Lang hat die Kanzlerin die Debatte laufen lassen. Jetzt griff sie den FDP-Chef im Koalitionsausschuss scharf an. Es sei befremdlich, wie er sich als einziger Reformmotor der Regierung geriere, schimpfte sie. Danach war klar: In der Bundestagsdebatte über Hartz IV wird Westerwelle nicht reden.
Merkel und Westerwelle diskutieren, doch bald soll sachlich miteinander geredet werden
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren Koalitionspartner und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) nach Berichten von Teilnehmern im Koalitionsausschuss wegen der Debatte über Hartz IV scharf zurechtgewiesen. Westerwelle hatte sich beklagt, er sei in seiner Kritik an der Effizienz des deutschen Sozialstaats von der Union nicht genügend unterstützt worden.
Merkel gab daraufhin zurück, es sei einigermaßen befremdlich, dass Westerwelle sich als der einzige Reformmotor in der Regierung geriere, wenn in Wahrheit doch alle von ihm angesprochenen Probleme mit Hartz IV längst im gemeinsam beschlossenen Koalitionsvertrag thematisiert worden seien.
Auch sei ihr zu Ohren gekommen, die FDP plane ein Eckpunktepapier zu Hartz IV, habe Merkel spitz gefragt. Ob man das nicht besser gemeinsam verfassen solle? Westerwelle habe darauf ebenso spitz geantwortet, ihm sei in den vergangenen Tagen ständig von Unionspolitikern vorgehalten worden, er solle doch konkret sagen, was genau er mit Hartz IV machen wolle. „Was gilt denn nun?“, habe Westerwelle süffisant gefragt.
In der FDP wertet man den Koalitionsausschuss als Erfolg. Es sei durch Westerwelles Intervention gelungen, die Vorhaben zu Hartz IV zu beschleunigen. Eine Kommission, vermutlich aus Fachpolitikern der Fraktionen, soll noch im März die Arbeit aufnehmen, um Themen wie die Pauschalierung von Unterkunftszahlungen und Steuerzuschüssen, Zuverdienstmöglichkeiten und Minijobs neu zu regeln. Schon im Juni sollen erste Vorschläge vorliegen. Mit endgültigen Beschlüssen wird aber nicht vor Herbst gerechnet. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, beschrieb die Atmosphäre im Koalitionsausschuss trotz aller Spitzen als konstruktiv und sachorientiert, geradezu ein „Frühlingserwachen“.
Neben der Debatte über Hartz IV hatte man über die Fotovoltaik gesprochen. Die Überförderung dieser Branche soll zurückgefahren, die Technologie aber ausgebaut werden. Einig sei man sich zudem über die Zukunft der Jobcenter und die Mindestlöhne bei Dachdeckern und Gebäudereinigern geworden.
Die Bundesregierung will die für diesen Donnerstag anberaumte Bundestagsdebatte über Hartz IV dazu nutzen, die Diskussion über die Zukunft des Sozialstaats zu versachlichen. Sprechen soll die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die sich bereits von den Äußerungen Westerwelles distanziert hat.
Westerwelle wird wohl nicht als Redner auftreten. Für die vom FDP-Chef geforderte „richtig große Debatte“ über Hartz IV, meinte zumindest gestern der CSU-Landesgruppenvorsitzende Hans-Peter Friedrich, sei der richtige Zeitpunkt die Aussprache über den Kanzleretat am 17. März im Rahmen der Haushaltswoche.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat unterdessen „Teilhabepakete“ für Kinder aus Hartz-IV-Familien vorgeschlagen. Eltern sollten über das Jobcenter für ihr Kind einen sogenannten Stadtausweis erhalten. Dieser sollte die Mitgliedschaft in einem Sportverein, die Nutzung öffentlicher Bibliotheken, Volkshochschulkurse, Musikstunden und den vergünstigten Eintritt für Schwimmbäder und Museen ermöglichen. Den unter anderem von der SPD geforderten Ausbau kommunaler Beschäftigungsmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger sieht der Städte- und Gemeindebund dagegen kritisch.
Das bisherige Volumen von 700.000 Stellen sei nicht beliebig erweiterbar, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Stephan Articus. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sprach sich derweil dafür aus, die Arbeitsanreize für sogenannte Hartz-IV-Aufstocker zu verbessern. Derzeit verdienten rund 57 Prozent der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfänger weniger als 400 Euro brutto im Monat, teilte das Institut am Dienstag in Köln mit. Höhere Freibeträge sollten die derzeitigen Hinzuverdienstregelungen ersetzen, die Mehrarbeit eher verhinderten.
So soll nach dem IW-Modell ein monatliches Einkommen von bis zu 200 Euro vom Arbeitslosengeld-II-Anspruch abgezogen werden. Berücksichtigt würde nur ein Grundfreibetrag von 20 Euro. Dafür blieben vom darüber hinausgehenden Einkommen 40 Prozent anrechnungsfrei – bis zu einem Bruttoeinkommen von 1000 Euro, ab dem wieder der geltende Freibetrag von zehn Prozent angewendet würde.
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