommentiert.

Auch in Marokko sorgte der Fall für große Anteilnahme - zumal die Mutter, Dalilah, dreimal in Madrider Krankenhäusern abgewiesen worden war, ehe ihre Schweinegrippe diagnostiziert wurde. Marokkos König Mohammed VI. stellte mit Sinn für das politisch Opportune ein Flugzeug bereit, um den kleinen Sarg Rayans nach Marokko zu überführen, wo der Bub am Donnerstag im Ort M?diq beigesetzt wurde.

Ob Rayans Tod bei besserer Personalausstattung hätte verhindert werden können, ist natürlich spekulativ. González spricht von einer Vorverurteilung durch die Klinik, weil diese der jungen Krankenschwester die alleinige Schuld gegeben habe, um sich davon reinzuwaschen, dass einfachste Vorsichtsmaßnahmen gefehlt hätten. In anderen Ländern können Nahrungsmittel, die intravenös verabreicht werden sollen, nicht nasogastrisch zugeführt werden und umgekehrt; die Vorrichtungen sind inkompatibel. Mindestens ebenso schwer wiegt, dass die Schwester sich nicht allein auf der Intensivstation für Neugeborene hätte aufhalten dürfen. Sie schob auf der Station nur aushilfsweise Dienst. Es war ihr erster Tag.

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