Samstag, 19. September 2009

Südafrikas Lügengebilde im Fall Semenya fliegt auf

Von Christian Putsch

Südafrikas Leichtathletik-Spitze gibt zu, schon vor der Weltmeisterschaft in Berlin einen Geschlechtstest der 800-Meter-Läuferin Caster Semenya angeordnet zu haben. Verbands-Präsident Leonard Chuene setzte den Start der 18-Jährigen aber gegen den Rat des eigenen Teamarztes durch.

13 Seiten umfasste das Statement. Und als der Präsident des südafrikanischen Leichtathletik-Verbands (ASA), Leonard Chuene, fertig gelesen hatte, da stand fest: Im Fall der 800-Meter-Weltmeisterin von Berlin, Caster Semenya, ist ein dreistes Lügengebilde aufgeflogen.

Zweifelsfälle am Geschlecht von Sportlern

Während bisher vor allem der internationale Leichtathletik-Verband IAAF für den Umgang mit Semenyas Geschlechtstest in der Kritik stand, ist nun klar, dass Chuene seine Athletin gegen den Rat des eigenen Team-Arztes hat starten lassen. Mit feinem Schweißfilm auf dem kahlen Haupt gab der Funktionär am Samstag bei einer Pressekonferenz in Pretoria zu, dass Semenya schon vor ihrer Teilnahme bei der WM in Berlin auf ihr Geschlecht untersucht worden war. Dies sei auf Anregung des Team-Arztes Harold Adams geschehen – auf Druck der medizinischen Kommission der IAAF. Bisweilen hatte der südafrikanische Verband behauptet, es habe lediglich einen Test durch den Weltverband während der WM gegeben.

Doch schon am 7. August, einen Tag vor Semenyas Abreise nach Berlin, hat eine dementsprechende Untersuchung in Pretoria stattgefunden – auf Anordnung des südafrikanischen Verbands wohlgemerkt. Adams war mit den Ergebnissen, für die ein Gynäkologe verantwortlich war, vertraut. Nach einer ersten Auswertung empfahl er der Verbandsspitze schließlich, dass die Athletin freiwillig aus dem Wettbewerb gezogen werden solle. Diese Forderung wiederholte das medizinische Team der IAAF bei einem Treffen in Berlin. Noch waren fünf Tage Zeit bis zum 800-Meter-Finale.

Die weltweite Debatte um das Geschlecht eines Teenagers hätte verhindert werden können. Chuene hat bis Samstag konsequent geleugnet, von der Existenz solcher Tests zu wissen. Dabei war er es, der schließlich entschieden hatte, die 18-Jährige entgegen dem medizinischen Rat starten zu lassen. „Ich realisiere nun, dass dies eine fehlerhafte Einschätzung war, und dafür möchte ich mich uneingeschränkt entschuldigen.“ Er habe mit seinen Lügen die Vertraulichkeit der Angelegenheit schützen wollen – und den eigenen Ruf wohl auch, bis es nicht mehr ging: Die Wochenzeitung „Mail&Guardian“ hatte E-Mails an den Funktionär veröffentlicht, die klar bewiesen, dass er im Bilde war. Chuene verteidigte Semenyas Start.

Die Empfehlung des Mediziners habe „auf Gerüchten“ basiert. Medienberichte, denen zufolge bei den Tests sowohl männliche als auch Geschlechtsmerkmale sowie erhöhte Testosteron-Werte festgestellt worden waren, wollte er nicht kommentieren. Es gebe keine offiziellen Ergebnisse. Immer deutlicher wird allerdings, wie Funktionäre unter Erfolgsdruck mit dem Schicksal eines Teenagers aus einer der ärmsten südafrikanischen Provinzen (Limpopo) pokerten. Die mangels klarer Richtlinien überforderten Mediziner der IAAF hatten empfohlen, eine Verletzung Semenyas vorzutäuschen. Ohne ein offizielles Testergebnis konnte der Weltverband einen Startverzicht schließlich nicht erzwingen.

Chuene aber entschied, die Top-Favoritin laufen zu lassen „und die Angelegenheit nach dem Rennen zu diskutieren“. Das Recht dazu hatte er. Die Mitverantwortung für ein Mädchen, das sich nun in psychologischer Behandlung befindet, ebenfalls. Offen ist derweil, ob Semenya selbst von den medizinischen Befunden wusste. Ihr ehemaliger Trainer Wilfred Daniels behauptet, der Verband habe die Athletin in dem Glauben gelassen, es handele sich um normale Dopingtests. Wie realistisch das ist, bleibt fraglich – schließlich wurden offenbar auch Fotos von ihren Genitalien gemacht.

Chuene selbst vermied das Gespräch mit Semenya. Er sei kein Mediziner. Einen Rücktritt, wie von mehreren politischen Parteien gefordert, lehnte Chuene ab: „Das käme einem Davonlaufen gleich.“ Dabei hat sein skandalöses Krisenmanagement Folgen weit über den Sport hinaus: Er begründete den Fall unter anderem mit Neid des Westens und bediente rassistische Feindbilder von Politikern wie dem populistischen Jugendführer der Regierungspartei African National Congress (ANC), Julius Malema.

Dankbar nutzte dieser Semenyas Schicksal für seine Parolen. Und Sportminister Makhenkesi Stofile drohte noch vor wenigen Tagen, es werde „einen dritten Weltkrieg“ geben, wenn Semenya die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen verboten werden sollte. Am Ende überraschte Chuene am Samstag mit einem Achselzucken auf die Frage, wo sich das Ergebnis des von seinem eigenen Verband angeordneten Tests befinde und was es genau besage: „Ich weiß es nicht“, sagte der Präsident – und tischte damit vermutlich die nächste Lüge auf. Für ihn kein Widerspruch: „Ich folge nicht immer den Regeln. Ich folge dem Herzen.“ In Semenyas Ohren dürften diese Worte zynisch geklungen haben.

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