Sonntag, 28. Februar 2010

Streit um EU-Antibetrugsbehörde

Frau Gräßles Kampf gegen die Kommissare

Von Hans-Jürgen Schlamp, Brüssel
Eine umtriebige Abgeordnete aus dem Schwabenland hat einen folgenschweren Streit mit der EU-Kommission angezettelt: Arbeitet die Antibetrugsbehörde ohne Rechtsgrundlage, weil ihr Interimschef ohne Parlamentsvotum bestimmt wurde? Hunderte Verfahren gegen Korruption könnten auf der Kippe stehen.
Inge Gräßle, 48, CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament, ist eigentlich eine Frau, die gerne lacht. Aber sie sitzt im Haushaltskontrollausschuss und sie ist Schwäbin: Das macht sie zwangsläufig zur Spaßbremse in Brüssel. Wenn Inge Gräßle mailt, schreibt, anruft, vergeht der Führungsetage der Brüsseler Kommission regelmäßig die gute Laune.
So stieß sie neulich auf die Stellenausschreibung eines Direktorenpostens - 33 Zeitungsinserate in 27 EU-Ländern und allen 23 EU-Amtssprachen. 109.000 Euro habe die gekostet, fand sie schnell heraus, empörte sich und machte das auch noch publik. Die Eurokraten in ihrem gigantischen Hauptquartier finden das einfach "grässlich".
Derzeit erregt sich die schwäbische Pfennigfuchserin besonders über die Vorgänge beim Amt für Betrugsbekämpfung. Für diese Behörde ist sie Berichterstatterin im Haushaltskontrollausschuss und sie findet, dass dort derzeit einiges ganz gewaltig schief läuft.
Anfang des Jahres starb der Generaldirektor dieser sensiblen Behörde, der Deutsche Franz Hermann Brüner. Der Ex-Staatsanwalt leitete das Amt seit der Gründung 1999. Damals erschütterten schwere Korruptionsskandale die EU-Institutionen, die zum Rücktritt der gesamten Kommission führten. Um fortan Betrug, Misswirtschaft und Korruption zu Lasten europäischer Steuerkassen besser verhindern oder wenigstens effizienter ahnden zu können, wurde "Olaf" geschaffen, so genannt nach der französischen Bezeichnung "Office Européen de Lutte Anti-Fraude", zu deutsch: Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung. Und weil die dort tätigen Aufpasser und Ermittler besondere Freiheiten haben sollten, auch innerhalb der EU-Institutionen ans Werk zu gehen, wurde für den Amtschef ein ganz spezieller Status erfunden.
"Glatter Rechtsbruch"
Anders als sonstige Generaldirektoren der EU-Verwaltung, die von der Kommission benannt werden, muss der Olaf-Vormann "im Einvernehmen" von Kommission, Rat - das ist der Kreis aller 27 EU-Mitgliedstaaten - und Parlament bestimmt werden. Dermaßen breit verankert darf der Olaf-Chef allein entscheiden, was seine Leute untersuchen sollen, ob er Verfahren einstellt oder ob er Staatsanwaltschaften und Gerichte einschalten will. Nur er darf das, kein anderer in der Behörde, nicht einmal die Behörde als Institution, nur der Chef in Person. Und da entzündet sich nun ein Streit, der so typisch ist für die Eifersüchteleien der EU-Institutionen, der von außenstehenden Nicht-Juristen nur schwer zu begreifen ist - der aber dennoch schwerwiegende Folgen haben kann.
Als Brüner starb, erklärte die EU-Kommission kurzerhand dessen Stellvertreter Nick Ilett zum Übergangschef, bis ein ordentlicher Brüner-Nachfolger gefunden ist. Denn die Suche werde voraussichtlich schwierig, bis ein von allen akzeptierter Kandidat gefunden werde, könne gut ein Jahr vergehen. Und so lange könne das Betrugsamt ja nicht kopflos bleiben. Das klingt verständlich, sei aber "glatter Rechtsbruch", sagt Inge Gräßle, und viele mit der Sache befassten Parlamentarier und Experten stimmen ihr zu. Solange der Stellvertreter nicht von Rat und Parlament akzeptiert sei, "sei dessen Ernennung nicht rechtsgültig".
Schnelles und einfaches Verfahren
Die Folge wäre fatal, das sieht ein besorgter Olaf-Ermittler, der anonym bleiben will, genauso: "Alles, was wir jetzt tun, jede Ermittlung, jedes Bußgeld, das darauf fußt, haut uns der Europäische Gerichtshof weg, sobald jemand klagt." Ein paar hundert Verfahren stehen auf der Kippe, weil der amtierende Olaf-Generaldirektor womöglich nicht legal im Amt ist. "Wie auf eine kranke Kuh", habe Gräßle auf den zuständigen Kommissar, den Litauer Algirdas Semeta, diese Woche im zuständigen Parlamentsausschuss eingeredet. Aber der wolle einfach nicht hören.
Dabei sei das Parlament bereit, den Posten in einem schnellen, einfachen Verfahren "rechtlich sauber" zu besetzen. Dafür will es natürlich bei der Auswahl des Kandidaten mitreden. Das hält auch der juristische Dienst des Parlaments für den einzig richtigen Weg. In seinem Gutachten vom 27. Januar 2010 heißt es, zusammengefasst: Der Interimschef müsse nach gleichen Regeln bestimmt werden wie zuvor Generaldirektor Brüner, so wie es Artikel 27 der einschlägigen Vorschrift verlange. Die Kommission müsse sich deshalb schleunigst mit Rat und Parlament "abstimmen".
Die denkt aber nicht daran, sich vom Parlament reinreden zu lassen. Es gebe kein juristisches Problem, behauptet die Kommission und beruft sich auf ihre eigenen Hausjuristen. "Kein Grund zur Sorge", verkündet die irische Generalsekretärin und "starke Frau" der EU-Kommission. So riskiere die Kommission, warnt die konfliktfreudige Schwäbin Gräßle, "dass in ein, zwei Jahren ein Millionen-Bußgeld platzt oder ein Verfahren gegen die Mafia annulliert wird".
Sollte das so kommen, könnte es ganz schwer werden für den litauischen Kommissar, seine 25 Kollegen und ihren portugiesischen Präsidenten José Manuel Barroso.

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