Von Christian Scheuß
In den vergangenen Tagen wurde es immer wieder in der Szene kolportiert: Kommt Schwarz-Gelb, wird es mit Guido Westerwelle erstmals einen offen schwulen Außenminister geben. Der FDP-Chef wird mit Sicherheit am Wahlabend jede Frage nach künftigen Ministerposten abbügeln, doch von der neuen Besetzung des Bundestags her gesehen könnte diese Vision wahr werden.
Auch wenn die Union mit CSU und FDP die Regierung stellen wird, die Partei hat Verluste hinnehmen müssen, mit 33,8 Prozent liegen sie 1,4 Prozent niedriger als 2005. Die SPD (23,0 %) hat 11,2 Prozent verloren, ihr bislang schlechtestes Ergebnis. Allzeithochs haben die kleinen Parteien verbuchen können: FDP 14,6 %, Linke 11,9 %, Grüne 10,7 %. Die Piratenpartei kam immerhin auf 2,0 Prozent.
Die Ziele in Sachen Homopolitik haben die Freidemokraten klar definiert: Die FDP will beispielsweise Eingetragene Partnerschaften und die Ehe gleichstellen, das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben öffnen, Lesben die künstliche Befruchtung erlauben und homophoben Staaten die Entwicklungshilfe streichen. Auch als Außenminister hätte Guido Westerwelle also in diesem Themenfeld genug zu tun. Doch mit Angela Merkel hat er eine Vertreterin der Homo-Skeptiker an der Seite. Weitreichende Emanzipationspolitik ist mit ihr am Ende von Koalitionsverhandlungen nicht zu erwarten. Immerhin: Der FDP-Chef erwähnte in seiner Dankesrede vor seinen Parteianhängern, welche Ziele er in Koalitionsverhandlungen umsetzen will: "Wir müssen dafür sorgen, dass [...] die Bürgerrechte endlich respektiert werden."
Kurz nach dem Wahlsieg der FDP greift der Duisburger Dezernent und Kämmerer Peter Langner (SPD) den designierten Außenminister Guido Westerwelle wegen dessen Homosexualität an.
Bei einer Wahlparty am Sonntagabend erklärte der Sozialdemokrat mit Blick auf den FDP-Chef: "Ich will keinen schwulen Außenminister haben", wie "Der Westen" berichtet. Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) reagierte auf die Aussage von Langner mit Unverständnis: "Was Westerwelle zuhause macht, ist mir egal."
Westerwelle wird erster offen schwuler Bundesminister
Es gilt als so gut wie sicher, dass Westerwelle für die nächsten vier Jahre Außenminister und Vizekanzler einer schwarz-gelben Koalition sein wird. Als erster offen schwuler Bundesminister in der deutschen Geschichte sorgt er auch international für Aufmerksamkeit. In mehreren Homo-Zeitschriften wird seine Wahl bereits als Durchbruch bezeichnet. So beschreibt "Edge" aus Boston (US-Bundesstaat Massachusetts) den liberalen Politiker so: "Er kleidet sich schick, er ist ein professioneller Redner und verhält sich äußerst zivilisiert".
Eine Reihe von offen homosexuellen Abgeordneten konnte den Wiedereinzug ins Parlament sichern - ein schwuler Christdemokrat gewann sogar im ersten Anlauf einen Wahlkreis: Mit Ausnahme der Linken und der CSU entsenden alle Parteien offen schwule Abgeordnete.
Nach der Wahl können sich – außer der SPD – alle Parteien ein wenig wie Sieger fühlen. Auch eine Reihe von schwulen und lesbischen Kandidaten sicherte sich den Einzug ins Parlament.
Schwulstes Bundesland ist demnach NRW: Von hier aus schafften über die Landesliste Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck (Listenplatz 2) und Kai Gehring (Listenplatz 10), der Sprecher für Jugend- und Hochschulpolitik, den Wiedereinzug ins Parlament. Auch die offen lesbische Abgeordnete Bettina Herlitzius schaffte über Listenplatz 13 gerade so den Einzug ins Parlament. Sie zog 2007 für einen ausgeschiedenen Abgeordneten ins Parlament nach. Bei der FDP kamen der designierte Außenminister Guido Westerwelle (Listenplatz 1), Jörg van EssenMichael Kauch (Listenplatz 10) zum Zug.
Aus Baden-Württemberg schaffte über die Landesliste Gerhard Schick (Listenplatz 4), der finanzpolitischen Sprecher der Grünen, locker den Wiedereinzug ins Parlament. Der Volkswirt mit dem Faible für Kirchenmusik ist seit 2003 nach französichem Recht verpartnert. Über die schwäbische Landesliste konnte auch Biggi Bender (Listenplatz 7) als zweite offen lesbische Abgeordnete wieder eine Fahrkarte nach Berlin lösen.
(Listenplatz 3) und
Schwuler CDU-Kandidat holt Direktmandat in Stuttgart
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Die Linke stellt dagegen trotz ihres starken Abschneidens keinen einzigen offen schwulen oder lesbischen Bundestagsabgeordneten. Fast geschafft hätte es Klaus Lederer, der seit 2005 Landeschef der Berliner Linkspartei ist. Er scheiterte in seinem Wahlkreis Berlin-Mitte, in dem er in einem äußerst knappen Rennen mit 19,1 Prozent hinter der SPD (26 Prozent), CDU (22 Prozent) und Grünen (21,5 Prozent) nur den vierten Platz belegte. Auch über die Landesliste reichte der Einzug nicht. Aus Berlin darf die Linke nur fünf Abgeordnete in den Reichstag entsenden – Lederer war aber auf der Landesliste auf Platz sechs gesetzt.
Johannes Kahrs bleibt im Parlament
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In seinem Wahlkreis besiegte Kahrs dabei auch den grünen Homo-Aktivisten Farid Müller, der immerhin 16,5 Prozent der Erststimmen erzielen konnte. Müller bleibt damit Bürgerschaftsabgeordneter in Hamburg, wo seine Partei mit der CDU eine Regierung bildet.
Mehrere schwule Kandidaten scheiterten: So musste sich der 24-jährige Michael Adam wie erwartet dem übermächtigen CSU-Konkurrenten geschlagen geben: Er erreichte im Wahlkreis Straubing aber immerhin 22,4 Prozent der Erststimmen – und damit 2,5 Prozent mehr als der SPD-Kandidat vor vier Jahren. Bei den Zweitstimmen verlor seine Partei dagegen sechs Prozent. Adam war vergangenes Jahr in die Schlagzeilen geraten, weil er als schwuler Protestant jüngster Bürgermeister des konservativen bayerischen Ortes Bodenmais wurde (queer.de berichtete). Auch Christian Vorländer (SPD), Manfred Krönauer (FDP) und Eduard Stapel (Grüne) erhielten nicht genügend Stimmen, um dem 17. Bundestag anzugehören.
Als historisch dürfte die Regierungsbildung bezeichnet werden: Hier wird mit Guido Westerwelle voraussichtlich erstmals ein offen schwuler Politiker ein Bundesministerium führen – und auch den Posten des Vizekanzlers einnehmen. Weltweit wäre Deutschland das erste Land mit einem schwulen Außenminister, was gerade bei Reisen in homofeindliche Länder zu Komplikationen führen könnte. Nachdem Angela Merkel als erste Frau im Kanzleramt bereits vor vier Jahren Geschichte geschrieben hat, ist nun Westerwelle ein Eintrag in die Geschichtsbücher so gut wie sicher.
musste aber in Hamburg-Mitte kräftig Federn lassen: Er erreichte nur noch 34,6 Prozent. Sein Vorsprung auf die CDU sank damit im Vergleich zu 2005 von 22 Prozent auf acht Prozent. Der 46-Jährige ist seit 1998 Mitglied des Bundestages. Als Chef des wirtschaftsliberalen Seeheimer Krieses rieb er sich wiederholt mit Parteilinken wie Andrea Nahles. Ende 2008 wurde ihm innerparteilich vorgeworfen, in einem Hamburger Wahlkreis eine Mehrheit gegen den links orientierten Niels Annen organisiert zu haben, der daraufhin nicht mehr als Direktkandidat aufgestellt wurde.
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