Portrait eines Infizierten
Unter den neu Infizierten sind neuerdings wieder viele junge Männer Anfang 20. Männer wie Max, der sich testen ließ und trotzdem nie wirklich an die Gefahr geglaubt hat.
WIEN. Max ist 26, er studiert in Wien, hat dunkle Haare und ein hübsches Gesicht, das manche an einen Schauspieler erinnert. Schon im Gymnasium hat sich Max das erste Mal testen lassen. Später dann jedes Jahr. Immer war das Ergebnis negativ. Bis zum letzten Sommer.
Es war im August, Max (der Name wurde von der Redaktion geändert) kam gerade von einem Auslandsaufenthalt zurück. Dort hatte er Kopfschmerzen, Zahnschmerzen bekommen, in Österreich kamen dann Schwindelgefühle dazu und eine rote, schmerzende Stelle am Bein. Im Krankenhaus wurde ihm Blut abgenommen und – ohne sein Wissen – ein HIV-Test gemacht. Auf die unerwartete Diagnose reagierte er im ersten Moment gefasst, wie ihm der Arzt später bestätigen sollte. „Ich dachte mir, fürs Erste kann ich eh nix machen. Außer auf die winzige Wahrscheinlichkeit hoffen, dass der Schnelltest falsch war.“ Doch das Ergebnis stimmte.
Wer ihn vor zwei Jahren infiziert hat, weiß Max nicht, aber es kommen nur zwei Menschen in Betracht. Kontakt zu ihnen hat er keinen mehr; was er demjenigen sagen würde, weiß er nicht. Ihm alles an den Kopf werfen. Oder, eher, ihn zum Test schicken, womöglich weiß derjenige über seine Infektion selbst gar nicht Bescheid.
Max wusste nun Bescheid, war benommen und stand bald völlig neben sich. „Es ist, als ob man sich selbst zuschaut, was man tut.“ Was er tat: Er rief seine engsten Freunde an, bat sie zu sich und erzählte. Obwohl er Angst hatte, „dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen“. Dass ihn niemand mehr berühren wollen würde.
Er konnte nichts essen, nahm in kurzer Zeit zehn Kilo ab. Er fuhr auf Urlaub, sah DVDs, ging jeden zweiten Tag in den Zoo. Und er suchte sich einen spezialisierten Arzt, saß „wie ein Häufchen Elend im Wartezimmer“. Ständig kreiste dabei ein Gedanke in seinem Kopf: „Sieht man es mir an?“ Max schaut auf. „Sieht man es mir denn an?“ Es ist eine ernst gemeinte Frage. Natürlich sieht man es nicht.
Der Besuch beim Arzt war ein positives Erlebnis. „Horst war sofort wie ein Freund, hat gemeint, er werde nun wohl etwas länger mein Arzt sein.“ Horst, das ist Horst Schalk, der in Wien eine Schwerpunktpraxis betreut. Max ist für ihn Teil eines traurigen Trends. „Neuerdings infizieren sich wieder sehr viele junge Männer Anfang 20.“
Werden die Jungen wieder unvorsichtig? Schalk und seine Kollegin Judith Hutterer können sich das gut vorstellen. „Die Jungen haben niemanden mehr sterben gesehen. Dass der letzte bekannte Künstler gestorben ist, ist ja schon lange her.“
Auch im Aids Hilfe Haus fand Max bald eine Ansprechpartnerin, bei der er Rat suchen konnte, bei Fragen wie: „Wenn jemand nießt, muss ich weglaufen?“ Oder auch: „Wann sage ich es meinem neuen Freund? Man stellt sich ja nicht vor: Hallo, ich heiße Max und bin HIV-positiv.“ Am Ende erzählte er es ihm nach der ersten Woche, die beiden sind noch immer zusammen.
Seine Mutter weiß indes bis heute nichts von seiner Infektion. „Sie hatte schon so große Probleme damit, dass ich homosexuell bin. Sie redet immer noch von Enkeln.“ Zwar habe er gelesen, dass es Rückhalt biete, wenn die Familie hinter einem stehe. „Aber“, sagt er, „ich will sie nicht noch mehr belasten“. Wenn er daheim ist, nimmt er die Tabletten heimlich. Besorgen muss er sie schon in Wien, in Apotheken auf dem Land bekomme man sie nicht so leicht. Demnächst will ihm seine Mutter in Wien einen Besuch abstatten. „Da muss ich eben alle Aufzeichnungen bei einem Freund zwischenlagern.“
Begonnen hat er mit der Therapie schon wenige Monate nach der Diagnose. Erst hatte es geheißen, es dauere oft Jahre, bis es soweit sei. Doch dann verschlechterten sich seine Werte, sodass ihm sein Arzt schon im Herbst zum Start der Behandlung riet. Bald tauchte die erste Unverträglichkeit auf, sein Migränemittel vertrug sich nicht mit dem HIV-Präparat.
Es begann mit brennenden Lippen, wurde schlimmer, sein Freund brachte ihn besorgt ins Spital. Die erste Reaktion der Schwester: „Hätten S' halt mehr Lippenbalsam draufgetan.“ Später wurde er von vier Ärzten inspiziert. „Man kommt sich vor wie eine seltene Spezies.“ Heute hat er eine Kombination, die er ganz gut verträgt – und die endlich nicht mehr im Kühlschrank gelagert werden muss.
Im Umgang mit der Infektion sehr geholfen habe ihm seine Betreuerin bei der Aids Hilfe. Sie beschrieb ihm das Virus wie ein ungewolltes Haustier. „Es ist jetzt einfach da und du musst ihm zeigen, welchen Platz es in deiner Wohnung haben darf.“ Derzeit wohnt das Virus in seinem Abstellkammerl. „Aber dort ist es voll und manchmal will es raus.“ Immer wieder grübelt er. War er unvorsichtig? Ist er selbst schuld? Und auch: Wie schlimm steht es um ihn wirklich? Die Signale seien selbst von Betreuerseite nicht immer dieselben. Oft aufmunternd, nach dem Motto „alles halb so schlimm“ – „und dann sprechen sie doch wieder von der schweren Erkrankung.“
Jedenfalls ist es eine Erkrankung, von der heute noch niemand geheilt werden kann. Doch wo immer es vielversprechende Ansätze gibt – Max weiß darüber Bescheid. Als angehender Naturwissenschaftler will er auch über HIV alles ganz genau wissen, er studiert leintuchgroße Beipackzettel, durchforstet das Internet. Und könnte sich ohrfeigen für das eine, leichtsinnige Mal, bei dem er nicht auf Sicherheit bestand. „Ich war blauäugig, hatte eine rosa Brille auf, was immer. Ich habe ja die Tests gemacht – und mir trotzdem nicht vorstellen können, dass ich es jemals krieg.“
Es war im August, Max (der Name wurde von der Redaktion geändert) kam gerade von einem Auslandsaufenthalt zurück. Dort hatte er Kopfschmerzen, Zahnschmerzen bekommen, in Österreich kamen dann Schwindelgefühle dazu und eine rote, schmerzende Stelle am Bein. Im Krankenhaus wurde ihm Blut abgenommen und – ohne sein Wissen – ein HIV-Test gemacht. Auf die unerwartete Diagnose reagierte er im ersten Moment gefasst, wie ihm der Arzt später bestätigen sollte. „Ich dachte mir, fürs Erste kann ich eh nix machen. Außer auf die winzige Wahrscheinlichkeit hoffen, dass der Schnelltest falsch war.“ Doch das Ergebnis stimmte.
Wer ihn vor zwei Jahren infiziert hat, weiß Max nicht, aber es kommen nur zwei Menschen in Betracht. Kontakt zu ihnen hat er keinen mehr; was er demjenigen sagen würde, weiß er nicht. Ihm alles an den Kopf werfen. Oder, eher, ihn zum Test schicken, womöglich weiß derjenige über seine Infektion selbst gar nicht Bescheid.
Max wusste nun Bescheid, war benommen und stand bald völlig neben sich. „Es ist, als ob man sich selbst zuschaut, was man tut.“ Was er tat: Er rief seine engsten Freunde an, bat sie zu sich und erzählte. Obwohl er Angst hatte, „dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen“. Dass ihn niemand mehr berühren wollen würde.
Er konnte nichts essen, nahm in kurzer Zeit zehn Kilo ab. Er fuhr auf Urlaub, sah DVDs, ging jeden zweiten Tag in den Zoo. Und er suchte sich einen spezialisierten Arzt, saß „wie ein Häufchen Elend im Wartezimmer“. Ständig kreiste dabei ein Gedanke in seinem Kopf: „Sieht man es mir an?“ Max schaut auf. „Sieht man es mir denn an?“ Es ist eine ernst gemeinte Frage. Natürlich sieht man es nicht.
Der Besuch beim Arzt war ein positives Erlebnis. „Horst war sofort wie ein Freund, hat gemeint, er werde nun wohl etwas länger mein Arzt sein.“ Horst, das ist Horst Schalk, der in Wien eine Schwerpunktpraxis betreut. Max ist für ihn Teil eines traurigen Trends. „Neuerdings infizieren sich wieder sehr viele junge Männer Anfang 20.“
Werden die Jungen wieder unvorsichtig? Schalk und seine Kollegin Judith Hutterer können sich das gut vorstellen. „Die Jungen haben niemanden mehr sterben gesehen. Dass der letzte bekannte Künstler gestorben ist, ist ja schon lange her.“
Auch im Aids Hilfe Haus fand Max bald eine Ansprechpartnerin, bei der er Rat suchen konnte, bei Fragen wie: „Wenn jemand nießt, muss ich weglaufen?“ Oder auch: „Wann sage ich es meinem neuen Freund? Man stellt sich ja nicht vor: Hallo, ich heiße Max und bin HIV-positiv.“ Am Ende erzählte er es ihm nach der ersten Woche, die beiden sind noch immer zusammen.
Seine Mutter weiß indes bis heute nichts von seiner Infektion. „Sie hatte schon so große Probleme damit, dass ich homosexuell bin. Sie redet immer noch von Enkeln.“ Zwar habe er gelesen, dass es Rückhalt biete, wenn die Familie hinter einem stehe. „Aber“, sagt er, „ich will sie nicht noch mehr belasten“. Wenn er daheim ist, nimmt er die Tabletten heimlich. Besorgen muss er sie schon in Wien, in Apotheken auf dem Land bekomme man sie nicht so leicht. Demnächst will ihm seine Mutter in Wien einen Besuch abstatten. „Da muss ich eben alle Aufzeichnungen bei einem Freund zwischenlagern.“
Begonnen hat er mit der Therapie schon wenige Monate nach der Diagnose. Erst hatte es geheißen, es dauere oft Jahre, bis es soweit sei. Doch dann verschlechterten sich seine Werte, sodass ihm sein Arzt schon im Herbst zum Start der Behandlung riet. Bald tauchte die erste Unverträglichkeit auf, sein Migränemittel vertrug sich nicht mit dem HIV-Präparat.
Es begann mit brennenden Lippen, wurde schlimmer, sein Freund brachte ihn besorgt ins Spital. Die erste Reaktion der Schwester: „Hätten S' halt mehr Lippenbalsam draufgetan.“ Später wurde er von vier Ärzten inspiziert. „Man kommt sich vor wie eine seltene Spezies.“ Heute hat er eine Kombination, die er ganz gut verträgt – und die endlich nicht mehr im Kühlschrank gelagert werden muss.
Im Umgang mit der Infektion sehr geholfen habe ihm seine Betreuerin bei der Aids Hilfe. Sie beschrieb ihm das Virus wie ein ungewolltes Haustier. „Es ist jetzt einfach da und du musst ihm zeigen, welchen Platz es in deiner Wohnung haben darf.“ Derzeit wohnt das Virus in seinem Abstellkammerl. „Aber dort ist es voll und manchmal will es raus.“ Immer wieder grübelt er. War er unvorsichtig? Ist er selbst schuld? Und auch: Wie schlimm steht es um ihn wirklich? Die Signale seien selbst von Betreuerseite nicht immer dieselben. Oft aufmunternd, nach dem Motto „alles halb so schlimm“ – „und dann sprechen sie doch wieder von der schweren Erkrankung.“
Jedenfalls ist es eine Erkrankung, von der heute noch niemand geheilt werden kann. Doch wo immer es vielversprechende Ansätze gibt – Max weiß darüber Bescheid. Als angehender Naturwissenschaftler will er auch über HIV alles ganz genau wissen, er studiert leintuchgroße Beipackzettel, durchforstet das Internet. Und könnte sich ohrfeigen für das eine, leichtsinnige Mal, bei dem er nicht auf Sicherheit bestand. „Ich war blauäugig, hatte eine rosa Brille auf, was immer. Ich habe ja die Tests gemacht – und mir trotzdem nicht vorstellen können, dass ich es jemals krieg.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2010)ZAHLEN, DATEN■Von 1983 bis 4. Juni 2010 starben in Österreich 1520 Menschen an Aids. Derzeit leben ungefähr 9000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Täglich kommt es zu ein bis zwei Neuinfektionen in Österreich. Im Vorjahr wurden 507 Neuinfektionen festgestellt. Die meisten HIV-Infektionen passieren in Österreich durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr. 2006 erfolgten fast 42 Prozent der Neuinfektionen über heterosexuelle Kontakte, 28,6 % über homosexuelle Kontakte, 20,5 % über intravenösen Drogenkonsum.
„Ich habe ja die Tests gemacht – und mir trotzdem nicht vorstellen können, dass ich es jemals krieg.“
Max (26), HIV-positiv
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