Sex ist immer schon Gender
KOMMENTAR VON ANDREA RÖDIG
Elf Monate lang kreißte der Internationale Leichtathletikverband (IAAF), dann brachte er einen dürren Satz hervor: Caster Semenya darf wieder starten. Die südafrikanische Läuferin und Weltmeisterin über 800 Meter, deren zweifelhafte Weiblichkeit im letzten Jahr für einige Aufregung gesorgt hatten, musste ungewöhnlich lange auf die Ergebnisse der angeordneten Geschlechtstests warten. Letzte Woche dann nahm sie in Finnland an ersten Wettkämpfen nach der Zwangspause teil, gewann die Läufe locker, blieb aber weit hinter ihrer sensationellen Leistung von 2009 zurück. Kein Wunder nach zähen Monaten der Unsicherheit, des Zweifels und der Einschüchterung.
Vom Sport lernen
Gut ist, dass Semenya wieder laufen darf, und gut ist, dass sie als Frau laufen darf. Unfreiwillig gut ist aber auch die sibyllinische Presseerklärung des IAAF, die das Wort "Frau" nicht enthält, sondern lediglich betont, dass die Ergebnisse des medizinischen Gutachtens vertraulich behandelt und nicht weiter kommentiert werden. Was zur Entscheidung geführt hat, bleibt im Dunkeln, und nichts Besseres könnte passieren: Das Urteil zeigt in seinem trockenen Gestus besser als jede theoretische Abhandlung, dass Geschlecht unter anderem ein "performativer Sprechakt" ist, das heißt ein Satz, der Tatsachen schafft. Das IAAF lässt Semenya zu, also gilt sie als Frau.
An der Diskussion über "das dritte Geschlecht", die der Fall Semenya im letzten Herbst auslöste, war interessant, dass sie für die linken Medien offenbar nicht besonders interessant war. Während die sogenannte bürgerliche Presse eingehend und mitfühlend berichtete und an Semenya alle möglichen Hintergrundartikel zu Hermaphroditismus aufhängte, war die Sache links des Common Sense relativ schnell und sachlich abgehandelt. Aufklärung über alle Formen von Inter- Trans- oder Crosssexualität hat hier schon vor Jahren längst stattgefunden, diesbezüglich war nichts Neues zu berichten. Auch eine Empörung über die Zwangsverzweigeschlechtlichung durch das Sportsystem blieb aus, weil ja mittlerweile auch die Verbände und die liberalisierte Öffentlichkeit wissen, dass die Sache mit den Geschlechtern so einfach nicht ist.
Andrea Rödig
arbeitet als freie Publizistin in Wien. Bis 2006 leitete sie die Kulturredaktion des Freitag. Zuletzt kritisierte sie die Missbrauchsdebatte: "Fliegende Bischofsmütze".
Kein spannender Diskussionsbedarf im Fall Semenya also? Was gibt es noch zu tun, wenn das Bewusstsein über Gender Trouble im Mainstream zwischen FAZ und Welt angekommen ist, wo wäre nun die weiterführende Perspektive? Einerseits läge sie sicher darin, genauer zu durchdenken, warum eine Einführung weiterer Geschlechtskategorien - denn das ist es, was als ordentliche "Lösung" naheliegt - das Problem nur verschiebt. Geschlechtskategorien, egal wie viele man hat, führen immer in Widersprüche.
Der Ärger mit den Hormonen
Für die interne Genderdiskussion allerdings wäre die progressive Frage eine konservative, nämlich: Was ist nun mit den Testosteronwerten von Semenya, haben die eine Wirkung? Diese Frage ganz naiv zu stellen ist innerhalb der linken Genderkritik nicht opportun, weil ihre Logik gerade auf dem Ausschluss solcher unmittelbaren Bezugnahme auf Biologisches beruht. Sex, also das biologische Geschlecht, ist immer schon Gender, also sozial vermittelt, das ist die unhintergehbare Weisheit. Beim Thema Geschlecht und Sport geht die Rechnung allerdings nicht ganz auf, weil hier der Körper in anderer Weise eine Rolle spielt. Die Unterscheidung männlich/weiblich gilt im Sport ganz pragmatisch auch als Leistungsklasse, was für einige Disziplinen durchaus sinnvoll ist. So schmerzhaft es sein mag, Männer sind im Durchschnitt für Kraftsportarten besser ausgestattet und können bei Training zu höheren Leistungen gebracht werden. Die Geschlechterklassen aufzuheben würde Frauen unter sehr ungleiche Wettbewerbsbedingungen stellen und allenfalls in der Weise einen gerechten Sinn haben, dass man Frauen zwar mit Männern, nicht aber Männer mit Frauen konkurrieren lässt.
Das Problem der Gender Studies
Der Fall Semenya konfrontiert beide - das Sportsystem wie die Gendertheorie - mit ihren jeweiligen internen Widersprüchen. Der Leistungssport stößt einmal mehr an die Grenzen seiner paradoxen Forderung nach naturgegebener Hyperpotenz. Er giert nach dem begnadeten Körper, wie Semenya ihn besitzt, und muss ihn gleichzeitig kontrollieren und gegebenenfalls ausschließen. Die Genderkritik dagegen stößt beim Thema Intersex im Sport an die Grenzen ihrer selbst gestellten Beschränkungen. Die Frage nach dem biologischen Geschlecht ist nämlich falsch und berechtigt zugleich. Diesen Spagat muss man aushalten können. Selbstverständlich ist die Unterscheidung in zwei "natürliche" Geschlechter ideologisch. Aber es wäre genauso ideologisch, die körperliche Differenz als Konstrukt zu marginalisieren.
"The body matters" (Der Körper zählt) - die Genderkritik würde das nicht leugnen. Mittlerweile nimmt der Begriff "Körper" in dem gesamten Theoriegebäude eine nahezu penetrant zentrale Stelle ein, gleichzeitig wird strikt nicht physiologisch über ihn gesprochen.
Der Körper gilt den WissenschaftlerInnen stets als Produkt von Biomächten, gesellschaftlichen Einschreibungen und medizinisch-sozialen Praxen. Diese Perspektive ist berechtigt, und doch liegt hier ein Problem. Der Genderdiskurs ist vorhersehbar und unbefriedigend, weil er um die eine ausgeschlossene Gretchenfrage Biologie wie um den heißen Brei herumtänzelt. "Die Konstruktion von Geschlecht in der medialen Inszenierung von Sport", so heißen die Arbeiten zum Thema. Ja, das wissen wir jetzt. Und welche Rolle spielen Hormone dabei?
Es geht nicht darum, hinter die These von der sozialen Konstruktion des Geschlechts zurückzufallen, sondern auf ihrer Basis weiterzudenken und sich jenseits der eingeschliffenen Denkmuster noch einmal mit der Bedeutung von physiologischen Bedingungen für Geschlechtlichkeit zu beschäftigen. Eigentümlicherweise wächst gerade im Herzen der queeren Bewegung derzeit eine Vorliebe für die Evidenz physiologischer Manipulation: In wachsender Zahl zeigen Transpeople beeindruckend, wie viel man mit Hormonen anstellen kann. Die Biologie hat die Gender bender längst eingeholt.
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