Dienstag, 27. Juli 2010

Was löste die Loveparade-Katastrophe aus?


Zu viele Fragen sind noch offen

Wie genau konnte es zu dem verhängnisvollen Gedränge im Zugang zum Partygelände kommen? Auch am Tag zwei nach der Tragödie bei der Duisburger Loveparade mit 19 Menschen, die kamen ums Leben, 524 wurden verletzt.



Gedränge vor dem Tunnel; Rechte: WDR/NeumannWie viele Teilnehmer hatte die Loveparade wirklich?

Drängende Enge vor dem Nadelöhr

Bei dieser zentralen Frage sind die offiziellen Angaben derzeit mehr als widersprüchlich. Am Samstag (24.07.10) hatte der Veranstalter noch von rund 1,4 Millionen Besuchern gesprochen. Am Tag nach der Katastrophe hatten die Veranstalter keine neuen Schätzungen mehr genannt. Auch Polizei und Stadt Duisburg wollten sich auf einer Pressekonferenz am Sonntag nicht auf eine Zahl festlegen. Genannt wurde nur die Zahl der Menschen, die per Bahn angereist waren: 105.000 Personen. Allerdings weisen die Luftbilder vom Gelände auf ein Vielfaches dieser Zahl hin. Bei den Loveparades in den Jahren 2007 und 2008 sollen nach offiziellen Angaben zwischen 1,2 und 1,6 Millionen Menschen gefeiert haben. Eine eigene Schätzung, wie es nach Großveranstaltungen oder Demonstrationen üblich ist, hat die Polizei auch am Montag nicht veröffentlicht. Gegenüber WDR.de verwies ein Polizeisprecher darauf, dass weitere Informationen zu diesem Thema nur in Absprache mit den Ermittlungsbehörden erfolgen können.

War das Gelände für solche Menschenmengen ausgelegt?


Luftaufnahme des Geländes

Übersicht Loveparade-Gelände; Rechte: WDR/ddp [M], akLaut Polizei ist das gesamte Gelände des Güterbahnhofs, auf dem die Loveparade stattfand, 200.000 bis 240.000 Quadratmeter groß. Für die Paradewagen und das eigentliche Partygelände hätten 120.000 Quadratmeter zur Verfügung gestanden: Nicht ausreichend, wenn tatsächlich mehr als eine Million Menschen die Loveparade besucht haben. Selbst wenn man eine gewisse Fluktuation der Besucher in die Rechnung einbezieht, hätte das eingezäunte Gelände nicht den Vorgaben der Versammlungsstättenverordnung NRW entsprochen. Am Sonntag hatte der Leiter des Krisenstabes, Wolfgang Rabe, angegeben, dass der Platz 250.000 bis 300.000 Menschen hätte aufnehmen können. Diese Zahl sei aber zu keiner Zeit erreicht worden.


Nach Angaben des Landesministeriums für Bauen und Verkehr hat das Duisburger Amt für Baurecht und Bauberatung am 21. Juli eine Genehmigung für 250.000 Besucher auf dem Gelände erteilt. Dabei habe es sich um die oberste Grenze gehandelt, sagte Ministeriumssprecherin Heike Dongowski WDR.de. Schon weit vor diesem Zeitpunkt hatte allerdings der Veranstalter angekündigt, dass man mit weit mehr Besuchern rechne. 400.000 bis 500.000 Besucher könnten sich gleichzeitig im abgesperrten Bereich aufhalten, hatte Kersten Sattler vom Veranstalter Lopavent eine Woche vor dem Ereignis angegeben.

Waren die Zugänge zum Gelände groß genug?

Bis zu dem Unglück, bei dem 19 Menschen starben und mehr als 340 Personen verletzt wurden, gab es nur einen Ein- und Ausgang zum Festgelände, der durch zwei Tunnel unter Bahngleisen zu erreichen war. Von den Tunneln ging es die Ecke auf eine breite Straßenrampe zum alten Güterbahnhof. Vorwürfe, damit ein Nadelöhr geschaffen zu haben, das nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche, wies die Stadt am Montag (26.07.10) zurück. "Unsere Bauordnung hat den Zugang abgenommen", sagte eine Stadtsprecherin WDR.de. "Die Vorschriften und Vorgaben sind dabei eingehalten worden." Eben das wird bezweifelt: Der Tunnel, an dessen Rampe die meisten Menschen starben, habe nur eine Kapazität von 20.000 Menschen pro Stunde, sagt Panikforscher Michael Schreckenberg, der das Sicherheitskonzept für die Veranstalter begutachtet hatte. Auch die Kölner Polizei, die im Vorfeld der Partyveranstaltung um ihre Meinung gefragt wurde, hat laut WDR-Informationen die Zugangswege als nicht ausreichend bezeichnet.

Der Zugang zum Gelände sei nicht Gegenstand der Genehmigung gewesen, hieß es beim Bauministerium am Montag. Darin seien nur die Zahl und die Kapazität der Notausgänge festgelegt. Das Ministerium werde die Unterlagen zeitnah anfordern und überprüfen.

Was war der Auslöser für das Unglück?


Tunnelzugänge - links und rechts der roten Markierung

Plan der Festivalgeländes; Rechte: WDR/TV GrabIm Gedränge vor dem einzigen Zugang zum Gelände stauten sich gegen 17:10 Uhr die Menschen. Besucher, die ungeduldig zur Party strebten, trafen auf andere, die das Fest schon verlassen wollten. Viele kletterten auf Container oder Zäune, um der drangvollen Enge zu entfliehen. 14 Opfer seien bei solchen Kletteraktionen von einer Metalltreppe an der westlichen Seite des Zugangs gestürzt, zwei seien an einer Plakatwand am Aufgang zum Gelände ums Leben gekommen. Die anderen seien später im Krankenhaus gestorben, teilte die Polizei mit. Augenzeugen hatten dagegen berichtet, dass im Tunnel selbst Menschen zu Tode getrampelt worden seien. Das wollte die Polizei nicht bestätigen. Forscher Schreckenberg sieht "Schuldige auf beiden Seiten" und meint damit auch risikofreudige Kletterer unter den Besuchern. Allerdings könne auch das "Tunnelmanagement" des Veranstalters zu der Situation beigetragen haben.

Bei der Loveparade sollen 524 Menschen verletzt worden sein, 283 von ihnen kamen ins Krankenhaus. Das teilte die Duisburger Polizei am Montagnachmittag (26.07.10) mit. Allerdings soll es sich dabei nicht nur um Folgen der Massenpanik handeln, unter den Verletzten seien auch Besucher, die wegen Alkohol- oder Drogenmissbrauch ärztliche Hilfe brauchten. Im Zusammenhang mit der Massenpanik hatten die Behörden am Wochenende von 342 Verletzten gesprochen. Laut Polizeiangaben befanden sich am Montag noch 43 Loveparade-Besucher in stationärer Behandlung, eine Person soll sich noch in Lebensgefahr befinden.

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