Schwere Vorwürfe gegen Nonnen des Klosters Lehmen in Rheinland-Pfalz: Die Ordensfrauen sollen in den sechziger Jahren Kinder gezwungen haben, Erbrochenes aufzuessen. Schmutzige Wäsche sei mit Stockschlägen in den Unterleib bestraft worden sein, behaupten Betroffene.
Lehmen/Berlin - "Die Aussagen machen mich betroffen und beschämt, gleichzeitig kann ich es nicht glauben", sagt die Provinzoberin der Karmelitinnen, Schwester Claudia, in Berlin. Sie ist die oberste Vertreterin des Ordens in Deutschland. Die Vorwürfe lassen sich ihrer Meinung nach nicht nachprüfen. "Die Schwestern, die zu der Zeit dort waren, leben nicht mehr und Akten gibt es auch keine", sagt Schwester Claudia, die selbst 1965 für wenige Monate Praktikantin im Heim Lehmen war, aber so etwas nicht erlebt haben will. Bereits 1974 wurde das Kloster geschlossen.
Nonnen sollen Heimkinder gezwungen haben, Erbrochenes aufzuessen. Dreckige Wäsche wurde Zeitzeugen zufolge mit Stockschlägen in den Unterleib bestraft. Und wer sein Bett einnässte, habe stundenlang in eiskaltem Wasser ausgeharrt - so soll es um 1960 im Kinderheim des Klosters Lehmen in Rheinland-Pfalz zugegangen sein. Im Mai 2009 wurden die Vorwürfe im Lehmener Fall erstmals an den Karmelitinnenorden gerichtet.
Für seinen Mandanten Wolfgang Görges bemüht sich der Kölner Rechtsanwalt Thomas Jembrek trotz der schwierigen Beweislage um eine Entschädigung. Görges war als Sechsjähriger nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1960 nach Lehmen gekommen, weil sein Vater mit der Situation überfordert war. "Im Prinzip mache ich die Arbeit eines Detektivs", sagt Jembrek. Auf Akten könne er nicht zurückgreifen. Dafür habe er aber rund 20 ehemalige Heimkinder gefunden, die diese Vorwürfe zumindest in Teilen bestätigen können. "Mittlerweile sind es so viele, dass man es gar nicht bestreiten kann", meint der Anwalt.
Nicht nur der 55-jährige Görges leide bis heute unter dem Erlebten, er habe "psychische Schäden" wie Berührungsängste oder einen Ordnungszwang, sagt Jembrek. Auch andere ehemalige Heimkinder aus Lehmen litten heute unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Der Anwalt will nun den Orden auffordern, sich seiner Verantwortung zu stellen. "Ich will wissen, in welcher Form sie sich eine Entschädigung vorstellen."
Ohne Beweise das Andenken der Schwestern "nicht mit Schmutz bewerfen"
Es gehe ihm um eine "finanzielle Erleichterung" für seinen Mandanten, denkbar sei auch eine Hilfe zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Er will bereits in den nächsten Tagen einen neuen Brief an die Karmelitinnen aufsetzen.
Schwester Claudia wundert sich, dass ihr Gesprächsangebot vom vergangenen Jahr nicht wahrgenommen wurde. Ihre Nachforschungen im Orden und bei Ämtern blieben erfolglos, auch sie konnte keine Akten ausfindig machen. "Und es wurde ja im Zusammenhang mit den Vorwürfen auch bislang kein Schwesternname genannt", merkt die Provinzoberin an. Zudem entdeckt sie Widersprüche in den Darstellungen der mutmaßlichen Opfer. So habe es in Lehmen keine Schlafsäle mit rund 30 Betten gegeben, wie berichtet wurde. Ohne Beweise wolle sie das Andenken der Schwestern "nicht mit Schmutz bewerfen".
Auch der damalige Lehmener Ortsbürgermeister, Klaus Heidger, kann die schweren Vorwürfe gegen das Kloster nicht so ohne weiteres akzeptieren. Nach einem ersten Bericht darüber in der "Rhein-Zeitung" schrieb er an das Blatt, er habe in den sechziger Jahren als Jugendbetreuer des TSV Lehmen "zahlreiche Heimkinder als fröhliche Sprösslinge" erlebt. "Sporadische Verbindungen zu ehemaligen Heimkindern, die als lebensbejahende Bürger heute ihren Alltag meistern, pflegt meine Familie bis in die Gegenwart", hieß es weiter.
Und Schwester Claudia erzählt von einem ehemaligen Heimkind, das den Aufenthalt als "schönste Zeit" seines Lebens bezeichnet. Diese Berichte verunsichern Jembrek bei seinen Recherchen jedoch nicht. Er betont, dass im Kloster unterschiedliche Erfahrungen gemacht wurden. Der Anwalt meint: "Jungs haben deutlich mehr Schläge kassiert."
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