Montag, 5. Juli 2010

Kölner Polizei-Posse: Guter Bulle, böser Bulle

Von Jörg Diehl

Stephan Müller jagte Verbrecher, ein Polizist mit Leib und Seele. Doch als er den Dienst quittieren wollte, schlitterte er in einen hässlichen Streit mit seinem Arbeitgeber: Auf die Entlassungspapiere warte er seit neun Jahren, sagt er - eine Geschichte über den harten Kampf mit der Bürokratie.
 
(Ex-)Polizist Müller: "Klare Kante. Immer"
Köln - Gefragt, ob er nicht irgendwann die Lust an dem Fall verlieren wird, ob er nicht einfach aufgeben könnte, es gut sein lassen, stutzt Stephan Müller für einen kurzen Augenblick. Seine Augen weiten sich zu einem ungläubigen Starren, dann schüttelt er langsam den Kopf. "Wissen Sie", sagt er in rheinischem Tonfall, "ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte."

Und dann erzählt Müller, 44, von der Zeit, als er ein junger Kriminalbeamter in Köln war, und davon, wie er einmal einen Triebtäter gejagt hat, tagelang, nächtelang, ohne Schlaf, ohne Unterbrechung. "Bis ich ihn hatte. Erst dann war es gut."

Was Stephan Müller sagen will, ohne dass er es ausspricht: Nein, er wird nicht aufgeben, es nicht gut sein lassen, weil er weder will noch kann, weil er eben das, was er für Gerechtigkeit hält, bislang nicht erreicht hat.

"Polizist zu sein, war mein Leben"
Müller hat sich festgebissen, mal wieder. Nur dass er diesmal nicht gegen Kriminelle kämpft, wie er es jahrelang tat und darüber vor lauter Feuereifer das klassische Beamtenleben mit Häuschen im Grünen, mit Frau und Familie verpasste, sondern eben gegen die Behörde, der er 16 Jahre lang gedient hat. "Polizist zu sein, war mein Leben", sagt Müller. "Doch ich bin einfach kein Ja-Sager."

Und so kommt es im Frühjahr 2001, wie es wohl kommen musste. Der schon lange schwelende Konflikt mit einem Vorgesetzten eskaliert, böse Worte fallen, und Müller weiß am Ende sehr genau: Bei der Polizei wird er keine Karriere mehr machen und schlimmstenfalls sogar auf einen Lochen-Tackern-Abheften-Posten versetzt. Oder man lässt ihn gleich wieder Streife gehen. Also zieht Müller die Konsequenzen. "Klare Kante", sagt er. "Immer."

Zwei Tage später knallt er seinem Chef einen schnippischen Dreizeiler auf den Tisch, adressiert an den Innenminister von Nordrhein-Westfalen (NRW): "Hiermit kündige ich den Polizeivollzugsdienst zum 31. August 2001. Für das in den vergangenen Jahren entgegengebrachte Vertrauen darf ich mich hiermit bedanken."

Nur noch eine Formalie - von wegen
Müller denkt, damit habe er seine Zeit bei der Polizei hinter sich, seine Entlassung sei jetzt nur noch eine Formalie. Doch als sich der Kriminaloberkommissar, der zuletzt in der Führungsstelle der Kölner Polizeiinspektion 7 gearbeitet hat, nach einiger Zeit anderswo zu bewerben versucht, stellt er fest: Ihm liegt lediglich der nicht unterschriebene Entwurf einer sogenannten Entlassungsverfügung vor, die zur Beendigung des Beamtenverhältnisses eigentlich notwendig wäre.

Ist das alles, was er bekommen hat? Sind ihm Unterlagen verloren gegangen? Müller zweifelt. Er fragt nach, telefoniert, schreibt, bittet freundlich um seine Papiere. Man verspricht ihm schnelle Hilfe. Nichts passiert.

Irgendwann verlangt Müller, der sich um einen neuen Job bemühen will, recht deutlich nach einer ordentlichen Entlassung, nach Verfügung und Urkunde. Wieder muss er hören, die Dokumente habe er längst bekommen.

Perfekter Teufelskreis
Für Müller ist eine kafkaeske Situation entstanden, in der sich ihm die ganze Selbstgerechtigkeit, Teilnahmslosigkeit und Engstirnigkeit der deutschen Bürokratie offenbart haben will: Einer drängt aus dem System hinaus, doch das System lässt ihn nicht, weil derjenige angeblich schon längst ausgestiegen ist und das System Recht hat, grundsätzlich, immer. Müller sieht sich gefangen in einem perfekten Teufelskreis.

Große Unternehmen, die ihn als Sicherheitschef anheuern wollen, zeigen ihm die kalte Schulter, weil er ihnen keine vollständigen Papiere vorlegen kann. Auf dem Arbeitsamt, so erinnert er sich, fragt ihn ein Sachbearbeiter sogar ganz unverblümt: "Wollen Sie mich verarschen? Sie sind doch Beamter." Also verkauft Müller, was er hat, und leiht sich Geld bei seinen Eltern, bei seiner Freundin. Er weiß: Lange hält er nicht mehr durch.

Schließlich will Müller den Spieß herumdrehen und bewirbt sich beim Innenministerium NRW um eine zeitweilige Versetzung nach Frankfurt. Drei Briefe schickt er nach Düsseldorf. Ohne Ergebnis. Dann zieht Müller vor Gericht, enttäuscht, wütend, trotzig, und verlangt erneut die beantragte Abordnung nach Hessen. Außerdem will er festgestellt wissen, dass er noch immer Beamter ist - weil man ihm eben nicht ordentlich entlassen habe.

Geht es ums Geld?
Doch Müller verliert. Das Verwaltungsgericht Köln argumentiert in seinem Urteil vom 18. April 2005: Der Kläger sei im Mai 2001 "auf eigenen Wunsch" aus dem Polizeidienst entlassen worden. Zwar könne die Behörde nicht nachweisen, dass Müller tatsächlich die notwendigen Entlassungspapiere erhalten habe, doch sei "davon auszugehen", immerhin sei der Beamte ja nicht mehr zur Arbeit erschienen. Der Richter glaubt, Müller lüge, und wahrscheinlich glaubt er auch, Müller gehe es bloß ums Geld.

Immerhin hat der Oberkommissar netto zuletzt etwa 2400 Euro monatlich verdient - eine Nachhonorierung käme die Polizei ziemlich teuer zu stehen. Müller beteuert, darum gehe es ihm nicht vorrangig, sondern ums Prinzip, um Gerechtigkeit, um rechtsstaatliche Ideale. Große Worte. Ausschlagen, nun ja, würde Müller das Geld aber wohl auch nicht, schließlich hat ihn der vermeintliche Behördenfehler bislang eine "sechsstellige Summe" gekostet, wie er sagt.

Der Beamte - oder eben Ex-Beamte - kämpft weiter, zieht in die nächste Instanz und setzt große Hoffnungen in die Arbeit des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster. "Hauptsache nicht Köln", denkt sich Müller. Er irrt.

Schriftliche Drohung
Zwei Wochen bevor das OVG Müllers Berufung schließlich abschmettert, telefoniert ein Beamter des Polizeipräsidiums Köln mit einer Richterin der zuständigen Kammer. In einem Aktenvermerk, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, notiert der Mitarbeiter der Direktion "Zentrale Aufgaben" (ZA) hinterher: "Im Hinblick auf eine möglicherweise anstehende mündliche Verhandlung habe ich ihr (der Richterin; d. Red.) auch den letzten Satz aus dem Schreiben des Herrn Müller vom 2. Januar 2007 vorgelesen."

Darin hatte Müller dem Innenminister Ingo Wolf (FDP) gedroht, dass Vorgehen der Behörden werde "nicht ohne Folgen bleiben".

Das OVG Münster, das sich nun zu dem Telefonat nicht äußern will, entscheidet also gut zwei Wochen später: Müller sei im Mai 2001 aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden. Zwar könne das weder nachgewiesen, noch aus Müllers Verhalten - wie es das Verwaltungsgericht Köln getan hatte - geschlossen werden, dass er entsprechende Entlassungsunterlagen erhalten habe. Jedoch habe der Kläger seine Ansprüche inzwischen verwirkt, weil er nicht rechtzeitig auf das Fehlen der Dokumente hingewiesen habe. Jetzt sei es dafür zu spät. "Der Beschluss ist unanfechtbar."

Auch die Polizei Köln fühlt sich in ihrer Rechtsauffassung bestätigt und verweist  knapp auf die OVG-Entscheidung. Darüber hinausgehende Fragen zu dem strittigen Ende eines Dienstverhältnisses werde man aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht beantworten, verfügt die Leiterin der Pressestelle, Miriam Brauns.

Entscheidende Vorlage
Und dennoch wittert Müller inzwischen eine Möglichkeit, den behördlichen Abwehrriegel zu knacken. Die seiner Meinung nach entscheidende Vorlage dazu lieferte ihm ausgerechnet die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Die Behörde klagte ihn im April 2009 an, "unbefugt eine inländische Amtsbezeichnung geführt zu haben". Müller hatte seinen Schriftverkehr stets als "Kriminaloberkommissar" unterzeichnet - und tut es noch.

In dem Verfahren, das zu eröffnen dem Amtsgericht Düsseldorf offenbar schwer fällt, wird der fraglichen Entlassungsverfügung vom 14. Mai 2001 wohl eine entscheidende Rolle zukommen.

Ist Stephan Müller noch Polizist oder ist er es eben schon längst nicht mehr? Die Frage wird der Richter beantworten müssen. Müller ist sich indes sicher, dass es das dazu notwendige Schriftstück gar nicht gibt, und in den bisherigen Prozessen hat es das Präsidium Köln auch nicht vorgelegt.

Sicherheitshalber zeigte der 44-Jährige, der sich inzwischen mit einer Beratungsfirma selbstständig gemacht hat, wiederum den ermittelnden Staatsanwalt wegen falscher Verdächtigung, Prozessbetrugs und Verfolgung Unschuldiger an. Sollte das Düsseldorfer Gericht also den Kriminaloberkommissar (im oder außer Dienst) freisprechen, könnte es seinem neuesten Kontrahenten womöglich an den Kragen gehen. "Ich bin sehr gespannt", frohlockt Müller.

Und vielleicht bekommt der Kriminalist und Diplom-Verwaltungswirt tatsächlich irgendwann die Papiere, die er vermisst. "Und ein Zeugnis, das wäre auch schön. Immerhin war ich ein Guter."

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