Der 74-jährige Literaturprofessor hat Steine auf Autos geworfen, nachdem an der Kreuzung viele Menschen an- und überfahren worden waren. Jetzt gilt er als Held. (Foto: AFP)
Ein Mann sah rot. Er schnappte sich einen Ziegelstein und zertrümmerte innerhalb von zwei Stunden 30 Autos. Dafür wird er nun in ganz China wie ein Volksheld gefeiert. Denn es handelte sich um einen Akt von Selbstjustiz, der allgemeinen Beifall auslöste. Yan Zheng Ping, ein 74-jähriger Literaturprofessor, hatte Jagd auf Ampelsünder gemacht. Rüpelhafte Autofahrer waren regelmäßig bei Rot über einen Zebrastreifen vor seinem Haus gefahren.
"Es reicht!", erklärte Yan sodann. Er nahm einen Ziegelstein - und wartete. Allein in der ersten Stunde bewarf er 14 Autos, die das Haltelicht missachtet hatten. Eine Traube von Schaulustigen spornte ihn an, reichte ihm sogar weitere Steine. Yan hörte erst auf, als er angefahren wurde. Insgesamt 30 Wagen wurden beschädigt, berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua.
Polizei ließ den Steinewerfer wieder laufen
Der 74-jährige Rentner war vorher nicht als Rabauke aufgefallen. Seit zehn Jahren pensioniert, ließ er gerne in einem nahegelegen Park Drachen steigen. Auf dem Weg dorthin sei er jedoch "mehrmals fast umgefahren worden", gab er nach dem Amoklauf zu Protokoll. Seine Beschwerden hätten zwar zur Installation einer Ampel geführt. Aber die Fahrer hätten diese einfach ignoriert. Dann las Yan in der Zeitung, dass in den letzten sechs Monaten in Lanzhou sechs Menschen auf Zebrastreifen totgefahren worden sind. "Da dachte ich mir, so kann das nicht weitergehen", sagte er. Die Polizei ließ den Steinewerfer nach kurzem Verhör wieder laufen.
Im Internet hat die Aktion eine heftige Debatte ausgelöst. 78 Prozent der 400.000 Teilnehmer einer Umfrage des Webportals sina.com äußerten Verständnis für Opa Yan. Nur wenige Chinesen gaben zu bedenken, dass es nicht gut sei, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Das eindeutige Umfrageergebnis erklärt sich teilweise durch das Chaos im chinesischen Straßenverkehr. 81.649 Menschen sollen Regierungsangaben zufolge im Jahr 2007 auf Chinas Straßen getötet worden sein. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte die Opferzahl im selben Jahr gar auf 220.783 Menschen - das wären so viele Verkehrstote wie nirgendwo sonst in der Welt. Viele Chinesen haben zudem erst vor wenigen Jahren Autofahren gelernt, jährlich kommen Millionen neuer Anfänger hinzu.
Doch die Ziegelsteinattacke von Opa Yan ist auch ein Beispiel für einen anderen Trend: Selbstjustiz wird in China immer beliebter. Erst am vergangenen Sonntag hatten fünf rachsüchtige Bürger in Guangzhou einen Mann auf offener Straße totgeprügelt. Er habe ihre Tochter vergewaltigt, hatte eine Frau gerufen. Daraufhin zerrten mehrere Chinesen den Mann aus seinem Auto, fesselten ihm die Hände auf dem Rücken und schlugen ihn vor einer großen Menge von Zuschauern tot, berichteten lokale Medien. Die Polizei nahm später zwei Männer fest. Mitte vergangenen Monats war eine 46-jährige Fabrikarbeiterin namens Chen in Taizhouz beim Stehlen erwischt worden. Anstatt sie zur Polizei zu bringen, schlugen vier Manager der Fabrik eine Stunde lang mit einem Eisenkabel auf sie ein, bis sie starb. Die Manager wurden festgenommen, hieß es in Medienberichten.
Blutige Unruhen
Auch die jüngsten blutigen Unruhen in Xinjiang im Nordwesten Chinas hatten nach einem Fall von Selbstjustiz begonnen. In einer Spielzeugfabrik in Südchina hatten Han-Chinesen zwei uigurische Arbeiter erschlagen, die fälschlich einer Vergewaltigung beschuldigt worden waren. Später tötete dann ein rasender Mob von Uiguren in Urumqi chinesische Passanten. Kurze Zeit darauf rächten sich Han-Chinesen mit Knüppeln und Äxten an den Uiguren.
Zwar haben die genannten Beispiele ganz verschiedene Hintergründe. Doch alle Fälle eint, dass sich Menschen anmaßten, echte oder vermeintliche Vergehen selbst bestrafen zu dürfen. Opa Yan in Lanzhou ist jetzt auf der Suche nach einem Anwalt. "Ich zertrümmere zwar Autos, aber ich respektiere trotzdem das Gesetz", sagte er einem Reporter.
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