Neue Entwicklung im iranischen Machtpoker: Eine Gruppe wichtiger Kleriker der religiösen Hochburg Ghom ist deutlich auf Distanz zum Regime gegangen. Die Geistlichen werfen dem Wächterrat Parteilichkeit vor und bezweifeln, dass Präsident Ahmadinedschad die Wahl tatsächlich gewonnen hat.
Hamburg - In einer Stellungnahme haben führende iranische Geistliche deutliche Kritik am Wächterrat und am geistlichen Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei geübt. Die Klerikergruppe aus der religiösen Hochburg Ghom, einer Stadt südwestlich von Teheran, zweifelt die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses vom 12. Juni an und wirft dem für die Prüfung zuständigen Wächterrat vor, nicht unparteiisch gehandelt und die Beschwerden der vom Reformpolitiker Hossein Mussawi angeführten Opposition ignoriert zu haben.
Dem offiziellen Resultat der Präsidentschaftswahlen zufolge hatte Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad am 12. Juni einen Erdrutschsieg von 63 Prozent errungen und seinen Herausforderer Hossein Mussawi weit hinter sich gelassen. Viele Iraner halten den angeblichen Sieg allerdings für eine Farce. Nach der Bekanntgabe forderten Hunderttausende in den Straßen von Teheran, Isfahan und anderen großen Städten Neuwahlen. Doch die Proteste wurden von den Revolutionswächtern (Pasdaran) und den berüchtigten Prügeltruppen der Bassidsch-Miliz blutig niedergeknüppelt und -geschossen.
"Größter Bruch in der Geschichte der Islamischen Republik"
Während Demonstranten gegen den "Wahlbetrug" aufbegehrten und Neuwahlen forderten, hat auch Oppositionsführer Mussawi immer wieder die Legitimität von Ahmadinedschads Wiederwahl bestritten und die Freilassung inhaftierter Demonstranten verlangt. Auf seiner Web-Seite versucht Mussawi nachzuweisen, dass 20 Millionen gefälschte Wahlzettel gedruckt worden seien und Wähler Geldgeschenke für die Wahl von Ahmadinedschad erhalten haben sollen. Der Wächterrat jedoch stellte nach einer Nachzählung von zehn Prozent der Stimmen "keine größeren Unregelmäßigkeiten" fest und erklärte das Ergebnis für korrekt.
Ghom gilt in Iran als heilige Stadt und als religiöses wie politisches Machtzentrum. Die Stellungnahme der Seminargelehrten aus Ghom legt nahe, dass inzwischen auch Irans Klerus gespalten ist. Abbas Milani, Leiter des Iranstudien-Programms an der Universität Stanford, spricht sogar vom "größten Bruch in der 30-jährigen Geschichte der Islamischen Republik". Die Geistlichen hätten sich gegen eine Wahl gestellt, die von Chamenei überprüft und gerechtfertigt worden sei; sie hätten sich damit klar auf die Seite des Volkes und von Mussawi gestellt, sagte Milani der "New York Times".
Vor der Vereinigung der Seminargelehrten hatte sich bereits Großajatollah Jussef Sanei kritisch geäußert: Weil so viele Iraner die Ergebnisse der Wahl in Frage stellten, fehle es der Regierung an Unterstützung. "Deswegen könnte die Regierung mit juristischen und gesellschaftlichen Problemen sowie mit einem Mangel an Kompetenz konfrontiert sein", erklärte Sanei, einer der neun einflussreichsten Geistlichen im Land. Weiter schrieb der Großajatollah auf seiner Website: "Ich ermahne alle Kräfte, die zum Schutz der Menschen da sind, dass kein Befehl als Entschuldigung oder Erlaubnis dienen sollte, die Rechte der Menschen einzuschränken - geschweige denn Personen zu töten oder zu verletzen."
Reformer bieten Regime die Stirn
Trotz massiver Drohungen des Regimes geben die Reformer weiter keine Ruhe. So forderte Ali Resa Beheschti das Parlament auf, dem Willen der Mehrheit des Volkes Gehör zu verschaffen. Beheschti ist der Sohn von Ajatollah Mohammed Beheschti, der nach der Islamischen Revolution Oberster Richter war und 1981 bei einem Bombenanschlag getötet wurde. Der Regierung von Ahmadinedschad fehle die Legitimität, schrieb Ali Resa Beheschti auf der Web-Seite Norooznews. Er war zuletzt Chef von "Kalameh"; die Mussawi-nahe Zeitung wurde nach der Wahl verboten, mehrere Mitarbeiter kamen in Haft.
Eine wie schon bisher rätselhafte Rolle spielt Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, früherer iranische Präsident, reichster Mann im Land und einflussreicher Strippenzieher. Seit Wochen hält er sich bedeckt und sucht hinter den Kulissen einen Weg aus der Krise, ohne öffentlich so deutlich Partei für Mussawi zu ergreifen wie noch im Wahlkampf. Öffentlich geäußert hat sich der Taktiker seit den Wahlen kaum und dann lediglich mit vagen Botschaften des Kompromisses zwischen Hardlinern und Reformern. Ahmadinedschad hatte Rafsandschani vor und nach den Wahlen der Korruption bezichtigt.
Auch am Samstag sendete Rafsandschani vieldeutige Signale: Er traf sich mit Familien von Funktionären - ein Zeichen der Unterstützung für die Opposition. Zudem sagte er nach Angaben einer halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur, niemand könne mit der jetzigen Situation in Iran zufrieden sein. Überall im Land hätten Menschen an den Wahlen teilgenommen, aber die Ereignisse danach und die "für manche entstandenen Schwierigkeiten" hätten einen bitteren Geschmack hinterlassen, wurde er weiter zitiert.
Offensive gegen Internet und TV
Rafsandschani bestritt indes, dass die umstrittene Präsidentenwahl einen Machtkampf ausgelöst habe. ISNA, eine andere halbamtliche Nachrichtenagentur, zitierte ihn mit den Worten, die Wahlen seien ein Wettstreit innerhalb des Systems gewesen und sollten nicht als ein Machtkampf ausgelegt werden.
Von Unruhe und Streitigkeiten innerhalb des Regimes zeugen auch Versuche, den Druck auf die Opposition zu erhöhen. Von der regierungsnahen Zeitung "Kajhan" wurde Mussawi am Samstag als "US-Agent" gebrandmarkt; am Samstag legte das Blatt mit einem weiteren Leitartikel nach und bezeichnete Mussawi und seine Anhänger als gefährlich. "Wie soll die Islamische Republik solche Gruppen behandeln?", heißt es in dem Text. "Sie wären eine gefährliche Opposition, wenn sie gewinnen würden, und würden die Straße in Brand setzen, wenn sie verlieren."
Jetzt will Justizchef Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi scharf gegen regimekritische Medien vorgehen. "Die tägliche Zunahme regierungsfeindlicher Satellitenkanäle und Internet-Seiten erfordert entschlossene Maßnahmen", zitierte das staatliche Fernsehen aus einer Anweisung des Justizchefs. Wer mit diesen Medien zusammenarbeite, gehöre angeklagt.
Oppositionelle Iraner hatten ihren Protest stark über das Internet und per Mobiltelefon organisiert, etwa via Facebook, Twitter und SMS. Das Regime blockierte daraufhin zahllose Web-Seiten, überwachte und verlangsamte Internet-Verbindungen, legte das Mobilfunknetz lahm. 23 Millionen der 70 Millionen Iraner haben einen Internet-Anschluss, mehr als 45 Millionen besitzen ein Mobiltelefon. In Internet kursieren derzeit auch Demonstrationsaufrufe für den kommenden Donnerstag - außer in Teheran sollen auch in zahlreichen kleineren Städten Proteste laufen.
Im Fernsehen hatte vor allem das persischsprachige Programm der BBC die Iraner mit Nachrichten und Kommentaren über die Wahlen und die Folgen versorgt. Iran wies den BBC-Korrespondenten wegen seiner Wahlberichterstattung aus; Ajatollah Chamenei nannte Großbritannien den heimtückischsten Feind der Islamischen Republik. Neun iranische Mitarbeiter der britischen Botschaft wurden unter dem Vorwurf festgenommen, die Proteste angestachelt zu haben.
Griechischer Journalist wieder frei
Sieben der Botschaftsmitarbeiter sind inzwischen wieder frei, ein weiterer soll nach Angaben von Außenminister David Miliband noch am Sonntag freigelassen werden. Der letzte inhaftierte Angestellte ist wegen "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" angeklagt worden. Am Sonntag hat ein Sprecher des iranischen Außenministeriums mitgeteilt, dass ein Mitarbeiter der "Washington Times" nach zwei Wochen Haft entlassen worden sei. Der griechische Journalist hatte über die Präsidentschaftswahlen berichtet und war unter dem Vorwurf "illegaler Aktivitäten" festgenommen worden.
Mehrere prominente Reformer, darunter der frühere Vizepräsident Mohammed Ali Abtahi, sollen nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Fars inzwischen Geständnisse abgelegt haben. Menschenrechtorganisationen zufolge wurden diese Geständnisse unter Folter erzwungen. Die meisten politischen Häftlinge sitzen im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis ein, das schon zu Schah-Zeiten die iranische Folterzentrale war und es auch in der Islamischen Republik wurde.
In einem anderen Gefängnis, in Karaj im Westen der Hauptstadt, wurden nach iranischen Angaben am Samstag 20 Menschen per Strang hingerichtet. Alle seien wegen Drogenhandels und -Besitzes zum Tode verurteilt worden, meldeten zwei iranische Nachrichtenagenturen. Erst am Donnerstag waren sechs Todesurteile vollstreckt worden, ebenfalls wegen Drogenhandels. nach einer Zählung der Nachrichtenagentur starben in Iran seit Jahresbeginn 161 Menschen bei Hinrichtungen.
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