Donnerstag, 6. März 2008

Diese Dokumente bergen Sprengstoff

Zu Beginn des vergangenen Jahres startete eine Website, vor der die dunklen Mächte der Welt erzittern sollten. Sie könne, glauben ihre Macher, der mächtigste Nachrichtendienst der Welt werden; im Dienst „der Völker dieser Erde“. Ziel sei es nicht nur, die Zensur despotischer Regierungen in China, Afrika, Russland und dem Nahen Osten zu unterlaufen. Es gehe auch darum, in westlichen Staaten Ansprechpartner all jener zu sein, die „unethisches Benehmen“ in Regierungen und Unternehmen enthüllen wollten. Was Institutionen verbergen, mache Wikileaks, so der Name der Website, der Welt zugänglich.

Die basisdemokratische Emphase des Portals ähnelt dem Selbstverständnis des Internetlexikons Wikipedia, an das sich Wikileaks rhetorisch anlehnt, mit dem es jedoch außer der Verwendung der Wiki-Software nichts zu tun hat. Die Methode von Wikileaks ist es, die politischen Sprengstoff birgt: Die mehr als 1,1 Millionen Dokumente, die das Portal listet, enthalten vertrauliche und geheime Papiere. Es finden sich Dokumente über amerikanische Militäroperationen, britische Pläne zur Einführung einer Identity Card; auch ein Schreiben des bayerischen Justizministeriums über den „Bayerntrojaner“, mit dem man verschlüsselte Internettelefonate überwachen will, ist einzusehen. Vor allem aber geht es auf Wikileaks um vertrauliche Dokumente, die Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe belegen sollen. Die meisten tragen das Kürzel BJB - die Initialen des Schweizer Bankhauses Julius Bär.

Die Sperrung war zwecklos

Und dieses Bankhaus bewirkte, dass Wikileaks erstmals in seiner Geschichte gesperrt wurde. Am 18. Februar verfügte ein Richter in Kalifornien, dass die amerikanische Registrierungsstelle Dynadot die Seite sperren musste. Allerdings hob der Richter die Verfügung jetzt wieder auf - weil sie zwecklos war. Wikileaks war über Ausweichportale in anderen Ländern immer erreichbar.

Das Bankhaus Julius Bär wehrt sich gegen die Veröffentlichung von Dokumenten, die von angeblicher Steuerhinterziehung und Geldwäsche auf den Cayman-Inseln handeln. Die Dokumente entfalten ein düsteres Panorama: Sie listen geheime Finanztransfers auf, Verhörprotokolle, Anwaltsbriefe, Gerichtsurteile. Es geht um Beträge von bis zu zweihundert Millionen Dollar, Namen werden genannt, teils sogar mit Anschrift.

Wer die Dokumente der Website zugespielt hat, ist offen, genauso wie die Frage, ob sie echt sind. „Es gibt Dokumente die echt sind, und welche, die nicht echt sind. Das ist sozusagen ein Mix“, sagt der Pressesprecher von Julius Bär, Martin Somogyi, wobei die echten Papiere so ausgewählt seien, dass sie die Bank gezielt in ein schlechtes Licht rückten.

Zum Lügendetektortest gezwungen

Grob gesagt, handelt es sich um zwei Arten von Dokumenten. Die einen berichten von Transaktionen auf den Cayman-Inseln, die anderen von der Auseinandersetzung der Bank mit ihrem ehemaligen Mitarbeiter Rudolf Elmer, den sie des Geheimnisverrats verdächtigt. Elmer bestreitet mit Nachdruck, für die Veröffentlichung verantwortlich zu sein. Er habe Dokumente nur zum Schutz seiner Familie deponiert.

Der Zwist zwischen Elmer und der Bank ist ein Krimi für sich und für Wikileaks ein exemplarischer Fall: Es begann im Sommer 2002, als geheime Dokumente der Bank amerikanischen Steuerbehörden zugespielt wurden. Die Bank verpflichtete die Mitarbeiter ihrer Cayman-Dependance zu einem Lügendetektortest, an dem Elmer, damals Vizedirektor auf den Caymans, teilnehmen musste. Ob er den rechtlich zweifelhaften Test bestanden hätte, ist schwer zu sagen - er wurde abgebrochen, als der Bankier bei einem Vortest nach langer Verhörzeit mit Verweis auf ein Bandscheibenleiden kurz aufstand. Für die Bank war das Ergebnis dennoch eindeutig: Elmer wurde als verdächtig eingestuft und durfte nicht weiterarbeiten. Dann begann - so die Dokumente - eine einzigartige Repression.

Elmer erhielt anonyme Anrufe, die ihm nahelegten, in die Schweiz zurückzugehen. Wenig später wurde ihm gekündigt - wegen des Lügendetektortests. Elmer klagte, vergeblich. Als er in die Schweiz zurückgekehrt war, strengte die Bank einen Prozess gegen ihn an, musste die Anklage aber fallenlassen, da sie sich unter Verweis auf das Bankgeheimnis der Caymans weigerte, Einblick in ihre Geschäfte zu geben - was Grundlage des Verfahrens gewesen wäre.

Verfolgt und observiert

Elmer wurde nun laut eigener Aussage von Privatdetektiven observiert, seine sechsjährige Tochter auf dem Schulweg verfolgt, seine Frau und seine Kinder wurden auf der Autobahn von Beschattern gehetzt, bis die Polizei die Jagd beendete. Das alles ist auf Wikileaks nachzulesen und wurde teilweise - die Beschattung und die Verfolgungsjagd - vom Verwaltungsgericht Zürich-Sihl bestätigt, bei dem Elmer im Juni 2005 gegen die Bank klagte. Die Observation hinterließ Spuren: Elmer konnte sechs Monate lang nicht arbeiten, seine kleine Tochter musste psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen.

Im Januar 2006 wandte Elmer sich an den neuen Direktor der Bank, Johannes de Gier, beschrieb den Fall aus seiner Perspektive und deutete an, dass er belastende Informationen habe, die er - sollten er und seine Familie weiterhin verfolgt werden - an die Öffentlichkeit bringe. Die Bank, so schrieb er, habe ihn „als Angestellten zu einem Handlanger der Unmoral“ werden lassen. Auch dieses Schreiben findet sich bei Wikileaks. Die Bank Julius Bär will die Frage nach der Authentizität nicht kommentieren.

Handlanger der Unmoral

Als die Bank die Vorwürfe zurückwies, zeigte Elmer sie wegen Drohung und Nötigung an. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl wies eine Anklage in einem Schreiben zurück, das jedoch einige Vorwürfe bestätigt. Zwar stimme es, dass Elmer und seine Familie beschattet und auf der Autobahn verfolgt worden seien. Stalking sei jedoch in der Schweiz nicht als Rechtsverstoß anerkannt. Und die psychischen Schäden seien zwar moralisch zu beklagen, die Beschatter hätten dies jedoch bei der Verfolgungsjagd nicht absehen können und seien daher schuldlos.

Der Fall ging weiter. 2005 bekam die Schweizer Zeitschrift „Cash“ anonyme Post mit vertraulichen Daten über Transaktionen von Julius Bär auf den Cayman-Inseln. Die Zeitschrift veröffentlichte einen Artikel, in dem es vor allem um deutsche Steuerflüchtlinge und Summen im dreistelligen Millionenbereich ging. Wieder erstattete Julius Bär Strafanzeige. Rudolf Elmer wurde verhaftet, sein Haus durchsucht, Datenträger wurden sichergestellt. Es fanden sich angeblich Daten, die auf einen möglichen Zusammenhang mit dem Artikel in „Cash“ hinwiesen. Doch blieb unklar, ob Elmer mit der Zeitschrift zu tun hatte. Ihm kam abermals zugute, dass die Bank Julius Bär ihre Daten nicht offenlegte. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl warf der Bank widersprüchliches Verhalten vor, bot ihr jedoch als „Ultima Ratio“ an, die Akteneinsicht auf Personen und Firmen in der Schweiz zu beschränken. Die Züricher Rechtsanwältin Ganden Thetong Blattner, die Rudolf Elmer gegen Julius Bär vertrat, bestätigt die Echtheit des diesbezüglichen Dokuments auf Wikileaks. Das Verfahren dauert an.

Grundsätzliche Zweifel

Sein Fortbestehen über das kalifornische Urteil hinweg feiert Wikileaks als Erfolg der dezentralen Struktur des Internets, des subversiven Potentials der Netzarchitektur, die staatliche Rechtssysteme übergreift. Doch es bleiben grundsätzliche Zweifel an dem Prinzip von Wikileaks, anonym Dokumente ins Internet zu stellen und die Frage nach ihrer Authentizität dem vielzitierten „Wissen der vielen“ zu überlassen: Im Zusammenspiel der Meinungen und Kommentare sollen sich die Besucher der Website, so meint man bei Wikileaks, ein Urteil über die Authentizität der Dokumente bilden.

Nicht jeder teilt den Glauben an diese Form der Expertise. Die „Federation of American Scientists“, die Wikileaks um Beratung bat, lehnte ab. Es sei zu gefährlich, so ihr Vorsitzender Steven Aftergood, geheime Dokumente auf diese Weise zu veröffentlichen: „Durch das Fehlen verantwortlicher redaktioneller Kontrolle können Publikationen sehr einfach einen Akt der Aggression oder eine Aufwiegelung zur Gewalt darstellen, nicht zu erwähnen die Invasion des Privaten oder der Angriff auf den guten Geschmack.“ Wikileaks sei für den Kampf gegen die Zensur in undemokratischen Regimen gebildet worden, könne in demokratischen Staaten aber auch antidemokratisch wirken.

Merkel ohne Konto

Das Kalkül von Wikileaks wirft Fragen auf. Unterlassungsansprüche gegen Diffamierungen im Netz sieht die deutsche Gesetzgebung vor, sind diese aber in anderen Ländern durchsetzbar? Darf ein Gericht eine Seite wie Wikileaks erst sperren, nachdem es sich überzeugt hat, dass die Vorwürfe nicht stichhaltig sind? Darf Julius Bär Schadensersatzforderungen stellen? Im konkreten Fall müsste die Bank nachweisen, dass ihr die Veröffentlichung der Dokumente konkreten Schaden zufügt.

Der neuralgische Punkt von Wikileaks ist die Anonymität und die fehlende Kontrolle. Die Redaktion unternimmt zwar eigene Recherchen und schätzt zudem die Verlässlichkeit der Dokumente ein. Sie scheut jedoch davor zurück, ein Echtheitszertifikat auszustellen. Ein Dokument in der Causa Julius Bär nährt die Zweifel: Ein vermeintliches Schreiben der Bank kündigt niemand anderem als der Bundeskanzlerin Angela Merkel in englischer Sprache ihr Schweizer Nummernkonto. Die zahlreichen Sprachfehler weisen es klar als Fälschung aus. Auch bei Wikileaks bezweifelt man die Echtheit. Auf der Website steht es trotzdem.


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