Von Silke Weber
Sie kommen, wenn das Leben gegangen ist. Tatortreiniger putzen dort, wo andere vor Ekel die Flucht ergreifen - sie wischen Blut weg, sammeln Gewebefetzen ein, befreien Räume von Leichengeruch. Im Einsatz mit Männern, die wegschaffen, was der Tod hinterlassen hat.Berlin - Ein überquellender Aschenbecher und zwei geleerte Whiskey-Flaschen stehen vor der Couch, auf der sich noch die Umrisse eines Körpers abzeichnen. Auf dem Wohnzimmertisch liegen Geldbörse, Versichertenkarte und ein brauner Umschlag mit der Aufschrift "Testament", ordentlich arrangiert. Die Leiche und das Küchenmesser, mit dem sich der Professor tötete, hat die Polizei wegbringen lassen.
Zwischen Couch und Tisch frisst sich eine zwei Meter breite Blutlache ins Parkett. Die Wand dahinter sieht aus, als habe jemand eine Rotweinflasche an ihr zerschlagen. Ein stechender süßlich-rostiger Geruch liegt in der Luft. Routiniert zieht sich Martin Müller die Vollschutzmaske übers Gesicht. Für den 36-Jährigen ist dieser Ort, an dem ein Leben vorzeitig endete, sein Arbeitsplatz.
Müller arbeitet für die Firma Akut SOS Clean, die sich auf die Reinigung von Tat-, Unfall- und Leichenfundorten spezialisiert hat. Zu ihren Kunden gehören Bestattungsunternehmen, Hausverwaltungen, Versicherungen oder Behörden, etwa die Polizei, wenn eine Wohnung entwest, dekontaminiert und desinfiziert werden muss. Circa 150 Fachmonteure sind rund um die Uhr für die Frankfurter Firma im Einsatz, in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
"Mal gucken, wie der Mensch so gelebt hat"
Ihr Geschäftsmodell hat die Akut SOS Clean von dem kalifornischen Unternehmen Crime Scene Cleaners übernommen. In den USA boomt das blutige Business. "Bisher gibt es in Deutschland wenige spezialisierte Firmen", sagt Detlef Stange, Geschäftsführer der Gebäudereiniger-Innung Hessen. Tatortreiniger ist kein staatlich anerkannter Beruf.
Müller, gelernter Desinfektor und Schädlingsbekämpfer, summt laut vor sich hin, während er Verdickungsmittel über den Blutfleck kippt. Es sieht aus wie Katzenstreu. Seine Kollegen Andreas Keller, 26, und Kevin Krotzenna, 19, wienern das Parkett, kehren auf, schrubben Sitzkissen, entsorgen Gewebereste, desinfizieren Oberflächen und waschen Blutspuren von der zartgelben Wand. Die gröbste Arbeit ist getan. Zeit für eine Pause.
Müller lässt sich auf die schweren Metallkisten mit dem Werkzeug fallen, streift die Handschuhe ab und raucht einen Vanille-Zigarillo. Währenddessen lässt Keller, der Kaufmann gelernt hat, seinen Blick über das Bücherregal schweifen. "Nur mal gucken, wie der Mensch so gelebt hat. Aber man darf nicht anfangen nachzudenken." Müller und sein Team sind Pragmatiker, keine Grübler.
Plötzlich ertönt Musik in der Wohnung
Wenn Martin Müller spricht, fallen die Umwege auf, die seine Worte nehmen. Es ist eine Sprache zwischen pornografischer Direktheit und professioneller Sterilität, zwischen "Soßenfleck" und "Zentralauslaufpunkt".
Plötzlich ertönt Musik in der Wohnung. "Warst du das?", fragt Müller mit suchendem Blick durch den Raum. "Nein - wahrscheinlich die Zeitschaltung vom Radiowecker", sagt Keller.
Müller, 1,95 Meter groß, erinnert sich, wie er im Dunkeln einer Messie-Wohnung durch bauchnabelhohes Gerümpel stapfte und plötzlich der Anrufbeantworter anging: "20 Sekunden lang waren Geisterstimmen zu hören, das war vielleicht mysteriös."
Der gebürtige Schwabe hat allein im vergangenen Jahr 250 Tatorte gesehen. Er macht den Job jetzt seit 17 Jahren, direkt nach dem Abitur hat er angefangen.
Mumifizierte Männer und Beilmörder
Müller spricht selten über seinen Beruf, nennt sich lieber "Privatier" - nicht weil er sich schäme, sondern weil die Erlebnisse seiner Arbeitswelt die Vorstellungskraft Außenstehender weit überstiegen. Müller verfügt über ein beachtliches Repertoire gruseliger Geschichten von mumifizierten Männern und Beilmördern. Mit klinisch-lexikalischer Genauigkeit kann er den Verwesungszustand von Leichen beschreiben und verstreute Körperteile identifizieren. "Das ist der Gehörgang", sagt er zum Beispiel über die knöchernen Teilchen auf dem Boden eines Hauses, in dem sich ein Mann mit einer Schrotflinte das Leben nahm.
Stößt man in dem Job nicht irgendwann an Grenzen? Manchmal schon, "vor allem, wenn Kinder involviert sind", sagt Müller. Zweimal im Jahr erstellt der firmeneigene Seelenklempner ein psychologisches Profil aller Mitarbeiter.
Langsam dringt Tageslicht in die Berliner Altbauwohnung, und tiefe Ringe werden unter Müllers Augen sichtbar. Es ist sein dritter Tatort innerhalb von 25 Stunden. Mit einem Fugenkratzer schabt er die Rillen im Parkettboden aus, überprüft Türrahmen und Fußleisten nach "Spritzerchen". Dann holt er die Vernebelungsmaschine. Der Dunst tilgt den Geruch und desinfiziert.
Andreas Keller greift den Hausmüll des Verstorbenen, dann verlassen sie die Wohnung, nach sieben Stunden. Gemeinsam hieven sie die blauen Müllsäcke in den Einsatzwagen, den sie "Stinker" getauft haben. Ein Stück von der Belastung, die ein Todesfall mit sich bringt, fährt jetzt in dem Wagen zur nächsten Müllverbrennungsanlage.
Wichtig sei, sagt Müller, "dass die Leute vergessen können. Wir beseitigen die Spuren am Tatort, aber wir löschen auch die schrecklichen Bilder aus den Köpfen."
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