Sie kehren aus dem Krieg zurück und bringen das Grauen mit nach Hause: Tausende US-Soldaten können mit ihren Erlebnissen im Irak nicht umgehen. Viele sehen den einzigen Ausweg im Selbstmord. Hilfe bekommen sie nun von Vietnamveteranen. Die kennen ihre Probleme.
Thomas Berbner, ARD-Korrespondent Washington
Manchmal spielen sich Tragödien an idyllischen Orten ab. Das Haus der Familie Lucey steht in Massachusetts, umgeben von einem Pinienwald. Hier, im Keller seines Elternhauses, starb am 22. Juni 2004 Jeffrey Michael Lucey im Alter von 23 Jahren. Von eigener Hand.
Jeffrey war ein knappes Jahr zuvor aus dem Irak zurückgekehrt. Seine Eltern bemerkten sofort, dass ihr sonst so lebenslustiger Sohn nicht mehr derselbe war. Bis heute machen sich Joyce und Kevin Lucey Vorwürfe, dass sie die Anzeichen für den psychischen Verfall ihres Sohnes nicht früher erkannt haben. "Heute denke ich, mein Sohn ist im Irak gestorben", sagt seine Mutter. "Obwohl er sich erst zu Hause umgebracht hat."
Typische Symptome für eine Lebenskrise
"Seine Seele wurde im Irak getötet, was zu uns zurückkam, war nur noch ein Körper, eine leere Hülle", sagt Joyce weiter. "Der Mensch, der danach bei uns lebte, der mit uns den Schulabschluss seiner Schwester gefeiert hat, war nicht mehr unser Sohn Jeffrey. Das war jemand anders."
Jeffrey konnte nach seiner Rückkehr aus dem Irak kaum noch schlafen, die Gesellschaft von Menschen nicht mehr ertragen. Er verlor seinen Job, seine langjährige Freundin verließ ihn. Das Armeekrankenhaus konnte ihm nicht helfen. Die Ärzte wiesen ihn als gesund zurück, obwohl die Symptome des jungen Soldaten typisch waren für eine Lebenskrise nach einem schrecklichen Ereignis. Jeffrey litt an einem posttraumatischen Stresssyndrom. Erst spät erzählte er seinen Eltern, was er im Irak erlebt hatte.
"Für ihn waren das nicht nur Feinde"
"Er hatte zwei gefangene Iraker, unbewaffnet", berichtet Jeffreys Vater Kevin, "und ein Vorgesetzter schrie von hinten: 'Lucey, verdammt noch mal, drück endlich ab!' Er hat mir gesagt, dass sie nur wenige Meter entfernt standen. Er sah die Angst in ihren Augen. Für ihn waren sie nicht nur irgendwelche Feinde, sondern Menschen. Sein Gewehrlauf zitterte. Dann hat er abgedrückt. Wir glauben, dass ihm das die innere Verletzung zugefügt hat, von der er sich nicht mehr erholte."
Als Kevin Lucey an einem warmen Junitag von der Arbeit nach Hause kommt, übersieht er den Brief auf dem Küchentisch: "Vater, schau nicht nach, ruf nur die Polizei. Ich liebe Euch Jeffrey."
Der Vater erinnert sich: "Plötzlich sah ich, dass die Kellertür offen stand. Unten brannte Licht. Auf der Kellertreppe lagen überall Familienfotos und Bilder von Jeffreys Einheit. Erst habe ich nur auf die Bilder geachtet, doch dann sah ich ihn. Er hatte unseren Gartenschlauch zu einer Schlinge geknotet und sich erhängt. Ich habe geschrieen und rannte zu ihm, aber es war zu spät. Jeffrey war tot. Und dann bemerkte ich es: Nach all den Monaten hatte sich sein Gesichtsausdruck geändert. Er sah friedlich aus."
"Stell dich nicht so an"
Tausende Soldaten haben im Irak Furchtbares erlebt. Posttraumatischer Stress, der zu Depression und in vielen Fällen zum Selbstmord führt, muss dabei nicht zwingend durch Schuldgefühle oder eigenes Versagen ausgelöst werden.
- TV-Tipp: Weltspiegel Am Sonntag um 19.20 Uhr im Ersten
Wir treffen Terry in San Diego, im Süden Kaliforniens. Terry stand Wache am Flughafen von Bagdad, als eine Granate neben seinem Kopf explodierte. Er blieb äußerlich unverletzt, doch das Trauma ließ ihn danach nicht mehr los. Seine Vorgesetzten glaubten, er simuliere die anschließenden Panikattacken, um aus dem Irak wegzukommen. Sie drohten ihm mit Gefängnis, seine eigenen Kameraden verspotteten und verprügelten ihn.
"Ich habe zu ihm gesagt: 'Ich erfinde das nicht, was soll ich denn machen, wenn ich mitten in einem Feuergefecht wieder eine Panikattacke habe?' Er wollte das nicht hören und sagte nur: 'Stell Dich nicht so an.'"
Mit Selbstmordphantasien dem Druck entgehen
"Was danach mit mir passierte, war die Hölle", sagt Terry heute. Er fühlte sich von seinen eigenen Kameraden im Stich gelassen. Er plante, sich dem unmenschlichen Druck durch Selbstmord zu entziehen.
"Nur weil ich an Gott glaube, habe ich es am Ende nicht getan", sagt Terry. "Aber ich hatte Selbstmordphantasien. Alles mögliche ging mir durch den Kopf: Ich gehe raus in ein Gefecht und lasse mich einfach erschießen. Oder ich nehme mein eigenes Gewehr und beende mein Leben selbst, gleich dort. Ich dachte: Niemand hilft mir, ich habe so viel verloren, was bleibt mir noch?"
Vietnamveteranen helfen Irakheimkehrern
Die Armeekrankenhäuser in den USA sind mit den psychischen Problemen der heimkehrenden Soldaten in vielen Fällen überfordert. Die Selbstmordrate von Irakheimkehrern ist erschreckend angestiegen, deshalb setzt das Militär jetzt auf ein ungewöhnliches Mittel.
Wir treffen Terry wieder, in einem Beratungsgespräch. Viele der jungen Soldaten hier haben ähnliches erlebt wie er. Sie erzählen ihre Geschichten alten Soldaten, die sich mit Demütigung und Zurückweisung auskennen. Bill Rider und seine Kameraden haben in Vietnam gekämpft. Jetzt versuchen sie, Heimkehrern aus dem Irak zu helfen. "Sie verstehen Euch nicht", sagt einer der Vietnamveteranen, "weil die einzigen, die Eure Probleme verstehen können, Menschen sind, die selbst gekämpft haben."
"Als würde ein Teil von dir deinen Körper verlassen"
Nach dem Vietnamkrieg haben sich mehr US-Soldaten umgebracht als während der Kampfhandlungen in Südostasien, mehr als 60.000. Auch Bill hat an Selbstmord gedacht. Er verlor bei der Erstürmung eines Hügels in Vietnam einen Großteil seiner Einheit innerhalb weniger Minuten.
Wer zu schwach ist, dem Grauen im eigenen Innern zu entfliehen, sieht am Ende häufig nur noch eine Wahl: sich selbst zu töten. Die Selbstmordrate unter Kriegsheimkehrern in den USA ist heute so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr.
"Ich bin schwach und kann mit dem Schmerz nicht umgehen"
Was zurückbleibt, ist die Trauer der Familien. Wir sind zurück in Massachusetts. Kevin Lucey führt uns in das Zimmer seines toten Sohnes. "Wir haben nahezu nichts verändert, seit dem Tag, an dem Jeff sich im Keller erhängt hat. Das hier ist die Verbindung meiner Frau zu ihrem toten Sohn, zu seiner Kindheit. Aber für mich ist es anders. Für mich ist dieses Haus hier sein Grab."
"Ich bitte um Verzeihung für das Leid, das ich euch zugefügt habe", schreibt Jeff Lucey im Abschiedsbrief an seine Eltern. "Es ist ein Unglück, ich bin schwach und kann mit dem Schmerz nicht umgehen. Aber für mich ist es, als sei der wichtigste Teil meines Lebens verlorengegangen.“
"Das muss ein Ende haben"
Jeden Tag kommen die Luceys zu dem kleinen Friedhof, auf dem ihr Sohn begraben liegt. "Kinder sollten ihre Eltern begraben, aber nicht Eltern ihre Kinder", sagt Kevin Lucey. "Ich bin unendlich traurig, aber auch wütend, weil sie meinem Sohn nicht die Hilfe gegeben haben, die er gebraucht hätte."
Und er gibt zu: "Ich werde wahrscheinlich niemals ganz verstehen, was Jeff gesehen oder getan hat. Aber ich weiß eines: Dieses Land war nicht auf diesen Krieg vorbereitet. Sie haben eine Armee in die Schlacht geschickt, die nicht bereit war, und nicht einen Gedanken daran verschwendet, wie es danach sein würde. Das muss ein Ende haben. Ich bete zu Gott, dass dieses Land sich endlich der Soldaten annimmt, die es in einen Krieg geschickt hat, den es niemals hätte beginnen dürfen."
Den Beitrag von Thomas Berbner und andere Reportagen der ARD-Auslandskorrespondenten sehen Sie am Sonntagabend um 19.20 Uhr im Weltspiegel im Ersten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen