Freitag, 7. März 2008

Das mysteriöse Verschwinden der Waris Dirie

Sie schrieb noch ihre Rede, die sie vor dem Europäischen Parlament halten sollte, doch in der Nacht vor dem Auftritt verlor sich ihre Spur: Die aus Somalia stammende Frauenrechtlerin Waris Dirie galt in Brüssel drei Tage lang als vermisst. Nun ist sie unversehrt wieder aufgetaucht.

Es war eine vorwurfsvolle, kämpferische Rede: Sie handelte vom Umgang des Westens mit dem Leiden afrikanischer Frauen. Sie handelte vom Elend der Opfer von Genitalverstümmelungen und der Ohnmacht der Europäischen Union, die keinen Plan entwickelt hat, um die Frauen zu schützen. Doch die Rede wurde nie gehalten.

UN-Sonderbotschafterin Waris Dirie bereitete sie am vergangenen Dienstagabend noch bis 23 Uhr gemeinsam mit ihrem Manager Walter Lutschinger und ihrer Assistentin in ihrem Zimmer des noblen Hotels Sofitel am Place Jourdan vor, feilte an Tenor und Formulierungen. Als die Arbeit getan war, entschied sich Dierie, noch in einen Club zu gehen. Sie trug braune Hosen, einen lilafarbenen Hut und einen schwarz-weißen Poncho. So viel ist bekannt von dem, was sich am Abend des 4. März in Brüssel ereignete. Viel mehr aber auch nicht.

Fest steht nur: Seit der Nacht auf Mittwoch bis heute Abend fehlte von der Menschenrechtsaktivistin jede Spur. Nachdem eine große Suche eingeleitet worden war, folgte am Freitagabend dann die Entwarnung: Dirie sei unversehrt aufgefunden worden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Derzeit werde die Aktivistin zu den Umständen ihres Verschwindens befragt, so Estelle Arpigny.

"Sie verschwindet doch nicht einfach"

"Ein solches Verhalten passt nicht zu ihr. So etwas habe ich in all den Jahren noch nicht erlebt", sagte Manager Lutschinger, der das ehemalige Model seit sieben Jahren betreut, SPIEGEL ONLINE. "Sie bereitet doch nicht erst eine aufwändige Rede vor, reist auf eigenen Wunsch nach Belgien, wo sie zudem einen Preis verliehen bekommen soll, und verschwindet dann einfach." In ihrer Autobiografie "Wüstenblume" hat Dirie beschrieben, wie sie als kleines Mädchen in Somalia selbst beschnitten wurde. Als sie mit 13 Jahren zwangsverheiratet werden sollte, floh sie und landete schließlich in London. Inzwischen hat sie die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen.

Bislang sind nur Bruchstücke dessen, was in der Nacht auf Mittwoch passiert ist, bekannt. Lutschinger hat die Abläufe anhand eigener Nachforschungen und den Erkenntnissen der Polizei rekonstruiert. Demnach rief sich Dirie, die nur sehr schlecht Französisch spricht, auf dem Rückweg aus dem Club ein Taxi, das sie zurück zu ihrem Hotel fahren sollte. Versehentlich brachte sie der Fahrer aber zum falschen Hotel der Sofitel-Kette in der belgischen Hauptstadt. An der Rezeption insistierte Dirie, sie wohne in jenem Hotel. Da sie sich aber nicht ausweisen konnte und ihr Name nicht im Register zu finden war, riefen die Angestellten die Polizei. Warum sie Dirie, die ihre Zimmer-Chip-Karte dabei hatte, nicht an die richtige Filiale der Kette verwiesen, ist derzeit unklar.

Große Sorge - und große Unklarheit

Die Nachtstreife brachte die Aktivistin nach einer fast zweistündigen Suchfahrt schließlich zum Crowne Plaza Hotel. Das Viertel St. Josse, in dem es liegt, ist nicht die schlechteste Gegend von Brüssel und nicht die beste. Einige Straßenzüge haben Rotlicht-Charakter, es gibt Sexkinos und billige Absteigen. Die Polizisten berichteten später, Dirie habe das Polizeiauto verlassen und sei in ein schwarzes Taxi gestiegen. Warum sie aus dem Wagen ausstieg und warum auch die Polizei ihr bei der Suche nicht weiterhelfen konnte, all diese Fragen sind noch offen. Der Nachtportier des Crowne Plaza erzählte Manager Lutschinger, Dirie habe ihn um eine Zigarette gebeten, worauf er sie an einen nahegelegenen Kiosk verwies. Auf dem Weg zu jenem sei sie dann verschwunden.

In den Morgenstunden des 5. März gab die Polizisten der Streife schließlich Diries Hotel-Chipkarte im Sofitel am Place Jourdan ab. Am Morgen informierte Lutschinger die Polizei, auch die EU-Institutionen wurden informiert. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero Waldner sagte, sie sei "tief besorgt" über das Verschwinden Diries.

Die Aktivistin, die seit Jahren gegen die Beschneidung von Frauen kämpft, sollte eigentlich gestern an einer Konferenz mit hochrangigen Politikerinnen, unter anderem US-Außenministerin Condoleeza Rice, teilnehmen. Das Thema: Gewalt gegen Frauen.

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