Dienstag, 6. Juli 2010

Vereinigte Arabische Emirate: Ein Prinz zu viel

Christoph Schult und Alexander Smoltczyk

Mit einer millionenschweren PR-Kampagne kämpft ein verstoßener Scheich um die Macht im Golf-Emirat Ras al-Chaima - und versucht, westliche Medien und Politiker zu manipulieren.

Der greise Herrscher liegt im Sterben, nacheinander treten die Söhne an sein Krankenbett, darunter auch der seit langem verstoßene Erstgeborene. Alle versuchen sie, ihren Anteil an seinem Reich zu bekommen. Der verstoßene Sohn will sogar das ganze Erbe für sich allein zurück. Doch der Alte erkennt seine Söhne schon nicht mehr. Verwechselt Mohammed mit Faisal und Chalid mit Saud.

Was sich derzeit hinter der streng bewachten Tür des Krankentrakts A im "Scheich Chalifa"-Krankenhaus von Abu Dhabi abspielt, ist der Stoff für Shakespeare-Dramen. Nur dass es um Weltpolitik geht, nicht bloß um eine Hofintrige.

Seit Ende April liegt Scheich Sakr Bin Mohammed Al Kassimi auf der Intensivstation, Herrscher seit 62 Jahren über das so unbekannte wie strategisch bedeutsame Emirat Ras al-Chaima. Über 90 Jahre soll der Scheich sein und damit der älteste Monarch der Welt. Nun aber todkrank, mit streitenden Söhnen am Sterbebett.

Ras al-Chaima ist das nördlichste der sieben vereinigten Emirate, 100 Kilometer von Dubai entfernt, in unmittelbarer Nähe der Straße von Hormus gelegen, der Meerenge, durch die täglich 17 Millionen Barrel Rohöl transportiert werden. Das ist auch der Grund, warum die Erbfolgekämpfe von Ras al-Chaima selbst in Washington verfolgt werden.

Das Emirat macht seit einiger Zeit sonderbare Schlagzeilen. Ras al-Chaima sei ein Knotenpunkt für den illegalen Handel mit Iran, berichten Zeitungen in den USA, in Israel und Kanada. Die Regierung fördere Teherans Atomprogramm, auch diene das kleine Reich als Operationsbasis für iranische Terrorzellen. Diese hätten etwa versucht, das höchste Gebäude der Welt zu sprengen, den Burdsch Chalifa in Dubai. Wegen der unklaren Sicherheitslage sei überdies die Segelregatta America's Cup vor Ras al-Chaima abgesagt worden.

Diese Schlagzeilen sind vermutlich aber kein Zufall, sondern Teil einer hochprofessionellen Lobby- und Medienkampagne, die der vor sieben Jahren als Kronprinz abgesetzte Scheich Chalid Bin Sakr gegen seinen Bruder Saud führt. Chalid will sich als Mann Washingtons aufbauen und durch Warnungen vor der iranischen Gefahr sein Emirat zurückgewinnen.

Warum Chalid 2003 abgesetzt wurde, drang nie an die Öffentlichkeit. Fest steht nur, dass ihm in seiner bis dahin mehr als 30-jährigen Zeit als faktischer Herrscher nicht gelang, was sein jüngerer Bruder und Nachfolger Saud in den fünf Boom-Jahren danach schaffte: aus dem Emirat ein kleines Dubai zu machen.

"100 Prozent steuerfrei - 100 Prozent Eigentum"
Gleich hinter der Landesgrenze wirbt eine Tafel mit den wesentlichen Vorzügen des Emirats für seine Freihandelszone: "100 Prozent steuerfrei - 100 Prozent Eigentum".

Am Strand reihen sich die Bettenburgen, eine Art Costa Brava am Persischen Golf. Entlang der Straßen funkeln Shopping-Malls, Autohäuser, Hotels und Filialen diverser Handelsfirmen. Bisweilen hängt an Häuserwänden das Bild eines bärtigen, ein wenig an den Beatle Ringo Starr erinnernden Mannes mit Ray-Ban-Sonnenbrille: Das ist der geliebte Herrscher, Scheich Sakr, in jüngeren Jahren.

Es hat viel Geld gekostet, gegen dieses blühende Emirat so viel Stimmung zu machen, dass manche es in Washington mittlerweile als eine Art Schurkenstaat sehen.

Scheich Chalid, der gestürzte Kronprinz, hat das Geld. Mit professioneller PR gelang es ihm, amerikanische Abgeordnete, Senatoren und Diplomaten zu überzeugen, das kleine Ras al-Chaima sei in Wahrheit der willige Helfer des Mullah-Regimes in Teheran.

Die Kampagne erinnert an den Fall des Irakers Ahmed Tschalabi, Gründer des oppositionellen "Irakischen Nationalkongresses" im Exil. Nach dem 11. September 2001 redete er der US-Regierung ein, der irakische Diktator Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen und stecke mit al-Qaida unter einer Decke - frei erfundene Märchen, wie nach der US-Invasion in den Irak von Journalisten wie Bob Woodward aufgedeckt wurde. Tschalabi hatte sich der Hilfe einer prominenten Washingtoner PR-Firma bedient: Black, Kelly, Scruggs & Healey.

Auch Scheich Chalid ließ sich in der US-Hauptstadt zunächst als deren Kunde registrieren. Im Juli 2008 schloss er einen Vertrag mit der Agentur California Strategies. Er zahlte seither mehr als 3,7 Millionen Dollar an sie. Die PR-Firma verpflichtete sich, eine "diplomatische Kampagne" zu planen, die Scheich Chalid als "positive Führungspersönlichkeit" aufbaut.


"Die Geschichte ist jetzt draußen und beginnt sich auszubreiten"
Und so geschieht es. Um in den USA bekannt zu werden, lässt Scheich Chalid in Zeitungen auf ganzseitigen Anzeigen sein Foto drucken. Nach der Wahl von Barack Obama fahren in Washington Stadtbusse mit seinem Gesicht herum: "Glückwunsch, Präsident Obama", steht da zu lesen. Unterzeichnet mit "Seine Hoheit Prinz Chalid, Kronprinz und Vize-Herrscher, Ras al-Chaima".

Die Agentur lässt ein Dossier schreiben, in dem behauptet wird, das Emirat beherberge "mehr als 600 Firmen", die im Besitz von Iranern seien. Im Anhang der Studie werden allerdings nur 111 Firmen genannt. "Die Fakten sind auf der Seite Seiner Hoheit Scheich Chalid", schreibt Jason Kinney von California Strategies dem SPIEGEL auf Anfrage. Woher die Informationen über die übrigen 489 Firmen kommen, erklärt er nicht.

Mitte September 2009 tauchen dann Meldungen über einen angeblichen Anschlagsversuch auf das höchste Gebäude der Welt, den Burdsch Chalifa in Dubai, auf. Auslöser ist ein Artikel der israelischen Tageszeitung "Maariv" vom 15. September. Darin nennt Reporter Jacki Hugi Ras al-Chaima als Operationsbasis der Terrorzelle und die iranischen Revo-lutionswächter als wahrscheinlichen Auftraggeber. Herkunft der Nachricht: "westliche Quellen". Die Regierung der Vereinigten Emirate dementiert, dass es einen solchen Plan je gegeben habe. Reporter Hugi erklärt, er könne nichts zu seinen Quellen sagen. Auf die Frage, ob er von California Strategies benutzt worden sei, antwortet er: "Wir Journalisten werden von unseren Quellen doch tagtäglich instrumentalisiert."

Noch am selben Tag berichtet Chef-Lobbyist Jason Kinney dem Anwalt von Scheich Chalid in einer E-Mail, die Story sei erfolgreich "platziert" worden. "Die Geschichte ist jetzt draußen und beginnt sich auszubreiten", schreibt der Anwalt daraufhin an Scheich Chalid: "Das ist der Anfang von Sauds Ende." Aus E-Mails, geht außerdem hervor, dass sich Vertreter von California Strategies mit verschiedenen Journalisten namhafter amerikanischer Medien getroffen haben.

Ende des Jahres gelingt es den Lobbyisten, Ras al-Chaima die Austragung des America's Cup zu entreißen, des ältesten und renommiertesten Segelwettbewerbs der Welt. Das Team Alinghi hat die Küstengewässer vor Ras al-Chaima gewählt, um den Titel im Februar 2010 gegen das amerikanische Team BMW Oracle Racing zu verteidigen.

Kurz darauf stellt California Strategies ein "America's Cup Dossier" zusammen. Darin behauptet die Agentur, zwischen Ras al-Chaima und Iran bestünden enge Beziehungen. Das Dossier übergeben sie mehreren Journalisten, unter anderen Bernie Wilson, dem Sportreporter der Nachrichtenagentur AP in San Diego. "Ich fühle mich von California Strategies instrumentalisiert", sagt Wilson dem SPIEGEL. Zwar habe ihn California Strategies kontaktiert, seine Informationen aber habe er hauptsächlich von BMW Oracle bezogen. Doch auch BMW Oracle war von den Lobbyisten mit dem "America's Cup Dossier" gefüttert worden. Im Dezember entscheidet ein New Yorker Gericht, dass der Segelwettbewerb aus Satzungsgründen nicht in Ras al-Chaima ausgetragen werden dürfe.

Um seinen Plan voranzutreiben, verschafft California Strategies seinem Auftraggeber auch Termine bei Spitzenpolitikern, so mit der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und - noch im US-Wahlkampf - mit der zukünftigen Außenministerin Hillary Clinton. Selbst der israelische Botschafter in London, Ron Prosor, empfängt den Scheich und empfiehlt ihn weiter an die Pro-Israel-Lobby Aipac in Washington. Auf entsprechende Nachfragen reagiert Prosor empfindlich. "Kein Kommentar", lässt er seinen Sprecher ausrichten.

"Das Interesse der US-Regierung geweckt"
In einem internen Memorandum vom 11. Dezember 2009 ziehen die Berater von California Strategies schließlich eine positive Zwischenbilanz. Scheich Chalid habe "das Interesse der US-Regierung geweckt", während "das derzeitige Regime des Emirats in einem sehr negativen Licht dargestellt wurde".

Für das Jahr 2010 schlagen die Berater vor, das Emirat weiter mit Iran in Verbindung zu bringen. Der Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi solle so in die Enge getrieben werden, dass er sich am Ende entscheiden müsse, ob er weiterhin das derzeitige Regime in Ras al-Chaima unterstütze "oder einen Wechsel betreibt".

Nur in Ras al-Chaima selbst ist von diesen Machtspielen weder die Rede noch etwas zu spüren. Die Geschäfte gehen gut, die Hotels sind ausgebucht, die Shopping-Malls wuchern auf dem roten Wüstenboden des Emirats.

Der Clan des alten Scheichs Sakr Al Kassimi scheint sich der Unterstützung der anderen Emirate sicher. Die Herrscher von Abu Dhabi und Dubai haben dem Sterbenden ihre Aufwartung gemacht. Der verstoßene Sohn, Prinz Chalid, konnte das Krankenzimmer seines Vaters dagegen nur in aller Heimlichkeit betreten und unter Polizeischutz.

Er jedenfalls setzt weiterhin sein Vertrauen darauf, dass die Bemühungen seiner kalifornischen Freunde ihre Wirkung zeigen, solange der alte Monarch noch in seinem Krankenzimmer dahinsiecht.

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