Donnerstag, 8. Juli 2010

ai: Mangelnde Aufklärung von Polizeigewalt in Deutschland

ai-Generalsekretärin im Interview

"Die Polizei ermittelt ja nicht gegen sich selbst"

Polizisten nehmen einen Randalierer in Berlin fest. (Foto: dpa)
1. Mai 2009 in Berlin. Polizisten nehmen einen mutmaßlichen Randalierer fest.

Das Ergebnis eines neuen Berichts der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zur Polizeigewalt in Deutschland ist alarmierend: Ermittlungen gegen Polizisten werden demnach schlampig oder gar nicht durchgeführt. Geschuldet sei das einem Korpsgeist, so Amnesty-Generalsekretärin Lüke im Gespräch.

tagesschau.de: Frau Lüke, über was für Dimensionen sprechen wir, wenn wir von Polizeigewalt in Deutschland reden?
Monika Lüke: Es gibt sicher keine systematische Polizeigewalt in Deutschland. Aber es gibt ein strukturelles Problem: Vorwürfen gegen die Polizei wird – ob begründet oder unbegründet – nicht ordentlich nachgegangen. Die Polizei ermittelt ja nicht gegen sich selbst, es gibt keine umfassenden und unverzüglichen Ermittlungen.

tagesschau.de: Können Sie Beispiele nennen?
Lüke: Es gibt einen Fall aus Berlin. Dort wurde das Elternhaus eines 17-Jährigen, der des Raubüberfalls verdächtigt wurde, von der Polizei gestürmt. Der Jugendliche wurde dabei schwer verletzt. Es dauerte aber zwei Jahre, bis es zu einer Hauptverhandlung gegen die beschuldigten Polizisten kam. Die Ermittlungen wurden also klar verschleppt. In der Hauptverhandlung selbst hat dann der Vorsitzende Richter die Widersprüche in den Aussagen der Beamten aufgedeckt und der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, dass diesen Widersprüchen nicht nachgegangen wurde. Die schlampigen Ermittlungen führten schließlich dazu, dass die angeklagten Polizisten freigesprochen werden mussten. Das Land Berlin hat dennoch eine Entschädigung an den Jugendlichen gezahlt – natürlich aber ohne die Anklage anzuerkennen.

In einem anderen Fall wurde eine Studentin aus Lübeck nach einer Identitätskontrolle festgehalten. Auf dem Revier kam es zu einer Rangelei, bei der die Studentin nach eigenen Angaben verletzt wurde. Sie hat dann gegen die Polizei Anzeige erstattet. Die Ermittlungen wurden von Angehörigen der Einheit durchgeführt, der der angezeigte Beamte angehörte. Hier kann von unabhängigen Ermittlungen keine Rede sein.

tagesschau.de: Kann man denn ungefähr benennen, wie viele Übergriffe es in Deutschland durch Polizisten gibt?
Lüke: Es gibt jetzt erstmals eine Statistik, in der auch Verfahren und Anzeigen gegen die Polizei aufgeführt werden. Allerdings umfasst die Statistik auch Verfahren gegen alle anderen Personen im Justizapparat, zum Beispiel gegen Richter und Staatsanwälte. Insofern ist es schwierig, aus dieser Statistik Schlüsse zu ziehen. Was aber auffällig ist: Alle Fälle, die wir aufgegriffen und in denen wir nachrecherchiert haben, zeigen, dass den Vorwürfen gegen die Polizei nicht ordnungsgemäß nachgegangen wurde. Deswegen fordern wir eine unabhängige Untersuchungsgremium. In einigen europäischen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien oder Irland, gibt es das bereits. Diese Gremien werden nicht mit Polizisten besetzt – und das führt zu besseren Ergebnissen als bei uns.
Amnesty-Generalsekretärin Monika Lüke (Foto: dpa)

Monika Lüke:

Jahrgang 1969, ist seit gut einem Jahr Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland. Die promovierte Juristin begann bereits während ihres Studiums damit, sich für Menschenrechte zu engagieren. Nach dem Studium arbeitete sie als Politikberaterin, unter anderem für das britische Außenministerium und die Evangelische Kirche in Deutschland. Ihr Thema auch hier: Menschenrechte und Flüchtlingsfragen.
tagesschau.de: Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Innenminister entschieden haben, Gewalt gegen Polizisten härter zu bestrafen. Von Polizeigewalt war da nicht die Rede. Ignoriert die Politik das Problem?
Lüke: Ich glaube schon, dass die Politik auf die Vorwürfe reagiert. Es gibt ganz vorsichtige Ansätze, zum Beispiel in Hamburg, wo Ermittlungen unter der Aufsicht der Innenbehörde durchgeführt werden. Nur: Das reicht nicht. Besonders problematisch ist zum Beispiel, dass Polizisten in Deutschland noch immer nicht individuell durch Namen oder durch Nummern identifizierbar gemacht werden müssen. Das erschwert Ermittlungen natürlich ungemein. Bei Vorfällen wird dann innerhalb der Polizei falschverstandenes Wir-Gefühl und falschverstandene Freundschaft dazu genutzt, Täter zu decken und Rechtsverletzungen zu kaschieren. Da finden sich Ansätze von Korpsgeist.

tagesschau.de: Sie haben bereits 2004 einen Bericht zum Thema Polizeigewalt veröffentlicht. Hat sich seitdem etwas getan?
Lüke: Es gibt Fortschritte gegenüber 2004. Beispielsweise hatten wir damals über den Fall eines Abschiebehäftlings berichtet, der 1999 bei seiner Abschiebung in den Sudan ums Leben gekommen war. Inzwischen hat man die Abschieberichtlinien geändert. Es gibt Stellen, die die Abschiebepraxis an Flughäfen beobachten – mitunter werden dabei auch Nichtregierungsorganisationen einbezogen - und Deutschland ist mittlerweile dem Zusatzprotokoll zur UN-Folterkonvention beigetreten. Es gibt damit eine Stelle, die Gewahrsamseinrichtungen in Deutschland kontrolliert – auch wenn diese noch zu schlecht ausgestattet ist. Was sich aber seit 2004 nicht verbessert hat ist: Bei Vorwürfen gegen die Polizei wird nicht ordnungsgemäß ermittelt.

Das Interview führte Jan Oltmanns, tagesschau.de
Seit einiger Zeit gibt es einen Blog mit dem Titel Killed by Cops. Dort werden durch die Polizei verübte Morde dokumentarisch beleuchtet, sodass eine Chronik entsteht. Diese ist bisher sehr unvollständig, weshalb um Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge gebeten wird.
 
No Justice! No Peace!

Nichts und Niemand ist vergessen!
In der bisherigen Chronik finden sich sowohl ältere Fälle wie beispielsweise Klaus-Jürgen Rattay oder Halim Dener, als auch neuere Morde, wie z.B. den an Lámbros Foúndas.

Bisher umfasst die Chronik lediglich zehn Morde und auch nur solche, die in der (radikalen) Linken bekannt wurden. Es wäre wünschenswert, auch unpopuläre Fälle in die Chronik aufzunehmen. Über Informationen freuen sich die Macher_innen der Seite sicherlich.

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