Sonntag, 9. März 2008

Bin Laden verliert

von Peter Wehner

Al-Kaida hat im Irak massive Rückschläge erlitten. Die Dschihadisten sind militärisch und ideologisch im Niedergang, und ihr Rückhalt bei den Muslimen in aller Welt schwindet deutlich.

Die Aufstockung der US-Truppen im Irak war so offenkundig erfolgreich, dass niemand das ernsthaft bestreiten kann. Selbst Hillary Clinton und Barack Obama haben (murrend) eingeräumt, dass Fortschritte erzielt wurden. Doch sie schieben schnell hinterher, dass diese Fortschritte ausschließlich auf militärischer Seite verzeichnet wurden und damit kurzlebig sind.

So sagte Obama jüngst, al-Kaida sei "seit 2001 stärker denn je"; für Clinton hat die Irakpolitik von Präsident George W. Bush "unsere Feinde mutiger gemacht". Die USA sollten den Irak verlassen, um sich besser auf die Bedrohung durch al-Kaida konzentrieren zu können.

Tatsache ist, dass sich aufgrund der Ereignisse im Irak die Stimmung in der islamischen Welt stark gegen al-Kaida wendet. Und das wiederum könnte die mit Abstand wichtigste ideologische Entwicklung der vergangenen Jahre sein.

Im November 2007 veröffentlichte Sajid Imam al-Scharif ("Dr. Fadl") sein Buch "Rationalizations on Jihad in Egypt and the World". Al-Scharif, ein Ägypter, argumentiert, dass die Anwendung von Gewalt zum Sturz islamischer Regierungen gegen die religiösen Gesetze verstoße und Schaden anrichte. Er empfiehlt, ein besonderes islamisches Gericht einzusetzen, vor dem Osama Bin Laden und Aiman al-Sawahiri, die Nummer zwei und der ideologische Führer al-Kaidas, der Prozess gemacht werden soll. Die Anschläge vom 11. September 2001 bezeichnet al-Scharif als "Katastrophe für alle Muslime".

Al-Scharif war einst Mentor al-Sawahiris. Sein Buch schrieb er in einem Kairoer Gefängnis, der Terrorexperte Jarret Brachman hält ihn für "eine lebende Legende der weltweiten Dschihad-Bewegung".

In Saudi-Arabien hat Scheich Abdelasis Bin Abdallah Al al-Scheich, die höchste religiöse Autorität des Landes, im Oktober 2007 eine Fatwa publiziert, die es saudischen Jugendlichen verbietet, sich am Dschihad im Ausland zu beteiligen. Darin heißt es: "Ich fordere meine Brüder, die Ulema (die Obersten der muslimischen Geistlichkeit) auf, der Öffentlichkeit die Wahrheit zu erklären, (...) die Jugend vor den Folgen zu warnen, die es hat, wenn man sich beliebigen Meinungen und religiösem Eifer hingibt, die nicht auf religiösem Wissen gründen." Das Ziel der Fatwa ist offensichtlich: Bin Laden.

Einen Monat zuvor schrieb Scheich Salman al-Auda, ein einflussreicher saudischer Geistlicher, den Bin Laden einst verherrlichte, einen offenen Brief, in dem er Bin Laden verurteilte: "Bruder Osama, wie viel Blut wurde vergossen? Wie viel unschuldige Kinder, Alte, Schwache und Frauen wurden im Namen von al-Kaida getötet und haben ihre Heimat verloren?", so al-Awdah. "Der Ruin ganzer Völker, wie er sich in Afghanistan und im Irak ereignet, kann Muslime nicht glücklich machen."

Der saudische Terroristenführer Osama bin Laden will sich in einer neuen Botschaft zur Lage im Irak äußern. (Archivbild)
Diese Kritik durch prominente Figuren der Dschihad-Bewegung ist im Kontext einer noch bedeutenderen Entwicklung zu sehen: dem "Erwachen Anbars", einer Bewegung, die sich jetzt über den gesamten Irak ausbreitet. Noch vor anderthalb Jahren war die Provinz Anbar die Hochburg al-Kaidas im Irak. Heute ist sie bekannt als Wiege eines irakischen und islamischen Volksaufstands gegen al-Kaida als Organisation und gegen den Bin-Ladenismus als Ideologie. Es ist ein außergewöhnlicher Wandel. Iraker schlagen sich en masse auf die Seite Amerikas, des "Ungläubigen" und der westlichen "Besatzungsmacht", um gegen militante Islamisten zu kämpfen.

Es überrascht nicht, dass al-Kaidas Ansehen schwindet. Eine Umfrage vom Januar zeigt, dass weniger als ein Viertel der Pakistaner Bin Ladens Vorgehen gutheißen, im August betrug der Anteil noch 46 Prozent. Die Unterstützung für al-Kaida sank von 33 auf 18 Prozent.

Nach einem Bericht des Pew Global Attitudes Project vom Juli 2007 "lehnt eine große und wachsende Anzahl Muslime im Nahen Osten und anderswo den islamischen Extremismus ab". Der Prozentsatz der Muslime, die sagen, Selbstmordanschläge seien zur Verteidigung des Islam gerechtfertigt, ist in sieben der acht arabischen Länder, zu denen Trenddaten verfügbar sind, gefallen. So sagen etwa im Libanon 34 Prozent der Muslime, dass solche Anschläge oft oder zuweilen gerechtfertigt sind; 2002 waren es noch 74 Prozent. Auch die Unterstützung für Bin Laden fällt stark. Und zwar nach Beginn des Irakkriegs.

Seit General David Petraeus seine Strategie gegen die Aufständischen umsetzt, hat al-Kaida schwere militärische Schläge erlitten. Immer mehr Iraker wenden sich gegen al-Kaida, der Trend setzt sich in der arabischen und muslimischen Welt fort. Es hat sich eine wichtige neue Front gebildet, an deren Spitze prominente islamische Geistliche stehen. Militärisch, ideologisch und mit Blick auf die Unterstützung des Volkes sind für Bin Laden und seine Schergen schlechte Zeiten angebrochen.

Bauen wir darauf auf, könnte sich der Irakkrieg, der erst als kolossaler Misserfolg galt, als ein positives, ja ein Schlüsselereignis im Kampf gegen militanten Islamismus erweisen. Wir haben viel Blut und Geld verloren und viel zu lang die falsche Strategie verfolgt. Aber wir haben weitergekämpft und bewiesen, dass Amerika keineswegs ein "schwaches Pferd"(Bin Laden) ist. Nun könnten wir den Kampf auch gewinnen. Der Reiz des Bin-Ladenismus ist am besten zu zerstören, indem man die besiegt, die für ihn zu den Waffen greifen.

Ein Sieg im Irak liegt noch in weiter Ferne. Das Land bleibt traumatisiert, und die Fortschritte können sich wieder in Luft auflösen. Doch die Entwicklung läuft zu unseren Gunsten, ein guter Ausgang ist in Reichweite. Bei einem Erfolg werden die positiven Auswirkungen über den Irak hinaus spürbar sein.

Peter Wehner ist Mitglied des Ethics and Public Policy Center.

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