Sonntag, 2. März 2008

In der Karibik läuten die Alarmglocken

So einer hat den Fahndern noch gefehlt: Ein ehemaliger Direktor der Bank Julius Bär auf den Cayman Islands wirft dem Institut massive Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor.

Je nach gesellschaftlichem Standort wird das englische Wort "Whistleblowing" mit ,,Alarmglocken-Läuten‘‘ oder "Verpfeifen" übersetzt. "To blow the whistle" - das steht für den korrekten und für den falschen Schiedsrichterpfiff. Der frühere "Chief Operational Officer" der Schweizer Bank Julius Bär & Trust Co Ltd. Cayman Islands, Rudolf Elmer, 53, bezeichnet sich selbst als "Whistleblower".

In seinem "ersten Whistleblower-Brief", den er im vergangenen Monat in den virtuellen Raum des World Wide Web stellte, klagt der frühere Direktor die Schweizer Privatbank an: "Es wurde von mir verlangt, unethische und unmoralische Geschäfte für die Bank zu tätigen. Tatsache ist, dass Steuerhinterziehung und massive Beihilfe dazu in das Repertoire dieser Cayman-Bank im schweizerischen Besitz gehören."

Er wolle mit seinen Veröffentlichungen dazu beitragen, "dass Steuerumgeher, -hinterzieher und -betrüger damit rechnen müssen, dass ihre Praktiken offengelegt, gestoppt und nicht mehr als Gentleman-Delikt abgegolten werden". Elmer kündigte schon zwei weitere Whistleblower-Briefe zum Thema "Tax Ruling" und "Praktiken" an.

So einer wie Elmer hat in der aufgeheizten Debatte über den Informanten des Bundesnachrichtendienstes, über reiche deutsche Steuerhinterzieher, ihre Verstecke in Liechtenstein und ihre Depots in der Schweiz noch gefehlt. Und es waren ausgerechnet Strategen des helvetischen Geldhauses, die dafür sorgten, dass die internationale Öffentlichkeit die Affäre nicht übersehen konnte.

Die Sache mit der Internetseite

Auf der von Journalisten und Dissidenten gegründeten Enthüllungsseite "Wikileaks.org" waren Ende Januar vertrauliche Unterlagen der Cayman-Bank veröffentlicht worden. Sie sollten die Verstrickung des Geldhauses in Geldwäsche und Verstöße gegen Steuergesetze beweisen. Mitte Februar stoppte der US-Bundesrichter Jeffrey White auf Antrag der Bank die Veröffentlichung von Kundendaten und ordnete die Sperre der Webseite an. Der Grund: Wikileaks war nicht vor Gericht erschienen. Die Entscheidung sorgte für Empörung.

Zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen solidarisierten sich mit der gesperrten Seite, die Los Angeles Times und auch die New York Times sahen die freie Meinungsäußerung bedroht.

Am vergangenen Freitag hob Richter White seine Anordnung aus verfassungsrechtlichen Gründen wieder auf. Der Richter wies auch auf die offensichtliche Nutzlosigkeit einer solchen Sperre hin. Unter anderem Namen waren Elmer-Dokumente im Internet abrufbar gewesen: "Es gibt viele Hinweise, dass die Katze aus dem Sack ist", urteilte der Richter.

Privatdetektive und ein Schweigegeldangebot

Der Wikileaks-Streit markiert einen neuen Höhepunkt der schon Jahre dauernden Auseinandersetzung zwischen Bär und Elmer, der Mitte der neunziger Jahre als eine Art Chefbuchhalter zu der Bär-Filiale in der Karibik gewechselt war. Das Geldhaus hatte 2002 dem stellvertretenden Leiter der Dependance in der Steueroase gekündigt, als der in Zürich an der Wirbelsäule operiert wurde.

Elmer beschuldigte danach die Bank diverser Unkorrektheiten, und das Geldhaus wiederum setzte Privatdetektive auf ihn an, um ihn (und auch seine Familie) observieren zu lassen. Das war unappetitlich. Eine hohe Abfindung sollte er erhalten, aber Elmer lehnte das Schweigegeld "aus moralischen Gründen" ab.

Er besaß, das war den Beteiligten klar, eine Kundendatei mit den Namen vieler Herrschaften. "Als Verantwortlicher für die Bank in Cayman musste ich jeden Abend ein Tape nach Hause nehmen, um im Fall eines Brands des Bankgebäudes die Bankdaten schnell wieder rekonstruieren zu können" (Elmer). "Dies galt auch im Falle eines Hurrikans; in diesem Fall hätte ich die Daten sogar von der Insel wegfliegen müssen, was ich mehrmals getan habe".

Nach seinem Ausscheiden gab er die Daten nicht zurück, und nach der Bespitzelung schickte er Kostproben an Bankkunden (Absender: "Teddy Bär"), an Zeitungen oder an Steuerbehörden. Im Sommer 2005 erschien im New Yorker Wall Street Journal ein Bericht, wonach amerikanische Steuerermittler über Kundenlisten und Kontoauszüge der Bank verfügten.

Plumpe Fälschungen?

Auch deutsche Steuerbehörden sollen in kleinen Prisen Proben bekommen und die ersten Verfahren eingeleitet haben. Der Ex-Chefbuchhalter verbreitet sich in seinem ersten Brief über "Schattenbuchhaltung" der Bank.

Nach seiner Darstellung soll die Bank, die sich zu den Details bislang noch nie ausführlich äußerte, angeblich auch Darlehen fingiert haben; die Kunden konnten dann die Zinsen von der Steuer absetzen.

Wie groß die Kundendatei ist, die in den nächsten Wochen veröffentlicht werden soll, ist nicht klar. Auch muss in jedem Fall geprüft werden, ob das Material echt ist. Bei Wikileaks finden Leser beispielsweise angebliche Dokumente über einen deutschen Dax-Vorstandsvorsitzenden, dem "Steuerbetrug" in Höhe bis zu 25 Millionen Euro vorgeworfen wird. Es handelt sich bei den Unterlagen ersichtlich um plumpe Fälschungen.

Elmer hingegen soll über viele echte Kundendaten vermögender Steuerhinterzieher aus den Jahren 1997 bis 2003 verfügen. Die Webseite Wikileaks, auf der Dokumente über Guantanamo, über Bestechungen in Afrika und vertrauliche Berichte aus dem Bundesverteidigungsministerium zu finden sind, wird in den nächsten Wochen sicherlich auch von Steuerfahndern und Steuerprüfern angeklickt werden.

Elmer möchte, dass die "Schweizer Finanzwelt ehrlicher, moralischer und ethischer wird". Ein echter Whistleblower. Der deutsche Bundesrichter Dieter Deiseroth, Kenner der Materie, verwendet für Hinweisgeber wie Elmer gern die Bezeichnung "ethische Dissidenten". Das scheint zu passen.

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