Mittwoch, 28. Juli 2010

Gott ist gescheitert



Für Diego Maradona war es der Job seines Lebens: Nationaltrainer von Argentinien. Er legte Wert auf Herzblut und Motivation, Intuition war ihm wichtiger als Planung und Taktikschulung. Das konnte nicht gutgehen.


Als Julio Grondona sein Amt als Chef des argentinischen Fußballverbandes angetreten hat, war Diego Armando Maradona gerade einmal 17 Jahre alt. Grondona ist seit der Heim-Weltmeisterschaft 1978 in Amt und Würden, ein mächtiger Strippenzieher, mit seiner Leibesfülle und seinem Machtinstinkt ein Funktionär wie aus dem Klischee-Album. Acht Trainer hat Grondona im Laufe seiner 32 Amtsjahre angeheuert, bis zum Dienstag war keiner dabei, dem er den Stuhl vor die Tür setzen musste. Alle gingen von selbst. Bis auf Maradona. Selbst im Abgang ist der Fußballgott "El Diéz" einmalig.

Maradona hat 20 Monate amtiert. In dieser Zeit hat er das gemacht, was er am besten kann: Schlagzeilen produziert. Ob er im Vorfeld der WM 100 neue Spieler ausprobierte, nominierte und wieder nach Hause schickte, ob er nach der mit Hängen und Würgen gelungenen WM-Qualifikation die Journalisten auf das Übelste beleidigte, ob er mit dicker Zigarre auf dem Trainingsgelände auftauchte - Maradona war auch als Nationaltrainer immer anders als alle anderen. Genau das hat ihn ausgemacht, genau das hat ihm allerdings am Ende auch den Job gekostet.

Taktik hat den 49-Jährigen nicht besonders interessiert, in nächtelanger Kleinarbeit ein Konzept auszutüfteln, wie die gegnerische Mannschaft auszutricksen sei, so etwas hat ihn nicht gereizt. Defensivarbeit hat ihn gelangweilt. Motivation, Herzblut - das sind die Kategorien, in denen Maradona denkt - und es gab Momente bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, in denen man glaubte, dass dies ausreichen könnte, um die Argentinier bis zum Titelgewinn zu tragen. Die Fußball-Millionäre von heute, die Messis, Tévez' und Higúains, schienen angesteckt von der Begeisterung, die Maradona vorlebte. Von der Gefühligkeit, die an der Seitenlinie herrschte, von all dem Geherze, Geknuddel und Geknutsche.

Joachim Löw und sein Team haben all das als Budenzauber entlarvt.

Im Viertelfinale gegen Deutschland ist das System Maradona an seine Grenzen gelangt. Gegen eine Mannschaft, deren Trainerstab die Schwächen der Argentinier genau analysiert hat, die die Gnade des frühen Tores hatte und zudem körperlich und konditionell im Vorteil war, war Argentinien mit all seinen hochveranlagten Spielern ratlos, hilflos, kraftlos. Die emotionale Ansprache allein macht noch keinen Weltmeister. Das musste ein Jürgen Klinsmann 2006 erfahren, das hat Maradona noch brutaler vier Jahre später erlebt.

Eine Welt von Gefallen und Gegen-Gefallen
Grondona hat die Defizite der argentinischen Mannschaft sehr genau erkannt und nach dem Turnier verlangt, Maradona solle einige seiner Assistenten auswechseln. So zum Beispiel den Fitnesstrainer Fernando Signorini, der für den beklagenswerten körperlichen Zustand der Weiß-Blauen in Südafrika verantwortlich war. Oder Maradonas Co-Trainer Alejandro Mancuso, dem Schwächen im menschlichen Umgang mit den Spielern attestiert wurden. Beide sind alte Kumpel Maradonas, beide haben ihm in der traurigen Endphase seiner Karriere, als der Star schon ein Altstar war, dick und drogensüchtig, zur Seite gestanden.

So etwas vergisst ein Diego Maradona nicht. Freundschaft, Netzwerke. Einer hilft dem anderen, Gefallen gegen Gegen-Gefallen - das ist die Welt, die er um sich aufgebaut hat. Es gehört zur inneren Logik von Maradonas Denken und Handeln, dass er lieber seinen Job riskiert, als seine Buddys im Stich zu lassen. Es heißt, Verteidiger Gabriel Heinze habe vor allem deswegen einen Stammplatz in Argentiniens Team sicher gehabt, weil Heinzes Bruder Sebastián ein Geschäftspartner Maradonas sei.

Dem Trainer Maradona fehlte all das, was einen vermeintlich modernen Coach ausmacht. Ihm ging jegliche kühle Vernunft ab, jegliche akribische Planung. Er war der Anti-Löw. Oder noch mehr der Anti-Bierhoff. Von Maradona hätte man nie von "Konzeptfußball" gehört und davon, dass man "gegen den Ball arbeiten" müsse. Wenn ein Trainer Maradona letztlich Erfolg gehabt hätte, hätte dies all die Taktikprofessoren, all die Tüftler und Video-Studierenden, die so tun, als sei Fußball eine Wissenschaft so wie die Astrophysik, blamiert. Es wäre ein Sieg des Irrationalen gewesen, ein Triumph der Intuition über den Plan. Viele Fans hätte das gefreut. Aber Fußball ist nicht mehr so.

Mit jeder Faser Nationaltrainer
Deutschland wurde 1990 noch Weltmeister mit einem Trainer, der seine Profis lediglich aufforderte: "Gehts raus. Spielts Fußball!" Der Mann hieß Franz Beckenbauer und war wohl der deutscheste Maradona, den der DFB als Trainer je hatte. Ähnlich unvernünftig in einem guten Sinne, ähnlich verliebt in das Spiel, ein Stimmungsmensch. Aber Beckenbauer hatte damals ein Team um sich herum, das die Arbeit erledigte, das die Fitness der Spieler gewährleistete, für das taktische Verständnis sorgte, für Disziplin und Struktur auf und neben dem Platz. All das fehlte Maradona. So konnte Argentinien nicht Weltmeister werden.

Man merkte Maradona an, dass er mit jeder Faser Nationaltrainer war. Er fühlte sich berufen, es war für ihn wie selbstverständlich, dass ihm dieser Job irgendwann zufallen würde. Man kann sich im Grunde jetzt kein neues Amt mehr für Diego Armando Maradona vorstellen. Nichts, was ihn nur annähernd so ausfüllen könnte. Er wird möglicherweise wieder zwischen Fidel Castro und Hugo Chavez hin- und hertingeln, den Machthabern auf Kuba und in Venezuela, die er zu seinen engsten Freunden zählt. Er wird ein paar verächtliche Sprüche über seinen Nachfolger machen, aber er hat seine Aufgabe verloren. Möglicherweise wird er wieder als argentinischer Edelfan bei einem Turnier auftauchen.

Diego Maradona war auf einer Mission. Die Mission ist gescheitert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen