Kanzlerin Angela Merkel hat sich in der Debatte um Hartz IV von der Wortwahl von FDP-Chef Guido Westerwelle distanziert. "Das ist sicher weniger der Duktus der Kanzlerin", sagte Vize-Regierungssprecherin Sabine Heimbach zu Westerwelles Äußerungen. Inhaltlich wollte die Merkel-Sprecherin die Aussagen nicht kommentieren. Vizekanzler Westerwelle hatte nach dem Karlsruher Urteil erklärt, die Debatte zur möglichen Anhebung der Hartz-IV-Sätze trage "sozialistische Züge".
Es gehe um "eine Stellungnahme innerhalb einer parteipolitischen Diskussion". In der Bundesregierung bestehe aber Einvernehmen darüber, dass es jetzt um eine schnelle Umsetzung des Hartz-IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts gehe. Westerwelle hatte in einem Beitrag für die "Welt" geschrieben: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." Kleine und mittlere Einkommen dürften nicht länger "die Melkkühe der Gesellschaft" sein, legte er in der "Passauer Neuen Presse" nach.
Hartz-IV-Urteil Westerwelle will an Steuersenkungen festhalten
Westerwelle Lautsprecher mit Aussetzern
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"Geistiger Sozialismus"
Von meiner Kommentierung dieser Debatte habe ich keine Silbe zurückzunehmen", sagte Westerwelle dem Blatt. "Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus", sagte er. Die wütenden Reaktionen aus dem linken Lager zeigten doch, dass er den Finger in die Wunde gelegt habe.
"Leistung muss sich lohnen"
"Für viele Linke ist Leistung ja beinahe eine Form von Körperverletzung. Dagegen wehre ich mich", erklärte der Außenminister. Wer seinem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspreche, sorge dafür, dass man alles verliere, sagte Westerwelle. "Deswegen mögen mich die Sozialdemokraten aller Parteien kritisieren, es bleibt dabei: Leistung muss sich lohnen, und es gibt keinen Wohlstand ohne Anstrengung und Leistung."
Beck fordert Entschuldigung
Heftige Kritik an den Äußerungen des FDP-Chefs kam von der Opposition und den Gewerkschaften. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck forderte Westerwelle auf, sich bei Hartz-IV-Empfängern zu entschuldigen. Dessen Äußerungen seien "empörend", sagte Beck am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Wer so etwas sagt, hat die Lebensrealität der Menschen völlig aus dem Auge verloren. Ich finde, da ist eine Entschuldigung fällig", sagte der SPD-Politiker.
Die Maske fällt
"Jetzt lässt Guido Westerwelle die Maske fallen", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske der "Passauer Neuen Presse". Sozialleistungen seien keine Gnadengabe, sondern Verpflichtung eines demokratischen Rechtsstaats, der die Menschenwürde garantiert. Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte Westerwelle. "Wenn er in Zusammenhang mit Hartz IV von spätrömischer Dekadenz spricht, beleidigt Herr Westerwelle Millionen Langzeitarbeitslose in Deutschland", sagte sie der Zeitung.
Sommer: "Unangemessen für einen Vizekanzler"
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte den Dortmunder "Ruhr Nachrichten": "Es ist für einen Vizekanzler unangemessen, Millionen von Hartz-IV-Beziehern so zu diffamieren." Vielmehr wäre es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die soziale Balance erhalten bleibe.
Bundesverfassungsgericht beschloss Neuberechnung
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist bei der Nachberechnung der Hartz-IV-Sätze für Kinder "entschlossen, neue Wege zu gehen". Sie sagte der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", das Bundesverfassungsgericht habe "sehr deutlich gesagt, dass wir bei Bildung auch Sachleistungen und Dienstleistungen anbieten können. Der Bund muss nicht direkt das Geld an die Familien geben, sondern kann ein Netzwerk der Hilfe aufbauen." Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag entschieden, dass die Bundesregierung die Regelsätze für alle gut 6,5 Millionen Hartz-IV-Bezieher neu berechnen muss.
Unterschiedliche Sätze für Geschwister?
Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) forderte unterschiedliche Sätze für Geschwisterkinder. "Wir sollten nun auch überlegen, ob für das zweite und dritte Kind der gleiche Bedarf besteht, wie für das erste Kind", sagte sie der "Passauer Neuen Presse". Denn es gebe Kosten, die nicht für jedes weitere Kind in vollem Umfang neu entstehen, wie Fläschchenwärmer, Kinderwagen oder Autositz. "Die Kleidung der größeren Kinder kann durchaus weitergegeben werden, so wie es in Familien üblich ist." Die Ministerin sprach sich zudem dafür aus, statt reiner Geldleistungen alle Bildungsangebote für Kinder umsonst anzubieten.
Gysi zufrieden
Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, sagte der "Berliner Zeitung", er sei sehr zufrieden, dass das Gericht auf die Teilhabe hingewiesen habe. "Das heißt eben auch", so Gysi, "wie kommen die betroffenen Erwachsenen und Kinder an Bücher, an CDs, wie können sie ins Kino oder ins Theater gehen." Davon hänge auch das Bildungsniveau ab. "Und nicht davon, ob ein Kind mal kostenlos einen Zirkel bekommt, wie Frau von der Leyen das wohl vorschwebt."
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