Samstag, 8. März 2008

Uran, Drogen und 300 Millionen aus Venezuela

  • Kolumbianische Zeitung veröffentlicht Dateien aus Computer des getöteten Farc-Kommandeurs
  • Chávez in der Defensive
  • Krieg scheint abgewendet
Die Bilder, die auf den drei Computern des von kolumbianischen Truppen getöteten Farc-Chefs Raúl Reyes zu sehen sind, zeigen ein recht lustiges Lagerleben. Da gab es hübsche Mädchen, einen romantisch dreinblickenden Gitarrenspieler, und auch der Whisky war vom Feinsten. Reyes prostet einigen gut angezogenen Gästen zu - gepflegtes Sozialleben im Guerilla-Camp. Das Lager bestand auch nicht aus schnell improvisierten Hütten, sondern war eine feste, gut ausgebaute Anlage mit großem Arsenal an leichten und schweren Waffen. Es lag, wie man seit seiner Eroberung Ende letzter Woche weiß, nicht auf kolumbianischem Territorium, sondern 1,8 Kilometer jenseits der Grenze auf ecuadorianischem Gebiet.

Die Zeitung "El Tiempo" aus Bogotá veröffentlichte außerdem weitere detaillierte Unterlagen. So etwa über die Treffen zwischen einem ecuadorianischen Minister und Reyes, über eine Finanzierung der Farc durch Venezuela in Höhe von 300 Millionen Dollar, eine Quittung an Reyes über den Verkauf von 700 Kilo Kokain in Höhe von 1,5 Millionen Dollar, detaillierte Angaben über Drogenverkäufe nach Mexiko, den Erwerb und Verkauf von 50 Kilo Uran und zwei Briefe des Farc-Führers Manuel Marulanda an Hugo Chávez. Die Enthüllungen von "El Tiempo" kann jeder im Internet anklicken und lesen. Damit beeinflusst dieser Computerfund schon jetzt die lateinamerikanische Wirklichkeit. So wurde etwa die Sondersitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mitnichten zu der von Ecuadors Präsident Rafael Correa geforderten Totalverurteilung von Kolumbien führte. Das einstimmig verabschiedete Kommuniqué ist eine weiche Kompromissformel. In der weist die OAS zwar auf die grundsätzliche Unverletzbarkeit der Grenzen hin, verzichtet aber gleichzeitig auf eine ausdrückliche Verurteilung Kolumbiens. Die akute Kriegsgefahr scheint fürs Erste gebannt.

Längst kursieren für die von Chávez angeordnete Truppenverlegung an die kolumbianische Grenze spannende Erklärungen: Könnte es sein, dass er damit einen kolumbianischen Militärschlag auf venezolanisches Territorium verhindern wollte? Schließlich vermuten Sicherheitsexperten, dass der Chef der Farc, Manuel Marulanda, ein alter, kranker Mann, sich in Venezuela aufhält. Das Camp von Reyes haben die Kolumbianer übrigens lokalisiert, weil Chávez ihn über Handy angerufen hatte.

Ecuadors Präsident João Correa fordert zwar immer noch eine "internationale Verurteilung" Kolumbiens. Die Computerfunde könnten aber eher das Lager der Chávez-Getreuen in Lateinamerika in die Defensive bringen. Schließlich zeigen sie, wie dicht die Kontakte der Farc nach Ecuador und Venezuela sind und wie stark die Terroristen von Chávez finanziell unterstützt werden. Die regionalen Destabilisierungsbemühungen Venezuelas scheinen allgegenwärtig. Die Vorbereitungszeit für die Außenministertagung der OAS am 17. März, der ersten seit 18 Jahren, wird zeigen, ob und wie sich nach den Computerfunden die Fronten in Lateinamerika neu sortieren. Bisher gibt es das radikal linke Lager mit Chávez und seinen Freunden in Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Argentinien und Kuba; ein gemäßigt linkes Lager, das sich um Brasiliens Präsidenten Lula gruppiert mit Uruguay, Chile und Peru und das konservative Lager um Kolumbiens Präsident Uribe, dem einige Länder Mittelamerikas und - wenngleich distanziert - Mexiko zuzuordnen sind.

In der öffentlichen Wahrnehmung Lateinamerikas gilt es als Manko, dass Uribe so offen mit den USA paktiert. Der von diesen in Teilen finanzierte "Plan Colombia" führte aber zu einer Professionalisierung der kolumbianischen Armee, die die Rückeroberung großer Teile des Landes aus der Hand der Farc und der Paramilitärs einleitete. Dennoch ist Kolumbien immer noch ein großer Kokaproduzent. Längst aber sind die Nachbarländer Ecuador, Peru und Bolivien dies auch. Venezuela ist - unter Duldung von Chávez - zum wichtigsten Durchgangsland geworden. Für Luiz Felipe Lampreia, ehemals Außenminister Brasiliens, ist die jetzige Lage ein Test für Brasilias Führungsanspruch: "Nur Brasilien mit seinen elf südamerikanischen Nachbarn hat die politische Autorität zu einer befriedenden, die Lage entspannenden Intervention." Er beklagt, dass es Chávez gelungen sei, Lula den Führungsanspruch in der Region streitig zu machen, und meint, dass Brasilia eine kritischere Position zu Chávez beziehen müsse: "Die brasilianische Regierung hat bisher zu viel Sympathie gezeigt für das bolivianische Venezuela und war zu nachsichtig mit den Farc."

Das venezolanische Säbelrasseln könnte für Lula von Vorteil sein: Chávez' offensichtliches Ablenkungsmanöver von innenpolitischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gäbe Lula eine neue Profilierungschance als Mann der gemäßigten linken Mitte.

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